»Die schönen Künste in ihrem Ursprung,
ihrer wahren Natur und besten Anwendung«
betrachtet von J. G. Sulzer.
Leipzig 1772. 8°. 85 S.
Sehr bequem ins Französische zu übersetzen, könnte auch wohl aus dem Französischen übersetzt sein. Herr Sulzer, der nach dem Zeugnis eines unsrer berühmten Männer ein ebenso großer Philosoph ist als irgendeiner aus dem Altertume, scheint in seiner Theorie nach Art der Alten mit einer exoterischen Lehre das arme Publikum abzuspeisen, und diese Bogen sind womöglich unbedeutender als alles andre.
»Die schönen Künste«, ein Artikel der »Allgemeinen Theorie«, tritt hier besonders ans Licht, um die Liebhaber und Kenner desto bälder in Stand zu setzen, vom Ganzen zu urteilen. Wir haben beim Lesen des großen Werks bisher schon manchen Zweifel gehabt; da wir nun aber gar die Grundsätze, worauf sie gebaut ist, den Leim, der die verworfnen Lexikonsglieder zusammenkleben soll, untersuchen, so finden wir uns in der Meinung nur zu sehr bestärkt: hier sei für niemanden nichts getan als für den Schüler, der Elementa sucht, und für den ganz leichten Dilettante nach der Mode.
Daß eine Theorie der Künste für Deutschland noch nicht gar in der Zeit sein möchte, haben wir schon ehmals unsre Gedanken gesagt. Wir bescheiden uns wohl, daß eine solche Meinung die Ausgabe eines solchen Buchs nicht hindern kann; nur warnen können und müssen wir unsre gute junge Freunde vor dergleichen Werken. Wer von den Künsten nicht sinnliche Erfahrung hat, der lasse sie lieber. Warum sollte er sich damit beschäftigen? Weil es so Mode ist? Er bedenke, daß er sich durch alle Theorie den Weg zum wahren Genusse versperrt, denn ein schädlicheres Nichts als sie ist nicht erfunden worden.
»Die schönen Künste«, der Grundartikel Sulzerischer Theorie. Da sind sie denn, versteht sich, wieder alle beisammen, verwandt oder nicht. Was steht im Lexiko nicht alles hintereinander? Was läßt sich durch solche Philosophie nicht verbinden? Malerei und Tanzkunst, Beredsamkeit und Baukunst, Dichtkunst und Bildhauerei: alle aus einem Loche, durch das magische Licht eines philosophischen Lämpchens auf die weiße Wand gezaubert, tanzen sie im Wunderschein buntfarbig auf und nieder, und die verzückten Zuschauer frohlocken sich fast außer Atem.
Daß einer, der ziemlich schlecht räsonierte, sich einfallen ließ, gewisse Beschäftigungen und Freuden der Menschen, die bei ungenialischen, gezwungnen Nachahmern Arbeit und Mühseligkeit wurden, ließen sich unter die Rubrik Künste, schöne Künste klassifizieren, zum Behuf theoretischer Gaukelei, das ist denn der Bequemlichkeit wegen Leitfaden geblieben zur Philosophie darüber, da sie doch nicht verwandter sind als septem artes liberales der alten Pfaffenschulen.
Wir erstaunen, wie Herr S., wenn er auch nicht drüber nachgedacht hätte, in der Ausführung die große Unbequemlichkeit nicht fühlen mußte, daß, solange man in generalioribus sich aufhält, man nichts sagt und höchstens durch Deklamation den Mangel des Stoffes vor Unerfahrnen verbergen kann.
Er will das unbestimmte Principium: Nachahmung der Natur, verdrängen und gibt uns ein gleich unbedeutendes dafür: Die Verschönerung der Dinge. Er will nach hergebrachter Weise von Natur auf Kunst herüberschließen: »In der ganzen Schöpfung stimmt alles darin überein, daß das Aug und die andern Sinnen von allen Seiten her durch angenehme Eindrücke gerührt werden.« Gehört denn, was unangenehme Eindrücke auf uns macht, nicht so gut in den Plan der Natur als ihr Lieblichstes? Sind die wütenden Stürme, Wasserfluten, Feuerregen, unterirdische Glut und Tod in allen Elementen nicht eben so wahre Zeugen ihres ewigen Lebens als die herrlich aufgehende Sonne über volle Weinberge und duftende Orangenhaine? Was würde Herr Sulzer zu der liebreichen Mutter Natur sagen, wenn sie ihm eine Metropolis, die er mit allen schönen Künsten, Handlangerinnen, erbaut und bevölkert hätte, in ihren Bauch hinunterschlänge?
Ebensowenig besteht die Folgerung: »Die Natur wollte durch die von allen Seiten auf uns zuströmenden Annehmlichkeiten unsre Gemüter überhaupt zu der Sanftmut und Empfindsamkeit bilden.« Überhaupt tut sie das nie, sie härtet vielmehr, Gott sei Dank, ihre echten Kinder gegen die Schmerzen und Übel ab, die sie ihnen unablässig bereitet, so daß wir den den glücklichsten Menschen nennen können, der der stärkste wäre, dem Übel zu entgegnen, es von sich zu weisen und ihm zum Trutz den Gang seines Willens zu gehen. Das ist nun einem großen Teil der Menschen zu beschwerlich, ja unmöglich; daher retirieren und retranchieren sich die meisten, sonderlich die Philosophen, deswegen sie denn auch überhaupt so adäquat disputieren.
Wie partikular und eingeschränkt ist folgendes, und wie viel soll es beweisen! »Vorzüglich hat diese zärtliche Mutter den vollen Reiz der Annehmlichkeit in die Gegenstände gelegt, die uns zur Glückseligkeit am nötigsten sind, besonders die selige Vereinigung, wodurch der Mensch eine Gattin findet.« Wir ehren die Schönheit von ganzem Herzen, sind für ihre Attraktion nie unfühlbar gewesen; allein sie hier zum primo mobili zu machen, kann nur der, der von den geheimnisvollen Kräften nichts ahndet, durch die jedes zu seinesgleichen gezogen wird, alles unter der Sonne sich paart und glücklich ist, Wäre es nun also auch wahr, daß die Künste zu Verschönerung der Dinge um uns würken, so ist's doch falsch, daß sie es nach dem Beispiele der Natur tun.
Was wir von Natur sehn, ist Kraft, die Kraft verschlingt, nichts gegenwärtig, alles vorübergehend, tausend Keime zertreten, jeden Augenblick tausend geboren, groß und bedeutend, mannigfaltig ins Unendliche; schön und häßlich, gut und bös, alles mit gleichem Rechte nebeneinander existierend. Und die Kunst ist gerade das Widerspiel; sie entspringt aus den Bemühungen des Individuums, sich gegen die zerstörende Kraft des Ganzen zu erhalten. Schon das Tier durch seine Kunsttriebe scheidet, verwahrt sich; der Mensch durch alle Zustände befestigt sich gegen die Natur, ihre tausendfache Übel zu vermeiden und nur das Maß von Gutem zu genießen; bis es ihm endlich gelingt, die Zirkulation aller seiner wahr' und gemachten Bedürfnisse in einen Palast einzuschließen, sofern es möglich ist, alle zerstreute Schönheit und Glückseligkeit in seine gläserne Mauern zu bannen, wo er denn immer weicher und weicher wird, den Freuden des Körpers Freuden der Seele substituiert und seine Kräfte, von keiner Widerwärtigkeit zum Naturgebrauche aufgespannt, in Tugend, Wohltätigkeit, Empfindsamkeit zerfließen.
Herr S. geht nun seinen Gang, den wir ihm nicht folgen mögen; an einem großen Trupp Schüler kann's ihm so nicht fehlen; denn er setzt Milch vor und nicht starke Speise, redet viel von dem Wesen der Künste, Zweck, und preist ihre hohe Nutzbarkeit als Mittel zu Beförderung der menschlichen Glückseligkeit. Wer den Menschen nur einigermaßen kennt und Künste und Glückseligkeit, wird hier wenig hoffen, es werden ihm die vielen Könige einfallen, die mitten im Glanz ihrer Herrlichkeit der Ennui zu Tode fraß. Denn wenn es nur auf Kennerschaft angesehn ist, wenn der Mensch nicht mitwürkend genießt, müssen bald Hunger und Ekel, die zwei feindlichsten Triebe, sich vereinigen, den elenden Pococurante zu quälen.
Hierauf läßt er sich ein auf eine Abbildung der Schicksale schöner Künste und ihres gegenwärtigen Zustandes, die denn mit recht schönen Farben hinimaginiert ist, so gut und nicht besser als die Geschichten der Menschheit, die wir so gewohnt worden sind in unsern Tagen, wo immer das Märchen der vier Weltalter sufficienter ist und im Ton der zum Roman umpragmatisierten Geschichte.
Nun kommt Herr S. auf unsere Zeiten und schilt, wie es einem Propheten geziemt, wacker auf sein Jahrhundert; leugnet zwar nicht, daß die schönen Künste mehr als zu viel Beförderer und Freunde gefunden haben, weil sie aber zum großen Zweck, zur moralischen Besserung des Volks noch nicht gebraucht worden, haben die Großen nichts getan. Er träumt mit andern, eine weise Gesetzgebung würde zugleich Genies beleben und auf den wahren Zweck zu arbeiten anweisen können, und was dergleichen mehr ist.
Zuletzt wirft er die Frage auf, deren Beantwortung den Weg zur wahren Theorie eröffnen soll: »Wie ist es anzufangen, daß der dem Menschen angeborne Hang zur Sinnlichkeit zu Erhöhung seiner Sinnesart angewendet und in besondern Fällen als ein Mittel gebraucht werde, ihn unwiderstehlich zu seiner Pflicht zu reizen?« So halb und mißverstanden und in den Wind als der Wunsch Cicerons, die Tugend in körperlicher Schönheit seinem Sohne zuzuführen. Herr S. beantwortet auch die Frage nicht, sondern deutet nur, worauf es hier ankomme, und wir machen das Büchlein zu. Ihm mag sein Publikum von Schülern und Kennerchens getreu bleiben, wir wissen, daß alle wahre Künstler und Liebhaber auf unsrer Seite sind, die so über den Philosophen lachen werden, wie sie sich bisher über die Gelehrten beschwert haben. Und zu diesen noch ein paar Worte, auf einige Künste eingeschränkt, das auf so viele gelten mag als kann.
Wenn irgendeine spekulative Bemühung den Künsten nützen soll, so muß sie den Künstler grade angehen, seinem natürlichen Feuer Luft machen, daß es um sich greife und sich tätig erweise. Denn um den Künstler allein ist's zu tun, daß der keine Seligkeit des Lebens fühlt als in seiner Kunst, daß, in sein Instrument versunken, er mit allen seinen Empfindungen und Kräften da lebt. Am gaffenden Publikum, ob das, wenn's ausgegafft hat, sich Rechenschaft geben kann, warum's gaffte oder nicht, was liegt an dem?
Wer also schriftlich, mündlich oder im Beispiel, immer einer besser als der andre, den sogenannten Liebhaber, das einzige wahre Publikum des Künstlers, immer näher und näher zum Künstlergeist aufheben könnte, daß die Seele mit einflösse ins Instrument, der hätte mehr getan als alle psychologische Theoristen. Die Herren sind so hoch droben im Empyreum transzendenter Tugend-Schöne, daß sie sich um Kleinigkeiten hienieden nichts kümmern, auf die alles ankommt. Wer von uns Erdensöhnen hingegen sieht nicht mit Erbarmen, wie viel gute Seelen z.B. in der Musik an ängstlicher mechanischer Ausübung hangenbleiben, drunter erliegen.
Gott erhalt unsre Sinnen, und bewahr uns vor der Theorie der Sinnlichkeit, und gebe jedem Anfänger einen rechten Meister! Weil denn die nun nicht überall und immer zu haben sind und es doch auch geschrieben sein soll, so gebe uns Künstler und Liebhaber ein peri eauton seiner Bemühungen, der Schwürigkeiten, die ihn am meisten aufgehalten, der Kräfte, mit denen er überwunden, des Zufalls, der ihm geholfen, des Geists, der in gewissen Augenblicken über ihn gekommen und ihn auf sein Leben erleuchtet, bis er zuletzt, immer zunehmend, sich zum mächtigen Besitz hinaufgeschwungen und als König und Überwinder die benachbarten Künste, ja die ganze Natur zum Tribute genötigt.
So würden wir nach und nach vom mechanischen zum intellektuellen, vom Farbenreiben und Saitenaufziehen zum wahren Einfluß der Künste auf Herz und Sinn eine lebendige Theorie versammeln, würden dem Liebhaber Freude und Mut machen und vielleicht dem Genie etwas nutzen.