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September 1917

Von der Sinai-Front

Schopenhauer macht in »Parerga und Paralipomena« 11., Kapitel 15, in dem Dialog »Über Religion« zu der Stelle, wo er von dem »Mord- und Raubzug ins gelobte Land« spricht, den das auserwählte Volk Gottes antrat — um es, als Land der Verheißung »auf Jehovahs ausdrücklichen, stets wiederholten Befehl, nur ja kein Mitleid zu kennen, unter völlig schonungslosem Morden und Ausrotten aller Bewohner, selbst der Weiber und Kinder (Josua, Kap. 10 und 11) den rechtmäßigen Besitzern zu entreißen« —, die folgende Anmerkung:

Wenn ein Mal, im Lauf der Zeiten, wieder ein Volk erstehn sollte, welches sich einen Gott hält, der ihm die Nachbarländer schenkt, die sodann, als Länder der »Verheißung«, zu erobern sind, so rathe ich den Nachbarn solches Volkes, bei Zeiten dazu zu thun und nicht abzuwarten, daß nach Jahrhunderten endlich ein edler König Nebukadnezar komme, die verspätete Gerechtigkeit auszuüben, sondern solchem Volke zeitig die Verheißungen auszutreiben, wie auch den Tempel des so großmüthig die Nachbarländer verschenkenden Gottes bis auf den letzten Stein zu zermalmen, — und das von Rechtswegen.

Und dann:

Übrigens ist der Eindruck, den das Studium der Septuaginta bei mir nachgelassen hat, eine herzliche Liebe und innige Verehrung des megas basileus Nabouchôdonosor, wenn er auch etwas zu gelinde verfahren ist mit einem Volke, welches sich einen Gott hielt, der ihm die Länder seiner Nachbarn schenkte oder verhieß, in deren Besitz es sich dann durch Rauben und Morden setzte und dann dem Gotte einen Tempel darin baute. Möge jedes Volk, das sich einen Gott hält, der die Nachbarländer zu »Ländern der Verheißung« macht, rechtzeitig seinen Nebukadnezar finden und seinen Antiochus Epiphanes dazu, und weiter keine Umstände mit ihm gemacht werden!

Ich habe diese Sätze lange nach dem »Gebet an die Sonne von Gibeon« kennen gelernt. Wer sie liest, wird dieses Gedicht und die große Identität, deren Erfassung sein Gedanke ist, verstehen und von der prophetischen Offenbarung Schopenhauers erschüttert sein.

Vgl.: Die Fackel, Nr. 462-471, XIX. Jahr
Wien, 9. Oktober 1917.