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Übersinnlich

Übersinnlich. Das (absolut) Übersinnliche ist das, was nicht bloß alle sinnliche Wahrnehmung, sondern auch alle begriffliche Verarbeitung von Sinnesdaten, alle Erfahrungserkenntnis übersteigt (vgl. Transzendent), was als von den Formen unserer sinnlich bedingten Erkenntnis unabhängig seiend zwar gedacht, aber nicht erkannt werden kann. Nur in praktischmoralischer Absicht läßt sich das Übersinnliche in uns und außer uns, das Intelligible, das Noumenon (s. d.), das Ding an sich (s. d.) bestimmen. Die praktische Vernunft führt zu Postulaten (s. d.), die dem Übersinnlichen, dessen Existenz und Beschaffenheit rein theoretisch (spekulativ) nicht festzustellen ist, Geltung für das sittliche Handeln, als eine Bedingung desselben, verleihen. Es gibt einen (notwendigen) Vernunftglauben an das Übersinnliche, das aber nur symbolisch-analogisch zu bestimmen ist.

Ohne sinnliche Anschauung geben die Kategorien keine Erkenntnis. Da wir ohne Kategorien nicht von Dingen urteilen können, gibt es vom Übersinnlichen — in theoretischer Beziehung — schlechterdings keine Erkenntnis, Üb. e. Entdeck. 1. Abs. C (V 3, 45). „Vom Übersinnlichen ist. was das spekulative Vermögen der Vernunft betrifft, keine Erkenntnis möglich (Noumenorum non datur scientia)“, Fortschr. d. Metaph. 1. Abt. V. d. Umfange... (V 3, 103). Als eine „Nothilfe für Begriffe des Übersinnlichen“ gibt es eine „Symbolisierung“ dieser Begriffe (Ideen). Das „Symbol einer Idee“ ist „eine Vorstellung des Gegenstandes nach der Analogie, d. i. dem gleichen Verhältnisse zu gewissen Folgen, als dasjenige ist, welches dem Gegenstande an sich selbst zu seinen Folgen beigelegt wird, obgleich die Gegeständen selbst von ganz verschiedener Art sind“. Auf diese Art kann man vom Übersinnlichen, z. B. Gott (s. d.), „zwar eigentlich keine theoretische Erkenntnis, aber doch eine Erkenntnis nach der Analogie, und zwar die der Vernunft zu denken notwendig ist, haben; wobei die Kategorien zum Grunde liegen, weil sie zur Form des Denkens notwendig gehören, dieses mag auf das Sinnliche oder Übersinnliche gerichtet sein, ob sie gleich und gerade eben darum, weil sie für sich noch keinen Gegenstand bestimmen, keine Erkenntnis ausmachen“, ibid. 1. Abt. V. d. Art... (V 3, 107). Vom Übersinnlichen gibt es keine „theoretisch-dogmatische“ Erkenntnis, ibid. 2. Abt. 3. Stadium (V 3, 123); wohl aber eine „praktisch-dogmatische“ Bestimmung. Die Freiheit (s. d.) des Willens ist so ein Übersinnliches, „welches durch moralische Gesetze nicht allein als wirklich im Subjekt gegeben, sondern auch in praktischer Rücksicht in Ansehung des Objekts bestimmend ist, welches in theoretischer gar nicht erkennbar sein würde“, ibid. 2. Stadium (V 3, 121 f.). — Der Endzweck der reinen praktischen Vernunft ist „das höchste Gut, sofern es in der Welt möglich ist“. Dieser „Gegenstand der Vernunft“ ist übersinnlich; zu ihm als Endzweck fortzuschreiten, ist Pflicht. Ohne alle Theorie ist es unmöglich, daß die Metaphysik dieses Fortschreiten behandelt, denn der Endzweck ist nicht völlig in unserer Gewalt, „daher müssen wir uns einen theoretischen Begriff von der Quelle, woraus er entspringen kann, machen“. „Gleichwohl kann eine solche Theorie nicht nach demjenigen, was wir an den Objekten erkennen, sondern allenfalls nach dem, was wir hineinlegen, stattfinden, weil der Gegenstand übersinnlich ist. — Also wird diese Theorie nur in praktisch-dogmatischer Rücksicht stattfinden und der Idee des Endzweckes auch nur eine in dieser Rücksicht hinreichende Objekte Realität zusichern können“, ibid. 3. Stadium (V 3, 124 f.). Es gibt ein Übersinnliches „in uns“ (Freiheit), „über uns“ (Gott), „nach uns“ (Unsterblichkeit). „Wir können von der Natur übersinnlicher Gegenstände: Gottes, unseres eigenen Freiheitsvermögens und der unserer Seele (abgesondert vom Körper) gar nichts erkennen, was dieses innere Prinzip alles dessen, was zum Dasein dieser Dinge gehört, die Folgen und Wirkungen desselben betrifft, durch welche die Erscheinungen derselben uns auch nur im mindesten Grade erklärlich und ihr Prinzip, das Objekt selbst, für uns erkennbar sein könnte.“ „Nun kommt es also nur noch darauf an, ob es nicht demungeachtet von diesen übersinnlichen Gegenständen eine praktisch-dogmatische Erkenntnis geben könne.“ „In diesem Falle würden wir das übersinnliche Ding nicht nach dem, was es an sich ist, zu untersuchen haben, sondern nur, wie wir es zu denken und seine Beschaffenheit anzunehmen haben, um dem praktisch-dogmatischen Objekt des reinen sittlichen Prinzips, nämlich dem Endzweck, welcher das höchste Gut ist, für uns selbst angemessen zu sein. Wir würden da nicht Nachforschungen über die Natur der Dinge anstellen, die wir uns, und zwar bloß zum notwendigen praktischen Behuf selbst machen und die vielleicht außer unserer Idee gar nicht existieren, vielleicht nicht sein können (ob diese gleich sonst keinen Widerspruch enthält), weil wir uns dabei nur ins Überschwengliche verlaufen dürften, sondern nur wissen wollen, was jener Idee gemäß, die uns durch die Vernunft unumgänglich notwendig gemacht wird, für moralische Grundsätze der Handlungen obliegen.“ Ein solches „praktisch-dogmatisches Erkennen“ ist mehr als ein „bloßes Meinen“, aber weniger als ein „Für-wahrscheinlich-annehmen“, ibid. Auflösung der Aufgabe I (V 3, 127). Es handelt sich um einen Glauben (s. d.) der Vernunft. Eine theoretische Belehrung von der „Wirklichkeit“ der übersinnlichen Gegenstände ist unmöglich, wohl aber eine „subjektiv-, und zwar praktisch gültige und in dieser Absicht hinreichende Belehrung, so zu handeln, als ob wir wüßten, daß diese Gegenstände wirklich wären“. Der Zweck davon ist, „um dem, wozu wir so schon von selbst verbunden sind, nämlich der Beförderung des höchsten Gutes in der Welt nachzustreben, noch ein Ergänzungsstück zur Theorie der Möglichkeit desselben, allenfalls durch bloße Vernunftideen hinzuzufügen, indem wir uns jene Objekte: Gott, Freiheit in praktischer Qualität und Unsterblichkeit, nur der Forderung der moralischen Gesetze an uns zufolge selbst machen und ihnen objektive Realität freiwillig geben, da wir versichert sind, daß in diesen Ideen kein Widerspruch gefunden werden könne“. Eine Annäherung zum Übersinnlichen durch ein Fürwahrhalten von Wahrscheinlichkeitswert (s. d.) ist nicht möglich. „In theoretischer Rücksicht kommen wir der Überzeugung vom Dasein Gottes, dem Dasein des höchsten Gutes und dem Bevorstehen eines künftigen Lebens durch die stärksten Anstrengungen der Vernunft nicht im mindesten näher; denn in die Natur übersinnlicher Gegenstände gibt es für uns gar keine Einsicht. In praktischer Rücksicht aber machen wir uns diese Gegenstände selbst, sowie wir die Idee derselben dem Endzwecke unserer reinen Vernunft behilflich zu sein, urteilen, welcher Endzweck, weil er moralisch notwendig ist, dann freilich wohl die Täuschung bewirken kann, das, was in subjektiver Beziehung, nämlich für den Gebrauch der Freiheit des Menschen Realität hat, weil es in Handlungen, die dieser ihrem Gesetze gemäß sind, der Erfahrung dargelegt werden, für Erkenntnis der Existenz des dieser Form gemäßen Objektes zu halten“, ibid. (V 3, 129 ff.). Jene Ideen sind „von uns selbst willkürlich gemacht und nicht von den Objekten abgeleitet“, sie berechtigen mithin „zu nichts mehrerem als dem Annehmen in theoretischer, aber doch auch zur Behauptung der Vernunftmäßigkeit dieser Annahmen in praktischer Absicht“, ibid. (V 3, 132). Die Begriffe von Gegenständen, die durch keine mögliche Erfahrung belegt werden können, sind „leer“. „Selbst der Begriff des Übersinnlichen, an welchem die Vernunft ein solches Interesse nimmt, daß darum Metaphysik, wenigstens als Versuch, überhaupt existiert, jederzeit gewesen ist und fernerhin sein wird: dieser Begriff, ob er objektive Realität habe oder bloße Erdichtung sei, läßt sich auf dem theoretischen Wege aus derselben Ursache durch keinen Probierstein direkt ausmachen. Denn Widerspruch ist zwar in ihm nicht anzutreffen, aber, ob nicht alles, was ist und sein kann, auch Gegenstand möglicher Erfahrung sei, mithin der Begriff des Übersinnlichen überhaupt nicht völlig leer und der vermeinte Fortschritt vom Sinnlichen zum Übersinnlichen also nicht weit davon entfernt sei, für reell gehalten werden zu dürfen, läßt sich direkt durch keine Probe, die wir mit ihm anstellen mögen, beweisen oder widerlegen“, Fortschr. d. Metaph. Beilage I (V 3, 149 f.).

Das Übersinnliche ist „in theoretischer Absicht allein“ ein „wahres Geheimnis“, „welches zu enthüllen in praktischer Absicht dem menschlichen Verstande allerdings möglich ist“, V. e. vorn. Ton (V 4, 3). Es gibt keinen „theoretischen Glauben an das Übersinnliche“. „In praktischer (moralisch-praktischer) Bedeutung aber ist ein Glaube an das Übersinnliche nicht allein möglich, sondern er ist sogar mit dieser unzertrennlich verbunden“, ibid. 4. Anm. (V 4, 13). Die „übersinnlichen Gegenstände unserer Erkenntnis“ sind: Gott, Freiheit, Unsterblichkeit. „1. Gott als das allverpflichtende Wesen; 2. Freiheit als Vermögen des Menschen, die Befolgung seiner Pflichten (gleich als göttlicher Gebote) gegen alle Macht der Natur zu behaupten; 3. Unsterblichkeit als ein Zustand, in welchem dem Menschen sein Wohl oder Wehe im Verhältnis auf seinen moralischen Wert zuteil werden soll.“ „Man sieht, daß sie zusammen gleichsam in der Verkettung der drei Sätze eines zurechnenden Vernunftschlusses stehen; und da ihnen, eben darum weil sie Ideen des Übersinnlichen sind, keine objektive Realität in theoretischer Rücksicht gegeben werden kann, so wird, wenn ihnen gleichwohl eine solche verschafft werden soll, sie ihnen nur in praktischer Rücksicht, als Postulaten der moralisch-praktischen Vernunft, zugestanden werden können“, Fried, i. d. Ph. 1. Abs. B (V 4, 35).

„Wie synthetische Sätze des Übersinnlichen möglich?“ „Als regulative Prinzipien der praktischen Vernunft. Die des Sinnlichen als konstitutive Begriffe der theoretischen“, N 6345. „Man kann keine Vorstellungsart als beschränkt in Ansehung eines gewissen Prinzips denken, ohne ihr eine andere entgegenzustellen, die in Ansehung derselben allgemein ist, d. h. wenn ich eine Erkenntnis dadurch auszeichne, daß es auf die Sinnlichkeit des Subjekts eingeschränkt ist, so muß ich mir ein Erkenntnis des Übersinnlichen im Gegensatz denken und kann nachher untersuchen, ob und wie (theoretischen oder praktischen Gebrauchs) ihm Realität verschafft werden könne.“ „Das Übersinnliche zu erforschen, ist also unausweichliche Aufgabe der Vernunft“, N 6358. „Wir können zur Erkenntnis der Dinge an sich selbst (des Übersinnlichen), Gott und Unsterblichkeit, nur durch die Realität des Begriffs der Freiheit und also in praktischer Absicht gelangen und der kategorische Imperativ ist ein synthetischer Satz a priori, ohne welchen wir nichts für unsere Zwecke überhaupt a priori erkennen würden. Denn wir müssen auch solche Zwecke uns vorsetzen, die wir a priori erkennen (nicht empirische), weil sie das Übersinnliche betreffen und diese Begriffe a priori müssen aller Offenbarung des Übersinnlichen vorgehen und ihnen zum Grunde liegen“, Lose Bl. G 10; vgl. N 6339. Vgl. Charakter, Mensch, Ich, Subjekt, Vernunft, Wille, Freiheit, Hyperphysik, Erfahrung, Erkenntnis, Metaphysik, Glaube, Ästhetisch, Intelligible Welt, Realität, Ding an sich.