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Rhytmus

Der Rhythmus, den wir heute nur als eine Form der Poesie und der Musik kennen, mochte ursprünglich das sicherste Mittel sein, das Gedächtnis für eine bestimmte Wortfolge zu stärken. Einerlei, worin dieser alte Rhythmus bestand: ob im eigentlichen musikalischen Rhythmus, ob im Parallelismus der Satzglieder, ob in gestabten Reimen. Vielleicht besitzen wir in manchen Stücken der ältesten Poesie noch solche Gedächtnishilfen aus der vorschriftlichen Zeit. Für jene Greisen- und Zaubererkultur war es gleichgültig, ob so ein Gedächtnisvers die Götter anrief oder technische Regeln überlieferte. Wer die wirksamen Gebete oder Regeln am geläufigsten zur Verfügung hatte, wer das beste Gedächtnis besaß, konnte für den Erfahrensten gelten. Der Sänger war der Nachfolger des Greises, der Vorläufer des schreibenden Gelehrten. Der Rhythmus und der spätere Reim ist seit der Erfindung der Schrift für die Erfahrung überflüssig geworden; die Poesie hat sich des Rhythmus und des Reimes spielend bemächtigt, und es sind Anzeichen vorhanden, dass auch die Poesie auf diese alten Hilfen keinen unbedingten Wert mehr legt. (Vgl. mein "Wörterbuch der Philosophie", Bd. II, S. 253 f. u. 619.)