Gefühl. Symptom für die Erhöhung oder Erniedrigung der Lebenstätigkeit

Das Gefühl wird auch als Symptom für die Erhöhung oder Erniedrigung der Lebenstätigkeit, der organischen, physischen Kräfte betrachtet. Anfänge der biologisch-physiologischen Gefühlsbestimmung zeigen sich bei DIOGENES von APOLLONIA, der aus dem Maße der Mischung des Blutes mit Luft die Gefühle erklärt (Theophr., De sens. 43). ARISTIPP setzt die Lust in eine sanfte (leia kinêsis) Unlust in eine heftige Bewegung (tracheia kinêsis) Diog. L. II, 86). Die Lust ist das kata to oikeion das dem Ich Naturgemäße (Plut. Qu. symp. V, 1, 2). HOBBES erklärt die Entstehung des Gefühls aus einer von den Sinneswerkzeugen zum Herzen dringenden Erregung (De corp. C. 25, 12), DESCARTES aus den Bewegungen der Lebensgeister (s. d.). Nach ZÖLLNER bewirkt der Übergang von potentieller in aktuelle Energie Lust, das Umgekehrte Unlust, und zwar gilt das auch für das Anorganische, für die Atome (Üb. d. Nat. d. Kometen 1872). Nach LOTZE mißt das Gefühl die augenblickliche Übereinstimmung zwischen Reiz und Nervensfunktion (Med. Ps. § 20, S. 239; vgl. S. 246, 253 ff., 564; Mikr. III, 525, I, 204; Gesch. d. Ästh. S. 214 f.). Es ist »das Maß der Übereinstimmung oder des Widerstreites zwischen der Wirkung eines Reizes und den Bedingungen der von ihm angeregten Tätigkeit« (Med. Psychol. S. 263). Es gibt auch gemischte Gefühle (Med. Ps. S. 262). Ähnliches lehrt SERGI (Psych. S. 304 f.; Dolore e piacere 1894), während MEYNERT Lust und Unlust auf Ernährungsverhältnisse der Großhirnrinde zurückführt. A. BAIN bemerkt (ähnlich wie HODGSON): »States of pleasure are concomitant with an increase, and states of pain with an abatement of some or all of the vital functions« (Mental and moral science 1875, p. 75; vgl. Emot. and Will C. 1 - 3, 4 - 13). L. DUMONT betrachtet als Ursache der Unlust ein starkes Abweichen von der molecularen Gleichgewichtslage der Nervensubstanz (Vergnüg. u. Schmerz 1876, S. 78 ff.). Lust entsteht, »wenn an letzter Stelle... eine Vermehrung der Kraft in der Sphäre des Bewußtseins zutage tritt« (l.c. S. 97). Das Gefühl ist keine Empfindung besonderer Art, sondern nur ein Reflex von Empfindungen (l.c. S. 100). Nach A. LEHMANN ist Lust die Folge davon, »das ein Organ während seiner Arbeit keine größere Energiemenge verbraucht, als die Ernährungstätigkeit ersetzen kann« (Hauptges. d. m. Gefühlsleb. S. 14S ff., 16 E; ähnlich G. ALLEN, Phys. Ästh. p. 21). Nach SPENCER sind Lust und Unlust Korrelaterscheinungen von Vorgängen, die für den Organismus nützlich bezw. schädlich sind (Psych. I, § 124). Als Ausdruck organischer Zustände betrachten das Gefühl bezw. den Affekt JAMES (Psychol. I, p. 143) und C. LANGE (Üb. Gemütsbeweg. 1887). Nach RIBOT ist das Gefühl (»sentiment«) eine »tendance organique«, ein Zeichen (»signe, marque«) für »certains appétits, penchants, tendances«, die befriedigt oder unbefriedigt sind (Psychol. de l'attent. p. 168 ff.; Ps. d. sentim. p. VIII; 32, 381, 434). Z. OPPENHEIMER: »Lust und Unlust entspricht dem sinnlichen Wohl- oder Übelbefinden des Subjekts, der Forderung oder Hemmung des Lebens« (Phys. d. Gef. S. 72). J. DUBOC meint, »daß das, was in dem Lustgefühl... eigentlich. vor sich geht, eine Erhöhung der Lebensenergie vorstellt« (D. Lust S.5). JODL erklärt das Gefühl als »eine psychische Erregung, in welcher der Wert einer im Zustande des lebenden Organismus oder im Zustande des Bewußtseins eingetretenen Änderung für das Wohl oder Wehe des Subjekts unmittelbar als Lust oder Schmerz wahrgenommen und« (Lehrb. d. Ps. S. 374). Er Unterscheidet die geistigen Gefühle in Formal- und Persongefühle (l.c. II2, 310 ff., 32o ff.). v. EHRENFELS erklärt Lust und Unlust aus der Annäherung bezw. Entfernung von Assimilations- und Dissimilationprocessen im Nervensystem an ein bezw. von einem Mittelmaß (Syst. d. Werttheor. I, 199). EBBINGHAUS sieht in den Gefühlen »Nebenwirkungen derselben Ursachen, die den begleitenden Empfindungen und Vorstellungen zugrunde liegen« (Gr. d. Psychol. I, 542). Sie haben Beziehungen zur Förderung und Schädigung des Organismus, eine teleologische Grundlage (l.c. S. 543 ff.), ohne unmittelbares Bewußtsein davon (l.c. S. 645). Die Arten der Gefühle ergeben sich aus den Unterschieden der Empfindungen und Vorstellungen (l.c. S. 543). Es gibt sinnliche und Vorstellungsgefühle (l.c. S. 554), Inhalts- und Beziehungsgefühle (l.c. S. 555). Nach W. JERUSALEM ist das Fühlen eine »besondere Grundsfunktion des Bewußtseins«, der Anfang und die Grundlage des Seelenlebens (Lehrb. d. Ps.3, S. 148). Immer bleiben Lust und Unlust »Symptome und Anreger, immer bleiben sie zur Erhaltung des Lebens in enger Beziehung« (S. 149). Wie Wundt (s. unten) unterscheidet Jerusalem drei Grundrichtungen des Gefühls (S. 149). Allgemeine Eigenschaften des Gefühls sind: l) »Alle Gefühle bewegen sich in Gegensätzen, zwischen denen sich eine größere oder geringere Indifferenzzone befindet.« Beide Gegensätze sind positiv. 2) »Alle Gefühle zeigen starke Abstufungen der Intensität.« 3) »Alle Gefühle äußern sich in Bewegungen.« 4) Durch Wiederholung stumpfen sich die Gefühle ab. 5) Alle Gefühle stehen mit der Erhaltung des Lebens in engem Zusammenhang (S. 150 f.). Biologisch erfolgt die Klassifikation der Gefühle in: Individualgefühle, Familien-, patriotische Gefühle, Gefühle der Sympathie (Mitgefühl); sittliche, religiöse, ästhetische, intellektuelle Gefühle (S 155 f.). Nach OSTWALD wird jede Förderung des Energiestroms im Organismus als angenehm, jede Störung als unangenehm empfunden. Nicht der Besitz, sondern der Verbrauch überschüssiger Energievorräte ist von Lust begleitet (Vorles. üb. Naturphilos.2, S. 388). Vgl. BEAUNIS, Sensat. Internes, ch. 17 ff.; KRÖNER, Das körperl. Gefühl.


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