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Zwölf Wanderburschen

Man kann sich die Verlegenheit der Sprachwissenschaft an einem Beispiel von zwölf Wanderburschen klar machen. Man stelle sich einmal vor, in zwölf Städten auf der Strecke zwischen Basel und Königsberg lebten zwölf Handwerksburschen, deren Reiseweg Gegenstand einer historischen Disziplin geworden wäre. Da hätte nun ein Herr mit stupender Gelehrsamkeit bewiesen, die zwölf Handwerksburschen seien alle von Basel aufgebrochen. Der Beweis würde aus den Wahrzeichen geführt, die der Forscher den Handwerksburschen abgefragt hätte: der Baseler kenne nur das Wahrzeichen seiner eigenen Stadt, die Fassadenmalerei, der Straßburger kenne die Malerei und das Münster, der Heidelberger die Malerei, das Münster und das Heidelberger Faß, usw. über Deutsch-Krone und Danzig nach Königsberg. Der Königsberger allein kenne alle zwölf Wahrzeichen, er sei also zuletzt und allein weiter gewandert. Nun käme einmal ein anderer Gelehrter von minder stupender Gelehrsamkeit unbefangen darauf, dass die zwölf Handwerksburschen in ihren Erinnerungen gar nicht so regelmäßig und staffeiförmig aufeinander folgten. Von den Fassademalereien in Basel wüßte z. B. eigentlich niemand mehr etwas außer dem Baseler, insbesondere der Königsberger wisse nur noch dunkel etwas vom Heidelberger Faß, sonst aber nur von Königsberg. Dagegen habe der Straßburger einmal vom Danziger Goldwasser gesprochen, der Leipziger von der Stadt der reinen Vernunft, der Baseler von der Leipziger Messe und was so der allgemeinen Redensarten mehr sind. Da wäre doch der Wanderweg der zwölf Burschen auf Grund der Wahrzeichen, auf Grund ihrer Sprache also, nicht länger aufrecht zu erhalten; und wenn man keine direkten Nachrichten über ihren Reiseweg hätte, so müßte man sein Nichtwissen ehrlich eingestehen.