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Astronomie - Geschichte

Nach jahrtausendelangem Beobachten und Vergleichen ist es erst dem Genie Newtons gelungen, die Bewegungen der Sterne oder vielmehr die Stellungen der Sonne zu den Planeten und den Monden auf eine einzige Formel zurückzuführen, und wir sind es gewohnt, diese Formel das Gesetz der Gravitation zu nennen. Es ist eine schöne und die menschliche Wissenssehnsucht beruhigende Hypothese, wenn wir dieses sogenannte Gesetz der Gravitation nun auf die gesamte Sternenwelt anwenden. Es ist eine weitere schöne Hypothese, wenn Kant und Laplace angenommen haben, dieses Gesetz habe seit jeher geherrscht, und wenn sie mit Hilfe dieses Gesetzes die gegenwärtigen Bewegungen des Sonnensystems formulierten, das heißt mit den einfachsten Worten beschrieben, zugleich aber auch die Entstehung dieser Bewegungen zu erklären suchten. Bekanntlich ist in dieser Geschichte des Sonnensystems noch alles unsicher und die Losreißung der einzelnen Planetenmassen von der Zentralmasse bleibt nach wie vor eine Sache des Zufalls. Nun denke man sich, es wolle ein kühner Geist die Entstehung des Himmels schreiben und zwar so, dass er aus der durchaus unerklärten und durch nichts als den Zufall zu erklärenden Entstehung der Sonnenplaneten historische Gesetze, Gesetze einer Geschichte des Himmels erschlösse. Es wäre ein luftiges Phantasiegebäude. Aber diese Gesetze wären wenigstens unkontrollierbar. Solche historische Gesetze für die Weltgeschichte, die politische oder die Kulturgeschichte aufzustellen, ist noch weniger gelungen, weil sie sich an den harten kontrollierbaren Tatsachen stoßen. Nun betrachte man gar diejenigen Erscheinungen der Analogie, welche man Gesetze der Sprachgeschichte zu nennen großmütig oder eitel genug war. Die astronomischen Gesetze, die schon vor Newton entdeckt waren, haben ihre Probe so weit bestanden, dass man den Kalender nach ihnen einrichten, das heißt die Jahreseinteilung voraussagen konnte. Das konnte man aber schon nach dem Ptolemäischen System, dessen Fiktioncharakter doch selbst den Arabern bekannt war. Das höhere Gesetz der Gravitation hat nicht einmal zu einer einstimmigen Ansicht von der Zukunft des Sonnensystems geführt. Die paar Sprachgesetze gar haben nur rückwirkende Kraft, was schon darauf schließen lassen sollte, dass sie nicht einmal nach dem bescheidenen Sprachgebrauche wirkliche Gesetze sind; Wenn wir erfahren, dass im Französischen das lateinische t zwischen zwei Vokalen und unter gewissen anderen Umständen unausgesprochen bleibt, dass "darum" père, mère, frère, larron, pierre, chaîne aus pater, mater, frater, latro, petra, catena entstehen, so sind wir in der Erkenntnis der Ursache nicht um einen Schritt weiter gekommen. Wir haben doch nur die Analogie aus einer Anzahl von Fällen herausgehoben, aber wahrhaftig diese Analogie nicht unter eine allgemeinere Formel gebracht, die auch nur menschlich für ihren Grund gelten könnte, so wie etwa die allgemeinere Formel Gravitation für den Grund der fallähnlichen Bewegungen gilt. Es können die Gesetze des Lautwandels nur höchst uneigentlich Gesetze genannt werden, aber selbst wenn die Lautgesetze den chemischen oder physikalischen Gesetzen ebenbürtig wären, so besäßen wir in ihnen immer noch keine Sprachgesetze, weil die Sprache doch nur um der Wortbedeutungen willen Sprache ist, und der Lautwandel in gar keinem erkennbaren Zusammenhange steht mit dem Bedeutungswandel der Worte. Von Gesetzen des Bedeutungswandels ist zwar viel gefabelt worden, aber mehr als den Zufall hat man in der Geschichte des Bedeutungswandels bis zur Stunde nicht finden können. Man halte doch nur eine Tatsache fest: auf die Bildung der modernen Kultursprachen, der einzigen, deren Geschichte wir ein wenig kennen, ist die politische Geschichte von entscheidendem Einfluß gewesen. Die englische Sprache wäre nicht zustande gekommen ohne die Ereignisse, welche nacheinander Sachsen, Dänen und Normannen zu den früheren Bewohnern Englands führten; die romanischen Sprachen wären nicht entstanden ohne die politischen Ereignisse, welche die römische Macht und ihre lateinische Sprache hin und her führten. Selbst im alten Italien wäre etwas anderes als das klassische Latein zur Kultursprache geworden, wenn nicht gerade Rom und dort gerade der Adel die Macht erlangt hätte. In jedem Falle lagen die Verhältnisse anders. Die politische Geschichte erst kann uns lehren, bei welchem der aufeinander stoßenden Völker die einzelnen Kulturerscheinungen (Sitte, Recht, Armee, Religion, Handel) siegreich waren. Das besiegte Volk konnte den Siegern einen Teil seines geistigen Besitzes aufdrängen. So ist die Sprache jedesmal von der politischen Geschichte abhängig und doch wieder im einzelnen unabhängig. Und da die politische Geschichte schon ein Werk des Zufalls ist, so wirkt auf die Sprache der Zufall in zweiter Potenz, wenn man den negativen Begriff des Zufälligen überhaupt noch steigern kann. Jedes Wörterbuch jeder Sprache bietet lustige Beispiele für das Wirken des Zufalls. In unseren Worten stecken bald veraltete wissenschaftliche oder religiöse Anschauungen, bald Erinnerungen an vergessene Eigennamen. Neben der großen Masse der Entlehnungen, die aus dem Zufall der Geschichte zu erklären sind, laufen glückliche und unglückliche Übersetzungen und Mißverständnisse her. Launenhaft wie die Stile der Kleidertrachten sind die Übereinstimmungen, welche man Gesetze nennt. Die einzelnen Worte gar sind unberechenbar.