Katholizismus


Mit solchen Gesinnungen, mit solchen Bedürfnissen und Wünschen frönte Winckelmann lange Zeit fremden Zwecken. Nirgend um sich her sah er die mindeste Hoffnung zu Hülfe und Beistand.

Der Graf Bünau, der als Partikulier nur ein bedeutendes Buch weniger hätte kaufen dürfen, um Winckelmann einen Weg nach Rom zu eröffnen, der als Minister Einfluß genug hatte, dem trefflichen Mann aus aller Verlegenheit zu helfen, mochte ihn wahrscheinlich als tätigen Diener nicht gern entbehren oder hatte keinen Sinn für das große Verdienst, der Welt einen tüchtigen Mann zugefördert zu haben. Der Dresdner Hof, woher allenfalls eine hinlänglich Unterstützung zu hoffen war, bekannte sich zur römischen Kirche, und kaum war ein anderer Weg, zu Gunst und Gnade zu gelangen, als durch Beichtväter und andre geistliche Personen.

Das Beispiel des Fürsten wirkt mächtig um sich her und fordert mit heimlicher Gewalt jeden Staatsbürger zu ähnlichen Handlungen auf, die in dem Kreise des Privatmanns irgend zu leisten sind, vorzüglich also zu sittlichen. Die Religion des Fürsten bleibt in gewissem Sinne immer die herrschende, und die römische Religion reißt, gleich einem immer bewegten Strudel, die ruhig vorbeiziehende Welle an sich und in ihren Kreis.

Dabei mußte Winckelmann fühlen, daß man, um in Rom ein Römer zu sein, um sich innig mit dem dortigen Dasein zu verweben, eines zutraulichen Umgangs zu genießen, notwendig zu jener Gemeine sich bekennen, ihren Glauben zugeben, sich nach ihren Gebräuchen bequemen müsse. Und so zeigte der Erfolg, daß er ohne diesen früheren Entschluß seinen Zweck nicht vollständig erreicht hätte, und dieser Entschluß ward ihm dadurch gar sehr erleichtert, daß ihn, als einen gründlich gebornen Heiden, die protestantische Taufe zum Christen einzuweihen nicht vermögend gewesen.

Doch gelang ihm die Veränderung seines Zustandes nicht ohne heftigen Kampf. Wir können nach unserer Überzeugung, nach genugsam abgewogenen Gründen endlich einen Entschluß fassen, der mit unserm Wollen, Wünschen und Bedürfen völlig harmonisch ist, ja zu Erhaltung und Förderung unserer Existenz unausweichlich scheint, so daß wir mit uns völlig zur Einigkeit gelangen. Ein solcher Entschluß aber kann mit der allgemeinen Denkweise, mit der Überzeugung vieler Menschen im Widerspruch stehen; dann beginnt ein neuer Streit, der zwar bei uns keine Ungewißheit, aber eine Unbehaglichkeit erregt, einen ungeduldigen Verdruß, daß wir nach außen hie und da Brüche finden, wo wir nach innen eine ganze Zahl zu sehen glauben.

Und so erscheint auch Winckelmann bei seinem vorgehabten Schritt besorgt, ängstlich, kummervoll und in leidenschaftlicher Bewegung, wenn er sich die Wirkung dieses Unternehmens, besonders auf seinen ersten Gönner, den Grafen, bedenkt. Wie schön, tief und rechtlich sind seine vertraulichen Äußerungen über diesen Punkt!

Denn es bleibt freilich ein jeder, der die Religion verändert, mit einer Art von Makel bespritzt, von der es unmöglich scheint, ihn zu reinigen. Wir sehen daraus, daß die Menschen den beharrenden Willen über alles zu schätzen wissen und um so mehr schätzen, als sie, sämtlich in Parteien geteilt, ihre eigene Sicherheit und Dauer beständig im Auge haben. Hier ist weder von Gefühl noch von Überzeugung die Rede. Ausdauern soll man da, wo uns mehr das Geschick als die Wahl hingestellt. Bei einem Volke, einer Stadt, einem Fürsten, einem Freunde, einem Weibe festhalten, darauf alles beziehen, deshalb alles wirken, alles entbehren und dulden, das wird geschätzt; Abfall dagegen bleibt verhaßt, Wankelmut wird lächerlich.

War dieses nun die eine schroffe, sehr ernste Seite, so läßt sich die Sache auch von einer andern ansehn, von der man sie heiterer und leichter nehmen kann. Gewisse Zustände des Menschen, die wir keinesweges billigen, gewisse sittliche Flecken an dritten Personen haben für unsre Phantasie einen besondern Reiz. Will man uns ein Gleichnis erlauben, so möchten wir sagen, es ist damit, wie mit dem Wildbret, das dem feinen Gaumen mit einer kleinen Andeutung von Fäulnis weit besser als frisch gebraten schmeckt. Eine geschiedene Frau, ein Renegat machen auf uns einen besonders reizenden Eindruck. Personen, die uns sonst vielleicht nur merkwürdig und liebenswürdig vorkämen, erscheinen uns nun als wundersam, und es ist nicht zu leugnen, daß die Religionsveränderung Winckelmanns das Romantische seines Lebens und Wesens vor unserer Einbildungskraft merklich erhöht.

Aber für Winckelmann selbst hatte die katholische Religion nichts Anzügliches. Er sah in ihr bloß das Maskenkleid, das er umnahm, und drückt sich darüber hart genug aus. Auch später scheint er an ihren Gebräuchen nicht genugsam festgehalten, ja vielleicht gar durch lose Reden sich bei eifrigen Bekennern verdächtig gemacht zu haben, wenigstens ist hie und da eine kleine Furcht vor der Inquisition sichtbar.


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