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Farbeneinteilung menschlich - Sprache und Artbegriffe

Es ist ja schon die Bezeichnung Mischfarbe vom menschlichen Standpunkt gedacht. In der Natur gibt es keine Mischfarbe, oder es ist doch keine mehr gemischt als die andere. In der Natur ist Grün nicht eine Mischung von Gelb und Blau, sondern durch eine besondere Zahl von sogenannten Schwingungen hervorgerufen. Auch Braun entsteht nicht durch eine Mischung von Farben, sondern höchstens durch eine Mischung von Schwingungen des Lichts. Wir kennen die Umstände nicht so genau, wie das die Optiker behaupten, aber so viel können wir sagen, dass die Farben in der Natur, also auch die Farben des nachahmenden Bildes, alle ohne Ausnahme direkt durch Ereignisse am sogenannten Lichte entstehen, nicht aber indirekt durch Mischung besonders privilegierter Farben. Erst die Malerei und die Photographie mit natürlichen Farben zwingt den Techniker, die Naturtätigkeit durch künstliche Mischung nachzuahmen. Und da greift er als Mensch zu den alten Farben, auf welche von jeher seine Aufmerksamkeit durch ihre besondere Kontrastwirkung (mag diese nun durch natürliche Zahlenverhältnisse entstanden sein oder nicht), durch ihr häufiges Vorkommen oder gar durch die Vertrautheit mit den bekanntesten Färbemitteln gelenkt worden ist. Nicht die Natur, erst der Mensch hebt durch Aufmerksamwerden aus der Unzahl, ja aus den unendlich vielen Farbennuancen eine kleine Anzahl heraus und merkt sie, indem er sie benennt. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass das menschliche Auge, wenn seine Aufmerksamkeit seit Jahrtausenden besonders auf drei oder fünf oder sieben Farben gelenkt worden ist, allmählich durch ererbte Gewohnheit für diese Farben leichter empfänglich wurde. Aber diese auch mikroskopisch sicherlich nicht nachweisbare Änderung des jüngeren Menschenauges ist kaum von Bedeutung gegenüber der Änderung der Zentralstelle im Gehirn, welche besonders drei, fünf oder sieben Farben sich gemerkt hat und nur auf sie mit Worten reagiert. Ich kann einen Gedanken, so dunkel er mir dabei aufsteigt, nicht unterdrücken, den nämlich, dass bekanntlich die gegenwärtig übliche Einteilung der prismatischen Farben oder des Regenbogens in sieben Gründfarben von Newton zufällig oder ahnungsvoll analog den sieben Tönen der Oktave zuliebe nachgebildet worden ist, dass also die Siebenzahl der jetzt üblichen Grundfarbenworte der so ganz eigentümlich erregten Aufmerksamkeit eines Forschers zu danken ist, und dass auch in der Tonwelt die Siebenzahl vielleicht auf natürlichen Harmonien beruht (die dann doch wieder auf die Organisation eines Zufallssinnes zurückgehen würden und nur abendländisch sind, wie sich z. B. aus C. Stumpfs "Tonsystem und Musik der Siamesen", Beiträge zur Akustik, Heft 3 ergibt), dass aber die Tonqualität von C, D usw. ganz gewiß auf Willkür basiert ist, da ohne Frage jede andere Tonhöhe zur Grundlage des ganzen Systems gemacht werden konnte. Mit den Tonbezeichnungen weiß ich nicht viel anzufangen, weil die Tonarten nicht eigentliche Namen haben, und zwar offenbar darum nicht, weil die Menschen in ihrer großen Masse nicht musikalisch sind und Sprache nur im ganzen Volke entsteht. Die Bezeichnungen für die Tonarten sind darum technische Ausdrücke für Fachleute geblieben und auch in romanischen Ländern nicht eigentliche Worte geworden. Die Lichtarten, welche wir Farben nennen, sind aber, wie wir sehen, eben auch nur Unterschiede, Verhältnisse, aus denen wir zufällig oder willkürlich bestimmte Verhältnisse oder Nuancen herausgegriffen und benannt haben. Und dieser ganze Vorgang der zufälligen Richtung der menschlichen Aufmerksamkeit, der uns gegenwärtig zu der Gewohnheit von sieben Farben geführt hat, scheint mir ein frappantes Beispiel zu sein für den Ursprung der Vernunft oder Sprache. Die ganze Wirklichkeitswelt zeigt uns eine fast unendliche Zahl von Gestaltungen, die allerdings nicht so lückenlos durch unendliche Nuancen ineinander übergehen wie die Farben des Regenbogens, die aber doch Tausende und Tausende von Punkten eines solchen allmählichen Überganges geben. Gesehen hat die Menschheit die Wirklichkeitswelt immer, sehen konnte sie alle die Tausende und Tausende von Punkten immer, etwa die mikroskopischen Tiere und Pflanzen abgerechnet. Aber die Aufmerksamkeit war von Anfang an auf Kontrastwirkungen, auf das, was Menschen auffällig erschien, gerichtet, und so entstand anfangs nur eine geringe Zahl von Artbegriffen, die heute von der verzweifelten Wissenschaft immer weiter vermehrt werden, die aber der populären Anschauung immer noch die geläufigsten sind. Der Artbegriff, der Löwen, Tiger usw. als Katzen zusammenfaßt, ist jünger als etwa der Artbegriff Rind; aber auch der Artbegriff Eiche oder Buche scheint jünger als der Artbegriff, der Eiche und Buche als Bäume mit eßbaren Früchten zusammenfaßte. Für die Geschichte der Vernunft ist das derselbe Vorgang, wie wenn die Aufmerksamkeit auf die blaue Farbe jünger ist als die Aufmerksamkeit auf die rote.

Wenn wir so bei einer der einfachsten Empfindungen, bei der Wahrnehmung der blauen Farbe, einsehen gelernt haben, dass die menschliche Vernunft zufällig zu der Beachtung dieser Wahrnehmung kommen konnte, wenn wir mit schauernder Resignation fühlen, dass also die Vernunft nicht eine den Menschen verliehene übermenschliche Gabe, keine unveränderliche und ewige Gottheit ist, dass die Vernunft in der Menschheit geworden ist, so geworden, wie sie ist, dass sie aber auch anders hätte werden können, als sie geworden ist, wenn wir mit dem Zucken des weggekrümmten Wurms erkennen, dass wir nicht nur bei jedem Schritte unseres armen Lebens, sondern in den für ewig und unverrückbar gehaltenen Grundgesetzen unseres geistigen Wesens ein Spiel des Weltzufalls sind, wenn wir erkennen, dass unsere Vernunft (sie ist ja Sprache) nur eine Zufallsvernunft sein kann, weil sie auf Zufallssinnen beruht, so werden wir nur mit Lächeln der Streitigkeiten gedenken, mit welchen die Anthropologen die Fragen der Sitte, des Glaubens und anderer völkerpsychologischen Tatsachen behandeln. Ob der Glaube an einen Gott, ob das Verbot der Menschenfresserei und dergleichen in einer menschlichen Vernunft, die dann unbewußt als eine einheitliche angesehen wird, liege oder nicht? Du lieber Himmel! Als ob die gewordene Menschenvernunft, die Zufallsvernunft, in moralischen Dingen etwas wüßte, wo sie selbst Farbenempfindungen nur wahrnehmen kann, wenn sie muß oder gewollt hat, nicht wenn sie will.

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