Ding. - Empirismus, Kritizismus


 

Der empiristische Idealismus besonders bestimmt das Einzelding als (assoziativen) Komplex von Sinnesqualitäten und Erinnerungsinhalten. So BERKELEY (Princ. XCIX), HUME (Treat. I, III, sct. 14, Inquir. IV, 1), J. ST. MILL (Exam. ch. 11, p. l90 ff.). R. AVENARIUS versteht unter »Ding« das »Bleibende« in einem Eigenschaftskomplexe (Krit. d. r. Erf. II, 74). E. MACH bestimmt das Ding als eine konstante Gruppe von Empfindungen oder »Elementen« (Analys. d. Empfind.4, S. 5 ff.). Das Ding ist nichts außer dem Zusammenhang dieser Elemente (s. d.). Die vermeintlichen Einheiten »Körper«, »Ich« sind nur »Notbehelfe zur vorläufigen Orientierung und für bestimmte praktische Zwecke« (l.c. S. 10 f.). OSTWALD versteht unter »Ding« »ein Erlebnis, das wir von anderen als getrennt oder unterscheidbar empfinden« (Vorles. üb. Naturphil.2, S. 77 f.). - SCHUPPE erblickt den Dingcharakter in der Einheit und Notwendigkeit, welche die in der Wahrnehmung vereinten Sinnesdata »hier und jetzt« verbindet (Log. S. 117, 120). Die Dinge sind etwas dem Bewußtsein Immanentes (s. d.). Es gibt Raum- und Zeitdinge (l.c. S. 123 ff.). Was als ein Glanzes oder als eine Einheit gedacht wird, ist in gewissem Sinne ein Ding (l.c. S. 130). Das Ding ist nicht die Summe seiner Eigenschaften sondern die »Einheit von Unterscheidbarem, durch welche auch die unterscheidbaren Einzelnen erst den Charakter der Eigenschaft oder des Teiles bekommen« (l.c. S. 130). Vom Körperlichen ist das »Ichding« (l.c. S. 140) zu unterscheiden. Nach SCHUBERT-SOLDERN ist das Ding »eine Gruppe räumlich zeitlich-qualitativ bestimmter Kausalbeziehungen« (Vierteljahrsschr. f. w. Philos. 7. Bd., S. 430), »ein zeitlich und räumlich bestimmtes, in einer bestimmten Art gesetzlicher Veränderung begriffenes Zusammen von einfachen Daten« des Bewußtseins (Gr. e. Erk. S. 68, 126 ff., 138). Nach REHMKE gründet sich die Einheit des »Ding-Konkreten« »auf das notwendige Zusammen im Nacheinander verschiedener Augenblickseinheiten« (Allg. Psychol. S. 44). »Ding« und »gewußtes Ding« sind dasselbe Gegebene (l.c. S. 74). Die Dinge sind nicht außer dem Bewußtsein, gehören der Seele zu (l.c. S. 81 f.). FECHNER bestimmt: »Jedes Ding, mit dem wir umgehen, ist für uns geistig charakterisiert durch eine Resultante von Erinnerungen an alles, was wir je bezüglich dieses Dinges und selbst verwandter Dinge äußerlich und innerlich erfahren, gehört, gelesen, gedacht, gelernt haben. Diese Resultante von Erinnerungen knüpft sich ebenso unmittelbar an den Anblick des Dinges, wie die Vorstellung desselben an das Wort, womit es bezeichnet wird« (Vorsch. d. Ästh. I, 93). Nach L. GEIGER ist ein Ding die Gesamtsumme von Empfindungsmöglichkeiten, eine durch das Wort hergestellte »ideale Einheit« (Urspr. u. Entw. d. m. Spr. I, 46, 51). TH. LIPPS versteht unter Dingen »Komplexe von Vorstellungsinhalten, aber nicht von solchen, die wir beliebig vereinigen, sondern von solchen, die wir - wenigstens unter Voraussetzung anderer, stillschweigend hinzugedachter Bedingungen - zusammendenken müssen« (Gr. d. Seelenleb. S. 435). »Was aber ›Dinge‹ und ›Eigenschaften‹ schließlich macht, ist das, mit den Elementen des Dinges nicht gegebene, sondern vom Denken auf Grund der Erfahrung hinzugefügte Band der Zusammengehörigkeit oder der wechselseitigen logischen (›kausalen‹) Relation zwischen den Elementen. Dies Band der Notwendigkeit... kann als das letzte ›Substrat‹ in dem Ding bezeichnet werden« (Gr. d. Log. S. 89). HUSSERL versteht unter Dingen »die durch eine Kausalgesetzlichkeit einheitlich umspannten Konkreta« (Log. Unt. II, 249). H. CORNELIUS erklärt, das Ding sei seinem Begriffe nach »identisch mit einem gesetzmäßigen Zusammenhange unserer Wahrnehmungen«, im Begriffe des Gegenstandes wird die Gesamtheit der Wahrnehmungen verknüpft (Einl. in d. Philos. S. 262, 257 ff.; Psychol. S. 236 ff., 246 ff.). Nach E. v. HARTMANN ist das Ding »eine Gruppe von äußeren Wahrnehmungen, die einen... relativ beständigen Kern hat« (Kategor. S. 496). Das Ding gilt als das, dem die Eigenschaften inhärieren; es wirkt also schon hier die Kategorie der Substantialität mit (ib.).

Der Kritizismus leitet den Dingbegriff aus der synthetischen Funktion des Bewußtseins ab, aus der nach (apriorischen) Kategorien (s. d.) formenden Tätigkeit des Ich, welches das Vorstellungsmaterial in seine eigene Einheit hineinverarbeitet, zu objektiven, gesetzmäßigen Zusammenhängen verknüpft. Die Einheit des Dinges ist nach KANT ein Reflex der Identität des erkennenden Bewußtseins (Kr. d. r. Vern. S. 122). Die Dinge im Raume sind kategorial verknüpfte Vorstellungsinhalte, nicht die Dinge an sich (s. d.), sondern Erscheinungen (s. d.) (l.c. S. 57, 316). Das Dasein der Dinge ist nicht zu bezweifeln (s. Objekt). Im Sinne Kants bestimmen das Ding A. LANGE (einheitliche, zusammenhängende Gruppe von Erscheinungen), H. COHEN, NATORP u. a. Nach O. SCHNEIDER bezeichnet der Dingbegriff »diejenige dem Geiste ureigene Denkverrichtung, durch welche aus dem steten Flusse der wechselnden mannigfaltigen Bewußtseinszustände ein bestimmter Denkinhalt als Inbegriff einer Anzahl solcher zusammengehöriger Bewußtseinsinhalte geformt und dergestalt herausgehoben wird, daß nun erst das Subjekt, das Bewußtsein seinen Denkgegenstand hat« (Transzendentalpsychol. S. 186 f.). Nach RIEHL legt das Ich seine eigene Identität (s. d.) in die Dinge. Diese sind »konstante Gruppen von Eigenschaften, zur Einheit des Bewußtseins gebracht« (Phil. Krit. II 1, 234 ff., 295). WUNDT betont, der Substanzbegriff stecke noch nicht im Dingbegriffe. Die Erfahrungsdinge sind nichts absolut Beharrendes, sondern »was im fortwährenden Wechsel der Erscheinungen zusammenhängt«, konstante Komplexe von Eigenschaften und Zuständen. Der Dingbegriff ist nicht Produkt der bloßen Assoziation, sondern einer »apperzeptiven Synthese« und hat seine letzte Quelle in der Einheit des Bewußtseins. Wie sich die Apperzeption (s. d.) als konstante Tätigkeit abhebt vom wechselnden Inhalt des Apperzipierten, so sondert sich an unseren Vorstellungen von den wechselnden Vorgängen der bleibende Gegenstand. Das Ich überträgt »die aus der eigenen apperzeptiven Tätigkeit hervorgegangene Idee eines Substrats der Vorstellungen auf die Gegenstände des Vorstellens«. »Die Selbständigkeit unseres Ich und der stetige Zusammenhang unserer Vorstellungen werfen ihren Reflex auf die Dinge außer uns« (Syst. d. Philos.2, S. 163, 255 ff.; Log. 12, S. 462 ff., 470 ff.; Phil. Stud. II, 171 f., XII, XIII). Das geistige Geschehen ist nicht selbst ein Ding (Syst. d. Phil.2, S. 277 ff.; Log. I2, 537 ff.). Anlaß zur Bildung des Dingbegriffes ist überall da gegeben, »wo einerseits ein Komplex von Erscheinungen sich selbständig abhebt von andern, mit denen er in Beziehung steht, und wo anderseits die Veränderungen, welche jener Komplex darbietet, stetig auseinander hervorgehen«. Die Sonderung des Gegebenen in eine Mannigfaltigkeit von Einzeldingen wird besonders durch die Anschauung der Bewegung vermittelt, indem das in der Bewegung selbständig und unabhängig Bleibende als ein Ding aufgefaßt wird. Nach JODL ist die Dingvorstellung das Produkt einer Synthese (Lehrb. d. Psychol. S. 548).

Durch eine Introjektion (s. d.) der Ichheit, des eigenen Seelenseins in die Inhalte der Wahrnehmung kommt der Dingbegriff zustande nach SCHLEIER- MACHER, BENEKE.(Syst. d. Met. S. 170 ff.; Lehrb. d. Psychol. § 149), RITTER (Syst. d. Log. I, 294), ÜBERWEG (Syst. d. Log., S. 77 f.), HORWICZ, nach welchem das Ding ein »Quasi-Ich« ist (Psychol. Anal. II, 1, 145 ff.), J. WOLFF u. a., JERUSALEM (Lehrb. d. Psychol.3, § 55). So auch NIETZSCHE . Nach ihm ist das »Ding« eine Fiktion, ein Grundirrtum, ein Phantasieprodukt, da unsere Organe, die nicht fein genug sind, überall die Bewegung wahrzunehmen, uns etwas Beharrendes vorspiegeln (WW. III, 1, 18, S. 38 f., XI, 2, 31, XII, 1, 15). Die »Dingheit« ist eine subjektive Kategorie, eine Folge des Subjektsbegriffs, eine Projektion der (geglaubten) Ich-Substanz in die Wahrnehmung (WW. XI, 6, 239, XV, 275). In Wahrheit sind die Dinge nur Komplexe des Geschehens die relativ dauerhaft sind (WW. XV, 277). Vgl. Objekt, Identität.


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