Notwendigkeit - Moderne I


 

W. ROSENKRANZ definiert das Notwendige als das, »was einen zwingenden Grund seiner Wirklichkeit hat, zufällig dagegen dasjenige, was keinen solchen Grund hat, oder wovon uns wenigstens ein solcher Grund nicht bekannt ist« (Wissensch. d. Wiss. II, 127). »Eine Notwendigkeit erfahren wir allerdings auch in der äußern Anschauung, soferne wir uns in dieser der Empfindungen der äußeren Dinge nicht erwehren können, und dieselben sich uns selbst gegen unsern Willen aufdringen. Diese Notwendigkeit fällt jedoch einzig und allein auf unsere Seite. Sie besteht lediglich in dem Gefühle aufgehobener Freiheit in uns, welche uns über den Grund der Aufhebung gar nichts entnehmen läßt.« »Der Zwang der Wirklichkeit, welcher im Begriffe der Notwendigkeit liegt, kann nur aus dem Verhältnisse zwischen Ursache und Wirkung entspringen. Nur eine Ursache, welche eine bestimmte Wirkung unvermeidlich hervorbringt, kann eine Notwendigkeit begründen« l.c. S. 128). Die unvermeidliche Folge aus dem Grunde ergibt die Notwendigkeit. »Alle Notwendigkeit besteht darin, daß Verschiedenes miteinander zusammentrifft und das Zusammentreffen durch einen gemeinschaftlichen Grund bestimmt ist.« Im absoluten Geist fällt der Unterschied zwischen Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit hinweg (l.c. S. 232, 234). GIZYCKI erklärt: »Notwendig sein heißt: aus einem zureichenden Grunde folgen« (Moralphilos. S. 209). Die Notwendigkeit liegt im Subjekt (l.c. S. 210). Nach ULRICI ist denknotwendig alles, ohne welches unser Denken in seiner logischen Bestimmtheit unmöglich wäre (Log. S. 40). Nach TEICHMÜLLER bedeutet Notwendigkeit, »daß die Bewegung des Denkens immer dieselben Koordinationen trifft, so weit man auch versucht, andere Wege zu nehmen« (Neue Grundleg. S. 125). Nach PLANCK knüpft sich die Notwendigkeitskategorie an das logische Kausalgesetz. Diesem muß sich alles Wirkliche fügen. »Der Gedanke der Notwendigkeit, der überall an das logische Kausalgesetz sich knüpft und sein Wesen ausmacht, ist überall kein empirischer..., sondern ein rein logischer und formaler« (Testam. ein. Deutsch. S. 319). Nach LEWES ist Notwendigkeit »the intuition of the actual factors - the perception of adequate relation - the recognition that, what is, must be what it is« (Probl. I, 397 f.; vgl. HODGSON, Philos. of Refl. I, 244 ff., 422 ff., 432 ff.; II, 100 ff.).

Nach ÜBERWEG tut die Einsicht not, »daß die Denknotwendigkeit niemals für sich allein, sondern immer nur, sofern sie in den logischen Gesetzen sich offenbart, maßgebend sein darf« (Welt- und Lebensauff. S. 74). »Wo uns die logischen Gesetze nötigen anzunehmen, daß etwas an sich so sei, wie wir es denken, ist jeder Zweifel notwendig ausgeschlossen« (l.c. S. 78). VOLKELT versteht unter sachlich- logischer Notwendigkeit die »directe, reine Abhängigkeit meiner Vorstellungsverknüpfungen von der in der Sache liegenden Bedeutung« (Erf. u. Denk. S. 140 f.). B. ERDMANN bemerkt: »Die Denknotwendigkeit... ist eine objektive; sie fließt aus den Bedingungen unseres Denkens entsprechend der Natur seiner Gegenstände« (Log. I, 6). Die Denknotwendigkeit ist nur eine hypothetische, keine absolute Notwendigkeit (l.c. I, 372 ff.). Nach G. GLOGAU stammt Notwendigkeit aus dem Denken, denn »sie besteht in der Einbildung der logischen Forderungen in das sinn- und ziellose Spiel der niederen Wahrnehmung« (Abr. d. philos. Grundwiss. I, 361 f.). - E. DÜHRING sieht in der Notwendigkeit keinen Begriff mit besonderem Inhalte. »Die Notwendigkeiten sind entweder absolute Tatsachen, wie die axiomatischen Bestandteile der Naturverfassung und des Denkens, oder sie sind Beziehungsformen, die wiederum auf einfache sachliche oder begriffliche Verbindungsarten zurückzuführen sind« (Log. S. 195). »Unmöglichkeit ist der Kern aller Notwendigkeit, die daher sogar wesentlich einen verneinenden Charakter hat. In aller Notwendigkeit liegt es, daß etwas nicht anders sein kann. Es ist also etwas Einschränkendes vorhanden, in Bezug worauf der gedankliche Zwang statthat. Ja es liegt sogar der Gedanke der Unterordnung und mithin der Passivität in der Notwendigkeit« (Wirklichkeitsphilos. S. 372). »Insofern das Tatsächliche den Spielraum einschränkt, macht es irgend etwas notwendig; indem es überhaupt einen Spielraum bietet, macht es allerlei möglich« (l.c. S. 373). - Nach HAGEMANN ist notwendig »das Sein, dessen Nichtdasein unmöglich ist.« »Absolut notwendig ist dasjenige, dessen Gegenteil in sich widersprechend, also absolut unmöglich ist; relativ oder bedingt notwendig dasjenige, dessen Gegenteil unter gewissen Bedingungen unmöglich ist« (Met.2, S. 15). Nach GUTBERLET ist »Notwendigkeit eines Urteils« »notwendige Wahrheit eines Urteils«. »Absolut notwendig ist, was unter keiner Bedingung nicht nicht sein kann, oder unter jeder Bedingung ist, dessen Sein also unabhängig (absolutum) ist von jeder Bedingung. Diese Notwendigkeit kommt im Gebiete des Existierenden nur Gott, im Gebiete des Möglichen den idealen Wesenheiten zu. Hypothetisch notwendig ist, was zwar auch nicht sein kann, aber unter gegebener Bedingung ist.« »Für die Existenz der Geschöpfe gibt es keine ihnen vorausgehende oder in ihnen gelegene Notwendigkeit, ist aber ihre Existenz Tatsache geworden, so ergibt sich aus derselben von selbst eine tatsächliche, historische Notwendigkeit, welche als solche (der Tatsache) nachfolgende Notwendigkeit heißt« (Log. u. Erk.2, S. 153).

Nach E. v. HARTMANN hat die Notwendigkeit keine Stätte in der subjektiv idealen Sphäre, sofern die unmittelbare Erfahrung in Betracht kommt; nur der Schein von ihr entsteht hier, wenn der naiv realistische Glaube an die Kausalität der mit den Dingen an sich identifizierten Wahrnehmungsobjekte unkritisch festgehalten wird (Kategorienlehre S. 340 f.). HÖFLER rechnet die Notwendigkeit (mit der Möglichkeit, Unmöglichkeit) zu den »Verträglichkeits-Relationen« (Grundl. d. Log. S. 37). - Nach SIGWART erhält die Denknotwendigkeit »ihren eigenen Charakter zuletzt von der Einheit des Selbstbewußtseins« (Log. I2, 243). Zu aller logischen Notwendigkeit ist zuletzt »ein seiendes denkendes Subjekt, dessen Natur es ist, so zu denken« vorauszusetzen (l.c. S. 262). Etwas als notwendig erkennen heißt »es als Folge von etwas erkennen, das stetig und allgemein gilt« (l.c. S. 257). In jedem mit vollkommenem Bewußtsein ausgesprochenen Urteil wird die Notwendigkeit, es auszusprechen, mitbehauptet (l.c. S. 230 ff.). Es gibt psychologische, logische, reale, mathematische, kausale, teleologische, moralische Notwendigkeit (l.c. S. 98 ff., 229 ff., 259 f., 261 ff.). »Indem wir den einzelnen Fall auf ein Wirken zurückführen, erscheint das Verhältnis der Notwendigkeit, in welchem der Grund zu seiner Folge steht, zunächst in Form des Zwanges, den das Objekt der Wirkung erleidet... Aber indem die logische Entwicklung des Begriffs fortschreitet, vertieft sich auch der Sinn der Notwendigkeit; indem in dem Wesen des Wirkenden und des Leidenden der Grund ihres Verhaltens gesucht wird, verschwindet die Vorstellung des äußeren Zwanges, und die Notwendigkeit erscheint als eine solche, der beide Teile vermöge ihrer Natur gleichmäßig unterworfen sind, als ein innerer Zusammenhang ihrer Wesensbestimmtheit« (l.c. II2, 162). Nach WUNDT ist die Denknotwendigkeit mit der Willensfreiheit (s. d.) wohl vereinbar (s. Denkgesetze). Nach H. RICKERT ist »Urteilsnotwendigkeit« die Notwendigkeit des Sollens, die jedem Urteile eigen ist, durch die wir uns gebunden fühlen (Der Gegenst. d. Erk. S. 61 ff.). SCHUPPE rechnet die Notwendigkeit zum Sein (s. d.) als dessen »Gesetzlichkeit« (Erk. Log. X; Grdz. d. Eth. S. 63 ff.; Log. S. 29 f.). Das »Seiende« als solches ist (implicite) notwendig, aber »die ausdrückliche Behauptung der Notwendigkeit findet nur dann statt, wenn Veranlassung da ist, Zufälligkeit auszuschließen« (Log. S. 64). »Eine Qualität ist als solche der notwendige Vorgänger oder Nachfolger oder Begleiter einer anderen. Es gehört also zu ihrem Sein (Wesen) nicht nur die nennbare positive Bestimmtheit, Farbe etwa und Gestalt und Konsistenz, sondern auch dies, daß sie ein Glied in der und der Reihe ist. Zur Denkbarkeit des Seins gehört solche feste Ordnung des Seienden« (l.c. S. 65). SCHUBERT-SOLDERN hält Notwendigkeit für unableitbar; »alles Gegebene erscheint in notwendigen Beziehungen gedacht« (Gr. ein. Erk. S. 230). Notwendigkeit ist eine »Erwartung, die sich an Bedingungen knüpft« (l.c. S. 231). Nach HUSSERL ist subjektive Notwendigkeit »der subjektive Zwang der Überzeugung, welcher jedem Urteil anhaftet«. Apodiktische Notwendigkeit ist das eigenartige Bewußtsein, »in dem sich das einsichtige Erfassen eines Gesetzes oder des Gesetzmäßigen konstituiert« (Log. Unt. I, 134). Die unbedingte Geltung der Denkgesetze, der »logische Absolutismus«, ist zu betonen (l.c. I, 141). »Objektive Notwendigkeit überhaupt bedeutet nichts anderes als objektive Gesetzlichkeit, bezw. Sein auf Grund objektiver Gesetzlichkeit« (l.c. II. 235; vgl. S. 246). - M. PALAGYI bemerkt: »Eine jede Tatsache ist notwendig, und es gibt nirgends irgendwelche zufällige Tatsachen. Mit der Notwendigkeit einer jeden Tatsache ist aber nur so viel gemeint, daß, wenn wir fähig wären, den unendlichen Raum und die unendliche Zeit mit einem Blick zu umfassen, uns solche törichte Gedanken, ob dieses alles auch anders sein könnte, gar nicht kommen würden.« In der Natur herrscht eine unwandelbare Ordnung, eine ewige Gesetzmäßigkeit (Die Log. auf d. Scheidewege S. 152 ff.). - J. ST. MILL (u. a.) kennt nur empirisch fundierte, induktive, psychologisch begründete Notwendigkeit (s. Axiom). Nach LIPPS ist uns Notwendigkeit ursprünglich »nur als Inhalt des Selbstgefühls« gegeben (ähnlich J. WOLFF). »Eine Nötigung, die niemand fühlt, ist wie der Ton, den niemand hört« (Grundt. d. Seelenleb. S. 430). Vgl. A priori, Axiom, Kausalität, Evidenz Determinismus, Willensfreiheit, Prädestination, Fatalismus, Ontologismus.


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