Haltung des Schauspielers im gewöhnlichen Leben
§ 75
Der Schauspieler soll auch im gemeinen Leben bedenken, daß er öffentlich zur Kunstschau stehen werde.
§ 76
Vor angewöhnten Gebärden, Stellungen, Haltung der Arme und des Körpers soll er sich daher hüten, denn wenn der Geist während dem Spiel darauf gerichtet sein soll, solche Angewöhnungen zu vermeiden, so muß er natürlich für die Hauptsache zum großen Teil verlorengehen.
§ 77
Es ist daher unumgänglich notwendig, daß der Schauspieler von allen Angewöhnungen gänzlich frei sei, damit er sich bei der Vorstellung ganz in seine Rolle denken und sein Geist sich bloß mit seiner angenommenen Gestalt beschäftigen könne.
§ 78
Dagegen ist es eine wichtige Regel für den Schauspieler, daß er sich bemühe, seinem Körper, seinem Betragen, ja allen seinen übrigen Handlungen im gewöhnlichen Leben eine solche Wendung zu geben, daß er dadurch gleichsam wie in einer beständigen Übung erhalten werde. Es wird dieses für jeden Teil der Schauspielkunst von unendlichem Vorteil sein.
§ 79
Derjenige Schauspieler, der sich das Pathos gewählt, wird sich sehr dadurch vervollkommnen, wenn er alles, was er zu sprechen hat, mit einer gewissen Richtigkeit sowohl in Rücksicht des Tones als der Aussprache vorzutragen und auch in allen übrigen Gebärden eine gewisse erhabene Art beizubehalten sucht. Diese darf zwar nicht übertrieben werden, weil er sonst seinen Mitmenschen zum Gelächter dienen würde, im übrigen aber mögen sie immerhin den sich selbst bildenden Künstler daraus erkennen. Dieses gereicht ihm keineswegs zur Unehre, ja sie werden sogar gerne sein besonderes Betragen dulden, wenn sie durch dieses Mittel in den Fall kommen, auf der Bühne selbst ihn als großen Künstler anstaunen zu müssen.
§ 80
Da man auf der Bühne nicht nur alles wahr, sondern auch schön dargestellt haben will, da das Auge des Zuschauers auch durch anmutige Gruppierungen und Attitüden gereizt sein will, so soll der Schauspieler auch außer der Bühne trachten, selbe zu erhalten; er soll sich immer einen Platz von Zuschauern vor sich denken.
§ 81
Wenn er seine Rolle auswendig lernt, soll er sich immer gegen einen Platz wenden; ja selbst wenn er für sich oder mit seinesgleichen beim Essen zu Tische sitzt, soll er immer suchen, ein Bild zu formieren, alles mit einer gewissen Grâce anfassen, niederstellen etc., als wenn es auf der Bühne geschähe, und so soll er immer malerisch darstellen.