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Gegenwärtige Einteilung

Die Einteilung in einsilbige und mehrsilbige Sprachen gilt für veraltet. Ihr Grundfehler jedoch steckt auch in derjenigen Einteilung, die jetzt vielfach für die richtige gehalten wird, die in isolierende, agglutinierende und flektierende Sprachen. Diese saubere morphologische Klassifikation entspricht ganz wohl dem menschlichen Bedürfnis, vorläufig zu schematisieren, wo man nicht endgültig ordnen kann. Diese Einteilung ist jedoch in ihrem Hintergedanken unnachweisbar und wahrscheinlich falsch, und selbst in der Definition ihres Einteilungsgrundes ungenau und unhaltbar.

Für jede dieser Gruppen lassen sich Beispiele aus den buntgemischten Sprachen der Erde herbeiholen. Isolierend ist das Chinesische vielfach, so wie die Sprache unserer zweijährigen Kinder. "Onkel Dorchen Ei schenken." Flektierend sind die Sprachen, die eine so schöne Grammatik haben wie die griechische oder die deutsche Grammatik. Wie steht es aber mit der Agglutination? Agglutinierende Sprache nennt die Wissenschaft die Hauptmasse aller Sprachen der Erde darum, weil — nach Ansicht eben dieser Wissenschaft — die einzelnen Worte nicht mehr isoliert nebeneinander stehen wie in "Onkel Dorchen Ei schenken", auch die Bildungssilben noch nicht zu bloßen Flexionsformen geworden sind wie etwa in "der Onkel schenkte usw.". Es soll vielmehr eine Art Verklebung zwischen den Bildungsworten und den Stoffworten eingetreten sein, und es soll diese Verklebung der organischen Verbindung vorausgehen müssen. Der bildliche Ausdruck Agglutination ist hergenommen von dem Zusammenkleben einer Wunde, welche ihrer organischen Zusammenheilung vorausgeht. Unser Satz hätte in der agglutinierenden Periode etwa heißen können "Dorchen-Ei Onkel-Geschenk" oder vielleicht auch "Onkel-Ei Dorchen-Geschenk", wo allerdings vorausgesetzt würde, dass durch irgendwelche geistige Operationen je eines dieser Worte zu einem Formwort geworden wäre.

Doch selbst die bloße Unterbringung der Sprachen unter die drei Rubriken stößt auf Schwierigkeiten. Namentlich den richtigen Einteilungsgrund zwischen agglutinierenden und flektierenden Sprachen hat niemand definieren können, weil er in der Natur nicht vorhanden ist. Man umfaßt wohl auch beide Gruppen gemeinsam unter den Namen der flektierenden und nimmt dann eine flektierende Klasse im besonderen für die indoeuropäischen und semitischen Sprachen an. Doch selbst das genügt noch nicht. Die flektierenden Sprachen im engeren Sinne sollen sich dadurch auszeichnen, dass die Stammsilbe in der Flexion ihren Vokal ändert (binden, band, gebunden); diese Vokaländerungen aber haben in den semitischen Sprachen einen gänzlich andern Charakter. Kümmert man sich nicht um das Schema der Agglutination und um unsere europäische Auffassung von der Einsilbigkeit des Chinesischen, so gibt es wichtige Gesichtspunkte, von denen aus das isolierende Chinesisch, das agglutinierende Ungarisch unserem Sprachgefühl näher stehen als das so schön flektierende Hebräisch.