Gewohnheit

Gewohnheit ist die durch öftere Wiederholung (Übung, s. d.) entstandene Bereitschaft zu Handlungen, die Tendenz zum Gleichen, Bekannten, Geübten, infolge der Leichtigkeit und Sicherheit der gewohnten Tätigkeit. Die Gewöhnung besteht in einer Anpassung des Organs an die Funktion, der Funktion an den auslösenden Reiz, auf einer »Mechanisierung« (s. d.) von Willenshandlungen zu triebartigen oder auch unterbewußten, reflexmäßigen Vorgängen. Auf Gewohnheit beruhen Assoziation (s. d.), Reproduktion, Fertigkeiten, Sitten u.s.w. Eine erkenntnistheoretische Bedeutung hat der Begriff der Gewohnheit bei den Empiristen (s. d.), besonders bei HUME. Sie ist nach ihm das Prinzip, »which renders our experience useful to us« (Inquir. sct. V, p. 39). Gewohnheit (custom) ist alles, »was aus einer früher stattgefundenen Wiederholung ohne neue Überlegung oder Schlußfolgerung entsteht«. Auf ihr beruht aller Glaube (s. d.). Sind wir gewohnt, zwei Eindrücke miteinander verbunden zu sehen, so leitet uns das erneute Auftreten (die Vorstellung) des einen unmittelbar auf die Vorstellung des andern hin (Treat. III, sct. 8). Das Wort ruft eine Vorstellung hervor und mit ihr eine gewohnheitsmäßige Tendenz des Vorstellens. Diese weckt eine andere Vorstellung (l.c. I, sct. 7). 7). Unter dem Namen »habitus« (hexis) kommt der Gewohnheitsbegriff bei ARISTOTELES und den Scholastikern zur Sprache. So auch bei L. VIVES (De an. II, p. 116 ff.) u. a. Auch von den Assoziationspsychologen des 18. Jahrhunderts wird er berücksichtigt. - Nach FRIES ist Gewohnheit der »Einfluß, welchen die öftere Wiederkehr derselben Tatsache, welche eine bleibende Wirkung hinterläßt, auf lebende Wesen hat« (Syst. d. Log. S. 70). HEGEL erklärt: »Daß die Seele sich... zum abstrakten allgemeinen Sein macht, und das Besondere der Gefühle (auch des Bewußtseins) zu einer nur seienden Bestimmung an ihr reduciert, ist die Gewohnheit« (Encykl. § 410). Nach SUABEDISSEN ist Gewohnheit »die durch Wiederholung natürlich gewordene Wiederkehr derselben Bestrebungen und Handlungen unter denselben Umständen«. »Gewöhnung ist die Wiederholung, wodurch ein Streben oder Tun zur Gewohnheit wird« (Grdz. d. Lehre von d. Mensch. S. 149). Nach J. E. ERDMANN ist Gewohnheit »der aus vielen Empfindungen und Verleiblichungen hervorgegangene und darum durch Wiederholung vermittelte Zustand des Individuums, in welchem es alle jene besonderen Empfindungen und Verleiblichungen als deren einfache Allgemeinheit in sich aufgehoben hat und darum bereits in sich enthält, was der Lebensprozess ihm geben sollte« (Gr. d. Psychol. § 60). Nach VOLKMANN beruht die Gewohnheit auf einander mittelbar reproduzierenden Vorstellungen (Lehrb. d. Psychol. I4, 446). TÖNNIES faßt die Gewohnheit als einen erfahrungsmäßig entstandenen Willen, als Neigung auf (Gem. u. Gesellsch. S. 108 ff.). Nach WUNDT beruht die Gewohnheit auf eigenartigen Wirkungen der Übung (s. d.). Daß Gewohnheit die Gefühle (s. d.) abstumpft und daß sie Bedürfnisse schafft, daß sie in der Reproduktion waltet, betont u. a. EHRENFELS (Syst. d. Wert theor. I, 186). W. JAMES sieht in der Gewohnheit (habit) eine Grundeigenschaft der Materie. Auf Gewohnheit beruhen die Naturgesetze (Princ. of Psychol. I, 104 ff.). Die biologische Gewohnheit ist in der Plastizität der organischen Substanz begründet (l.c. p. 105). Nach BALDWIN ist Gewohnheit »die Tendenz eines Organismus, Prozesse, die vital woltätig sind, immer leichter und leichter fortdauern zu lassen« (Entwickl. d. Geist. S. 445). SULLY erklärt die Gewohnheit als »die stetige Neigung, etwas zu tun, und zwar mit Leichtigkeit, welche das Resultat einer bestimmten und methodischen Wiederholung der Handlung ist« (Handb. d. Psychol. S. 120, vgl. STOUT, Anal. Psychol. I, 258 ff.). Verschiedene Soziologen betonen die Bedeutung der Gewohnheit als soziale Erhaltungstendenz. RENOUVIER nennt die Gewohnheit »la conservatrice des sociétés« (Nouv. Monadol. p. 298).


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