Negation (»negatio«, apophasis) Verneinung, Zurückweisung, Ablehnung einer Behauptung als ungültig, unwahr seitens des Denkwillens, Ausschließung von Merkmalen aus dem Inhalt eines Begriffs im (negativen) Urteil, entweder um gerade auf das Fehlen dieser Merkmale aufmerksam zu machen, oder um einem positiven Urteile entgegenzutreten. - Von der »negatio« ist die »privatio« (Beraubung, s. d.) zu unterscheiden.
Nach ARISTOTELES steht die Verneinung apophasis der Bejahung gegenüber (De interpret. 5 -6). Nach den Scholastikern bedeutet die ontologische, metaphysische Negation die »carentia rei«. »Negatio« und »privatio« sind verschieden, »quia negatio dicitur carentium praecise sine aptitudine subiecti et vocatur Nihil negativum, item Negatio pura: Privatio autem praeter carentiam seu essentiam realitatis dicit simul aptitudinem subiecti ad recipiendum habitum« (MICRAELIUS, Lex. philos. p. 706 f.). »Negationis via in cognoscendo Deo dicitur, cum removetur a Deo imperfecta omnia« (l.c. p. 707). - Nach J. BÖHME ist in Gott (s. d.) als »Gegenwurf« zum Ja, zum Positiven ein »Nein«, ein Negatives, das »Zornfeuer«.
LOCKE bezweifelt die Existenz negativer Vorstellungen. Das »Nichts« bedeutet nur den Mangel an Vorstellungen (Ess. III, ch. 1, § 4). H. S. REIMARUS erklärt: »Die Erkenntnis oder die Einsicht von der Nichteinstimmung zweier Begriffe kann ein unterscheidendes oder unbestimmt verneinendes Urteil genannt werden.« »Die Erkenntnis oder die Einsicht von dem Widerspruche zwischen zwei Begriffen heißt ein grade verneinendes Urteil« (Vernunftlehre5, § 115). Nach KANT wird im verneinenden Urteile das Subjekt »außer der Sphäre« des Prädikats gesetzt (Log. S. 160). Die Negation affiziert immer die Copula (l.c. S. 162). So auch nach andern, z.B. nach FRIES (Syst. d. Log. S. 131); ein Begriff wird als Negation gedacht, wiefern er unter den Merkmalen einer Vorstellung als aufgehoben gedacht wird (l.c. S. 121; vgl. KIESEWETTER, Log. § 88; KRUG, Log. § 38; CALKER, Denklehre § 68). Nach BACHMANN wird durch das negative Urteil behauptet, daß etwas nicht sei (Syst. d. Log. S. 124). - J. G. FICHTE leitet die Kategorie der Negation aus dem Acte des »Gegensetzen« des Ich ab (Gr. d. g. Wiss. S. 20 f.). HEGEL setzt die Negation, Negativität als »Widerspruch« (s. d.) in das Sein selbst. Die Natur (s. d.) ist ihm, der Idee (s. d.) gegenüber, ein bloß »Negatives«, nicht an und für sich Seiendes, absolut Wahres, Ewiges. SCHOPENHAUER lehrt die Notwendigkeit der »Verneinung« des »Willen zum Leben« (s. Pessimismus). Nach CHR. KRAUSE setzt der Gedanke der »Neinheit« die Bejahung voraus (Vorles. üb. d. Syst. S. 175, 267). BOLZANO spricht von »verneinenden Vorstellungen« von zweierlei Art: a. »Nicht-A« - Verneinung ohne Forderung des Denkens einer andern Vorstellung (»rein oder durchaus verneinend«); b. A, das nicht B ist (Wissensch. I, 415 ff., § 89). Nach W. ROSENKRANTZ besteht die negative Bestimmung des Seienden »immer in der Ausschließung von bestimmten Prädikaten, von welchen ein Seiendes nur durch ein anderes Seiendes ausgeschlossen werden kann. Auf einer solchen Ausschließung beruhen alle Verschiedenheiten der endlichen Dinge« (Wissensch. d. Wiss. I, 135; II, 211 f.). »Die reine Verneinung... findet sich nur im Denken und auch hier nie selbständig, sondern immer nur als kontradiktorisches Gegenteil einer Bejahung« (ib.). Letzteres behauptet auch W. HAMILTON (Lect. on Met. III, 253). HAGEMANN erklärt: »Alle Negation ist... ursprünglich Affirmation eines Anderssein« (Met.2, S. 13). FORTLAGE bestimmt die Negation, wie die Bejahung (s. d.), als »Triebkategorie«, als einen Begriff, »welcher bezeichnet, daß mit einem gegebenen bestimmten Vorstellungsinhalte irgend ein anderer nicht übereinstimme, ohne daß damit über die Natur des Widerstreitenden irgend etwas ausgesprochen würde« (Psychol. I, § 10, S. 91). VOLKMANN leitet das Bewußtsein einer Verneinung aus der Hemmung einer Vorstellung durch andere ab (Lehrb. d. Psychol. II4, 338). TENDELENBURG betont: »Jede Verneinung muß sich... in ihrem Grunde als die ausschließende, zurücktreibende Kraft einer Bejahung darstellen« (Log. Unt. II, 147 f.). Nach SIGWART richtet sich die Negation gegen den Versuch einer Synthese im Urteil (Log. I2, S. 150); sie ist »ein Urteil über ein Urteil«, das nicht vollzogen werden darf (l.c. S. 123), ist »unbestimmte Disjunction« (l.c. S. 191). Nach W. JERUSALEM ist die Negation »nichts anderes als der sprachliche Ausdruck für die Zurückweisung eines Urteils«. »Jede Verneinung setzt ein bejahendes Urteil voraus. Nur ein Urteil kann verworfen werden, nicht aber, wie Brentano will, eine Vorstellung« (Urteilsfunct. 63. 183). Nach H. COHEN ist die Negation nicht ein Urteil über ein Urteil, sondern »ein Urteil vor dem Urteil« (Log. S. 88). Die selbständige Leistung der Verneinung als »abdicatio« ist zu betonen. Das »Nicht« spricht die »Vernichtungs-Instanz« des Urteils aus. »Sicherung der Identität gegen die Gefahr des Non-A, das ist der Sinn der Verneinung« (l.c. S. 89 f.). Nach WUNDT ist die Verneinung keine selbständige Urteilsform, sondern »es betätigt sich in ihr lediglich die aus der willkürlichen und selbstbewußten Natur des Denkens entspringende Fähigkeit, irgendwie äußerlich dargebotene Urteile nicht zu wollen« (Syst. d. Philos.2, S. 59). »Die Verneinung ist erst eine sekundäre Funktion des Denkens, welche die Existenz, positiver Urteile voraussetzt« (Log. I, 187). Aber das negative Urteil hat »nicht die Funktion, einen Irrtum abzuwehren, sondern es verfolgt den positiven Zweck, einen Begriff, wenn von ihm ein bestimmtes Verhältnis zu einem andern Begriff nicht ausgesagt werden kann, so weit zu bestimmen, als dies auf dem Wege der Ausschließung möglich ist« (l.c. I, 190). »Wohl gibt es auch solche negierende Urteile, bei denen die Verneinung nur den Zweck der Abwehr eines Irrtums hat, aber gerade diese Fälle der Verneinung sind von untergeordneter Wichtigkeit« (l.c. S. 191). Es gibt ein »negativ prädizierendes« Urteil und ein »verneinendes Trennungsurteil«. Ersteres dient der Unterscheidung und Begrenzung der Begriffe; die Negation haftet hiation haftet hier dem Prädikate an. Das Trennungsurteil will hervorheben, daß die Begriffe disparat sind; die Negation bezieht sich hier auf die Copula (l.c. S. 192 ff.). Nach B. ERDMANN wird im negativen Urteil »das Fehlen der Immanenz des Verneinten« ausgesagt, behauptet (Log. I, 354). Die Verneinung ist Leistung des beziehenden Denkens (l.c. S. 360). SCHUPPE erklärt: »Die Unterscheidung ist Negation... Die Negation ist so undefinierbar wie die Position; sie sind die Voraussetzung jeder Definition« (Log. S. 39). »Reine Negation, d.h. solche, welche nicht Unterscheidung eines Positiven von einem andern wäre, gibt es nicht« (l.c. S. 41 f.). »Beim negativen Urteil wird ein gemeinter Teileindruck von der Prädikatsvorstellung unterschieden« (l.c. S. 41). E. V. HARTMANN bestimmt: »Das Nicht ist die explicite Beziehung der Verschiedenheit ohne Rücksicht auf die positive Bestimmtheit, die dem als verschieden Konstatierten zukommt« (Kategorienl. S. 211). »Die Negation im Urteil ist... nur eine Tätigkeit des diskursiven Denkens, die dazu dienen soll, eine etwaige verkehrte Denktätigkeit zu berichtigen, oder ihr vorzubeugen. Diejenige Negation, welche eine Realopposition, einen dynamischen Widerstreit und sein Ergebnis, die gegenseitige Aufhebung der intendierten Aktion im Bewußtsein widerspiegelt, ist keine bloße Abwehr eines falschen Denkens, sondern der Vorstellungsrepräsentant einer realen Collision und Paralysierung der Aktion« (l.c. S. 212 f.). - F. BRENTANO erblickt im Verneinen (»Verwerfen«) eine »ebenso besondere Funktion des Urteilens... wie das Annehmen oder Zusprechen« (Vom Urspr. sittl. Erk. S. 74). - Vgl. J. G. TITIUS, Ars cogitandi 1702, S. 97, CHALYBAEUS Wissenschaftslehre S. 100 ff., sowie andere Lehrbücher der Logik (s. d.). Vgl. Negativ, Dialektik, Determination (SPINOZA), Limitation, Widerspruch, Gegensatz, Position.