Abwechselnder Eintritt der Eiszeit im Norden und Süden


Wir müssen jedoch zu unserem Gegenstande zurückkehren. Ich bin überzeugt, dass EDW. FORBES' Theorie einer großen Erweiterung fähig ist. In Europa haben wir die deutlichsten Beweise der Eiszeit von den Westküsten Groß-Britanniens an bis zur Uralkette und südwärts bis zu den Pyrenäen. Aus den im Eise eingefrorenen Säugetieren und der Beschaffenheit der Gebirgsvegetationen können wir schließen, dass Sibirien auf ähnliche Weise betroffen wurde. Im Libanon bedeckte früher, nach Dr. HOOKER, ewiger Schnee die zentrale Axe und speiste Gletscher, welche in seine Täler 4000 Fuß sich hinabsenkten. Derselbe Beobachter hat neuerdings auf der Atlas-Kette in Nord-Afrika auf geringen Höhen große Moränen gefunden. Längs des Himalayas haben Gletscher an 900 engl. Meilen von einander entlegenen Punkten Spuren ihrer ehemaligen weiten Erstreckung nach der Tiefe hinterlassen und in Sikkim sah Dr. HOOKER Mais auf alten Riesenmoränen wachsen. Südlich vom großen asiatischen Kontinent auf der entgegengesetzten Seite des Aequators erstreckten sich, wie wir jetzt aus den ausgezeichneten Untersuchungen der Herren J. HAAST und HECTOR wissen, früher enorme Gletscher in Neu-Seeland tief herab; und die von Dr. HOOKER auf weit von einander getrennten Bergen gefundenen nämlichen Pflanzenarten dieser Insel sprechen für die gleiche Geschichte einer frühern kalten Zeit. Nach den von W. B. CLARKE mir mitgeteilten Tatsachen scheinen deutliche Spuren von einer frühern Gletschertätigkeit auch in den Gebirgen der süd-östlichen Spitze Neuhollands vorzukommen.

Sehen wir uns in Amerika um. In der nördlichen Hälfte sind von Eis transportierte Felstrümmer beobachtet worden an der Ostseite des Kontinents abwärts bis zum 36°-37° und an der Küste des Stillen Meeres, wo das Klima jetzt so verschieden ist, bis zum 46° nördlicher Breite; auch in den Rocky Mountains sind erratische Blöcke gesehen worden. In der Cordillera von Süd-Amerika haben sich beinahe unter dem Aequator Gletscher ehedem weit über ihre jetzige Grenze herabbewegt. In Zentral-Chile habe ich einen ungeheuren Haufen von Detritus mit großen erratischen Blöcken untersucht, welcher das Portillothal quer durchsetzt, und von welchem kaum zu bezweifeln ist, dass er eine ungeheure Moräne bildete; und D. FORBES teilt mir mit, dass er in verschiedenen Teilen der Cordillera von 13°-30° S. Br. in der ungefähren Höhe von 12000 Fuß starkgefurchte Felsen gefunden hat, ganz wie jene, die er in Norwegen gesehen, sowie große Detritusmaßen mit gefurchten Geschieben. Längs dieser ganzen Cordillerenstrecke gibt es selbst in viel beträchtlicheren Höhen gar keine wirklichen Gletscher. Weiter südwärts finden wir an beiden Seiten des Kontinents, von 41° Br. bis zur südlichsten Spitze, die klarsten Beweise früherer Gletschertätigkeit in zahlreichen mächtigen, von ihrer Geburtsstätte weit entführten Blöcken.

Nach diesen verschiedenen Tatsachen: — dass nämlich die Wirkung des Eises sich ganz rings um die nördliche und südliche Hemisphäre erstreckte, dass diese Periode in beiden Hemisphären eine im geologischen Sinne neuere gewesen ist, dass sie in beiden, nach der Größe ihrer Wirkungen zu schließen, sehr lange gedauert hat, und endlich dass Gletscher noch neuerdings auf ein niedriges Niveau der ganzen Cordillerenkette entlang herabgestiegen sind, — schien mir früher der Schluss unvermeidlich zu sein, dass während der Eiszeit die Temperatur der ganzen Erde gleichzeitig gesunken sei. Nun hat aber CROLL in einer Reihe ausgezeichneter Abhandlungen zu zeigen versucht, dass ein eisiger Zustand des Klimas das Resultat verschiedener, durch eine Zunahme der Exzentrizität der Erdbahn in Wirksamkeit tretender physikalischer Ursachen ist. Alle diese Ursachen streben nach dem gleichen Ziele; die wirksamste scheint aber der Einfluss der Exzentrizität auf die ozeanischen Strömungen zu sein. Aus CROLL's Untersuchungen folgt, dass kalte Perioden regelmäßig alle zehn- oder fünfzehntausend Jahre wiederkehren, dass aber in Folge gewisser zusammentreffender Umstände, von denen, wie Sir CH. LYELL gezeigt hat, die relative Lage von Land und Wasser die bedeutungsvollste ist, in noch viel längeren Zwischenräumen die Kälte äußerst streng wird und lange Zeit anhält. CROLL glaubt, dass die letzte große Eiszeit vor ungefähr 240000 Jahren eintrat und mit unbedeutenden Änderungen des Klimas ungefähr 160000 Jahre anhielt. In Bezug auf ältere Eisperioden sind mehrere Geologen in Folge direkter Beweise überzeugt, dass solche während der Miocen- und Eocenformationen, noch älterer Formationen nicht zu gedenken, vorkamen. In Bezug auf unseren vorliegenden Gegenstand ist indes das wichtigste Resultat, zu dem CROLL gelangte, das, dass, sobald die nördliche Hemisphäre eine Kälteperiode zu durchleben hat, die Temperatur der südlichen Hemisphäre faktisch erhöht ist mit viel milderen Wintern und zwar hauptsächlich in Folge von Veränderungen in der Richtung der Meeresströmungen. Und so ist es umgekehrt mit der nördlichen Hemisphäre, wenn die südliche eine Eiszeit durchmacht. Diese Folgerungen werfen ein so bedeutendes Licht auf geographische Verbreitung, dass ich sehr geneigt bin, sie für richtig zu halten. Ich will aber zunächst die einer Erklärung bedürftigen Tatsachen mitteilen.

Dr. HOOKER hat gezeigt, dass in Süd-Amerika, außer vielen nahe verwandten Arten, zwischen 40 und 50 Blütenpflanzen des Feuerlandes, welche keinen unbeträchtlichen Teil der dortigen kleinen Flora bilden, trotz der ungeheuren Entfernung der beiden, auf entgegengesetzten Hemisphären liegenden Punkte, Nord-Amerika und Europa gemeinsam zukommen. Auf den hochragenden Gebirgen des tropischen Amerikas kommt eine Menge besonderer Arten aus europäischen Gattungen vor. Auf den Organ-Bergen Brasiliens hat GARDNER einige wenige europäische temperierte, einige antarktische und einige Andengattungen gefunden, welche in den weitgedehnten warmen Zwischenländern nicht vorkommen. An der Silla von Caracas fand AL. von HUMBOLDT schon vor langer Zeit zu zwei Gattungen, welche für die Cordillera bezeichnend sind, gehörende Arten.

In Afrika kommen auf den abyssinischen Gebirgen verschiedene charakteristische europäische Formen und einige wenige stellvertretende Arten der eigentümlichen Flora des Caps der guten Hoffnung vor. Am Kap der guten Hoffnung sind einige wenige europäische Arten, die man nicht für eingeführt hält, und auf den Bergen verschiedene stellvertretende Formen europäischer Arten gefunden worden, die man in den tropischen Ländern Afrikas noch nicht entdeckt hat. Dr. HOOKER hat auch unlängst gezeigt, dass mehrere der auf den oberen Teilen der hohen Insel Fernando Po und auf den benachbarten Cameroon-Bergen im Golfe von Guinea wachsenden Pflanzen mit denen der abyssinischen Gebirge an der andern Seite des afrikanischen Kontinents und mit solchen des gemäßigten Europas nahe verwandt sind. Wie es scheint hat auch, nach einer Mitteilung Dr. HOOKER's , R. T, LÖWE einige dieser selben gemäßigten Pflanzen auf den Bergen der Capverdischen Inseln entdeckt. Diese Verbreitung derselben temperierten Formen, fast unter dem Aequator, quer über den ganzen Kontinent von Afrika bis zu den Bergen der Capverdischen Inseln ist eine der staunenerregendsten Tatsachen, die je in Bezug auf die Pflanzengeographie bekannt geworden sind.

Auf dem Himalaya und auf den vereinzelten Bergketten der indischen Halbinsel, auf den Höhen von Ceylon und den vulcanischen Kegeln Javas treten viele Pflanzen auf, welche entweder der Art nach identisch sind, oder sich wechselseitig vertreten und zugleich für europäische Formen vicariieren, die in den dazwischen gelegenen warmen Tiefländern nicht gefunden werden. Ein Verzeichnis der auf den höheren Bergspitzen Javas gesammelten Gattungen liefert ein Bild wie von einer auf einem Berge Europas gemachten Sammlung. Noch viel auffallender ist die Tatsache, dass eigentümliche südaustralische Formen durch Pflanzen vertreten werden, welche auf den Berghöhen von Borneo wachsen. Einige dieser australischen Formen erstrecken sich, wie ich von Dr. HOOKER höre, bis längs der Höhen der Halbinsel Malacca und kommen dünn zerstreut einerseits über Indien und andererseits nordwärts bis Japan vor.

Auf den südlichen Gebirgen Neuhollands hat Dr. F. MÜLLER mehrere europäische Arten entdeckt; andere nicht von Menschen eingeführte Spezies kommen in den Niederungen vor, und, wie mir Dr. HOOKER sagt, könnte noch eine lange Liste von europäischen Gattungen aufgestellt werden, die sich in Neuholland, aber nicht in den heissen Zwischenländern finden. In der vortrefflichen Einleitung zur Flora Neu-Seelands liefert Dr. HOOKER noch andere analoge und schlagende Beispiele hinsichtlich der Pflanzen dieser großen Insel. Wir sehen daher, dass über der ganzen Erdoberfläche einesteils die auf den höheren Bergen der Tropen wachsenden Pflanzen, wie andernteils die in gemäßigten Tiefländern der nördlichen und der südlichen Hemisphäre verbreiteten entweder dieselben identischen Arten oder Varietäten der nämlichen Arten sind. Es ist indes zu beachten, dass diese Pflanzen nicht streng genommen arktische Formen sind; denn wie H. G. WATSON bemerkt hat, »je weiter man von polaren nach äquatorialen Breiten fortschreitet, desto mehr werden die alpinen oder Gebirgsfloren faktisch immer weniger und weniger arktisch.« Neben diesen identischen und nahe verwandten Formen gehören viele von den dieselben weit von einander getrennten Bezirke bewohnenden Arten Gattungen an, welche jetzt nicht mehr in den dazwischenliegenden tropischen Tiefländern gefunden werden.

Dieser kurze Umriss bezieht sich nur auf Pflanzen allein, aber einige wenige analoge Tatsachen lassen sich auch über die Verteilung der Landtiere anführen. Auch bei den Seetieren kommen ähnliche Fälle vor. Ich will als Beleg die Bemerkung eines der besten Gewährsmänner, des Professor DANA anführen, »dass es gewiss eine wunderbare Tatsache ist, dass Neu-Seeland hinsichtlich seiner Kruster eine größere Verwandtschaft mit seinem Antipoden Groß-Britannien als mit irgend einem andern Teile der Welt zeigt.« Ebenso spricht Sir J, RICHARDSON von dem Wiedererscheinen nordischer Fischformen an den Küsten von Neu-Seeland, Tasmanien u.s.w. Dr. HOOKER sagt mir, dass Neu-Seeland 25 Algenarten mit Europa gemein hat, die in den tropischen Zwischenmeeren noch nicht gefunden worden sind.

Nach den vorstehend angeführten Tatsachen, nämlich dem Vorhandensein von Formen gemäßigter Breiten auf den Höhenzügen quer durch das ganze äquatoriale Afrika und der Halbinsel von Indien entlang bis nach Ceylon und dem Malayischen Archipel und in einer weniger scharf markierten Weise quer durch das weit ausgedehnte tropische Süd-Amerika, scheint es fast sicher zu sein, dass in einer frühern Periode; und zwar ohne Zweifel während des allerkältesten Teils der Eiszeit, die Tiefländer dieser großen Kontinente unter dem Aequator überall von einer beträchtlichen Anzahl temperierter Formen bewohnt gewesen sind. In dieser Zeit war das äquatoriale Klima im Niveau des Meeresspiegels wahrscheinlich dasselbe, was jetzt in denselben Breiten bei einer Höhe von fünf- bis sechstausend Fuß herrscht oder vielleicht selbst noch kälter. Während dieser kältesten Zeit müssen die Tiefländer unter dem Aequator mit einer gemischten tropischen und temperierten Vegetation bekleidet gewesen sein, ähnlich der von HOOKER beschriebenen, welche jetzt an den niedrigeren Abhängen des Himalaya in einer Höhe von vier- bis fünftausend Fuß üppig gedeiht, aber vielleicht mit einem noch bedeutenderen Vorherrschen temperierter Formen. So fand ferner MANN auf der gebirgigen Insel Fernando Po im Golf von Guinea, dass in der Höhe von ungefähr fünftausend Fuß temperierte europäische Formen aufzutreten beginnen. Auf den Bergen von Panama fand Dr. SEEMANN die Vegetation in einer Höhe von nur zweitausend Fuß der von Mexico gleich, indes sind dabei »Formen der tropischen Zone harmonisch mit Formen der temperierten untermischt«.

Wir wollen nun zusehen, ob CROLL's Schluss, dass in der Zeit, wo die nördliche Hemisphäre von der stärksten Kälte der großen Glacialperiode ergriffen war, die südliche Hemisphäre in der Tat wärmer gewesen ist, irgend welches Licht auf die gegenwärtige scheinbar unerklärliche Verbreitung verschiedener Organismen in den temperierten Teilen beider Hemisphären und auf den Gebirgen der Tropen wirft. Die Eiszeit muss nach Jahren gemessen sehr lang gewesen sein; und wenn wir uns daran erinnern, über welch' ungeheure Räume einige naturalisierte Pflanzen und Tiere innerhalb weniger Jahrhunderte verbreitet worden sind, so wird jene Zeit lang genug für jeden Grad der Wanderung gewesen sein. Wir wissen, dass, als die Kälte immer intensiver wurde, arktische Formen in gemäßigte Breiten einwanderten; und nach den eben mitgeteilten Tatsachen kann darüber kaum ein Zweifel bestehen, dass einige der kräftigeren, herrschenden und am weitesten verbreiteten temperierten Formen damals in die äquatorialen Tiefländer einzogen. Die Bewohner dieser heissen Tiefländer werden in derselben Zeit nach den tropischen und subtropischen Gegenden des Südens gewandert sein, denn die südliche Hemisphäre war in dieser Periode wärmer. Als mit dem Ausgange der Glacialperiode beide Hemisphären nach und nach ihre früheren Temperaturen wieder erhielten, werden die nordischen temperierten Formen, welche jetzt in den Tiefländern unter dem Aequator lebten, nach ihren früheren Wohnplätzen getrieben oder zerstört und durch die aus dem Süden zurückkehrenden äquatorialen Formen ersetzt worden sein. Indess werden beinahe gewiss einige der nordischen temperierten Formen jedes benachbarte Hochland erstiegen haben, wo sie, wenn es hinreichend hoch war, lange sich erhalten konnten, wie die arktischen Formen auf den Gebirgen Europas .Sie werden sich selbst dann haben erhalten können, wenn ihnen das Klima nicht vollständig entsprach, denn die Veränderung der Temperatur muss sehr langsam gewesen sein, und unzweifelhaft besitzen die Pflanzen eine gewisse Fähigkeit zur Akklimatisierung, wie daraus hervorgeht, dass sie ihren Nachkommen konstitutionelle Verschiedenheiten mit Bezug auf das Widerstandsvermögen gegen Hitze und Kälte überliefern.

Im regelmäßigen Verlaufe der Ereignisse wird nun die südliche Hemisphäre einer intensiven Glacialzeit unterworfen worden sein, während die nördliche Hemisphäre wärmer wurde; und dann werden umgekehrt die südlichen temperierten Formen in die äquatorialen Tiefländer eingewandert sein. Die nordischen Formen, welche vorher auf den Gebirgen zurückgelassen worden waren, werden nun herabsteigen und sich mit südlichen Formen vermischen. Diese letzteren werden, als die Wärme zurückkehrte, nach ihrer früheren Heimat zurückgekehrt sein, dabei jedoch einige wenige Arten auf den Bergen zurückgelassen und einige der nordischen temperierten Formen, welche von ihren Bergvesten herabgestiegen waren, mit sich nach Süden geführt haben. Wir werden daher einige wenige Spezies in den nördlichen und südlichen temperierten Zonen und auf den Bergen der dazwischenliegenden tropischen Gegenden identisch finden. Die eine lange Zeit hindurch auf diesen Bergen oder in entgegengesetzten Hemisphären zurückgelassenen Arten werden aber mit vielen neuen Formen zu konkurrieren gehabt haben und werden etwas verschiedenen physikalischen Bedingungen ausgesetzt gewesen sein; sie dürften daher der Modifikation in hohem Grade ausgesetzt gewesen sein und dürften im Allgemeinen nun als Varietäten oder als stellvertretende Arten erscheinen; und dies ist auch der Fall. Auch müssen wir uns daran erinnern, dass in beiden Hemisphären schon früher Glacialperioden eingetreten waren; denn diese werden in Übereinstimmung mit den nämlichen hier erörterten Grundsätzen erklären, woher es kommt, dass so viele völlig distinkte Arten dieselben weit von einander getrennten Gebiete bewohnen und zu Gattungen gehören, welche jetzt nicht mehr in den dazwischenliegenden tropischen Gegenden gefunden werden.

Es ist eine merkwürdige Tatsache, welche HOOKER hinsichtlich Amerikas und ALPHONSE DE CANDOLLE hinsichtlich Australiens stark betonen, dass viel mehr identische oder jetzt unbedeutend modifizierte Arten von Norden nach Süden als in umgekehrter Richtung gewandert sind. Wir sehen indessen einige wenige südliche Pflanzenformen auf den Bergen von Borneo und Abyssinien. Ich vermute, dass diese überwiegende Wanderung von Norden nach Süden der größeren Ausdehnung des Landes im Norden und dem Umstände, dass diese nordischen Formen in ihrer Heimat in größerer Anzahl existierten, zuzuschreiben ist, in deren Folge sie durch natürliche Zuchtwahl und Konkurrenz bereits zu höherer Vollkommenheit und Herrschaftsfähigkeit als die südlicheren Formen gelangt waren. Und als nun beide Gruppen während der abwechselnden Glacialperioden sich in den äquatorialen Gegenden durcheinander mengten, waren die nördlichen Formen die kräftigeren und im Stande, ihre Stellen auf den Bergen zu behaupten und später mit den südlichen Formen südwärts zu wandern; dasselbe fand aber mit den südlichen Formen in Bezug auf die nordischen nicht statt.

In gleicher Weise sehen wir heutzutage, dass sehr viele europäische Formen den Boden von La-Plata, Neu-Seeland und in geringerm Grade von Neuholland bedecken und die eingeborenen besiegt haben. Dagegen sind äußerst wenig südliche Formen an irgend einem Teile der nördlichen Hemisphäre naturalisiert worden, obgleich Häute, Wolle und andere Gegenstände, mit welchen Samen leicht verschleppt werden dürften, während der letzten zwei oder drei Jahrhunderte aus den Plata-Staaten, während der letzten vierzig oder fünfzig Jahre aus Australien in Menge eingeführt worden sind. Die Neilgherrie-Berge in Ost-Indien bieten jedoch eine teilweise Ausnahme dar, indem, wie mir Dr. HOOKER sagt, australische Formen sich dort rasch naturalisieren und durch Samen verbreiten. Vor der letzten großen Eiszeit waren die tropischen Gebirge ohne Zweifel mit einheimischen Alpenpflanzen bevölkert; diese sind aber fast überall den in den größeren Gebieten und wirksameren Arbeitsstätten des Nordens erzeugten herrschenden Formen gewichen. Auf vielen Inseln sind die eingeborenen Erzeugnisse durch die naturalisierten bereits an Menge erreicht oder überboten; und dies ist der erste Schritt zum Untergang. Gebirge sind Inseln auf dem Lande, und die Erzeugnisse dieser Inseln sind vor denen der größeren nordischen Länderstrecken ganz in derselben Weise zurückgewichen, wie die Bewohner wirklicher Inseln überall von den durch den Menschen daselbst naturalisierten kontinentalen Formen verdrängt werden.

Dieselben Grundsätze sind auch auf die Erklärung der Verbreitung von Landtieren und von Seeorganismen in der nördlichen und südlichen temperierten Zone und auf den tropischen Gebirgen anwendbar. Als während der Höhezeit der Glacialperiode die Meeresströmungen sehr verschieden von den jetzigen waren, dürften wohl einige Bewohner der temperierten Meere den Aequator erreicht haben können; von diesen werden vielleicht einige wenige sofort im Stande gewesen sein, unter Benutzung der kälteren Strömungen nach Süden zu wandern, während andere die kälteren Tiefen aufsuchten und dort leben blieben, bis die südliche Hemisphäre ihrerseits nun einem glacialen Klima unterworfen wurde und ihre weiteren Fortschritte ermöglichte, in beinahe derselben Weise, wie nach der Angabe von FORBES isolierte Stellen in den tieferen Teilen der nördlichen temperierten Meere auch heutzutage existieren, welche von arktischen Formen bewohnt werden.

Ich bin weit entfernt zu glauben, dass alle Schwierigkeiten in Bezug auf die Ausbreitung und die Beziehungen der identischen und verwandten Arten, welche jetzt so weit von einander getrennt in der nördlichen und der südlichen gemäßigten Zone und zuweilen auch auf den zwischenliegenden Gebirgsketten wohnen, durch die oben entwickelten Ansichten beseitigt sind. Die genauen Richtungen der Wanderung lassen sich nicht nachweisen. Wir können nicht angeben, warum gewisse Spezies gewandert sind und andere nicht, warum gewisse Spezies Abänderung erfahren haben und zur Bildung neuer Formengruppen Anlass gegeben haben, während andere unverändert geblieben sind. Wir können nicht hoffen solche Tatsachen zu erklären, solange wir nicht zu sagen vermögen, warum eine Art und nicht die andere durch menschliche Tätigkeit in fremden Landen naturalisiert werden kann, oder warum die eine zwei- oder dreimal so weit verbreitet und zwei- oder dreimal so gemein wie die andere Art in ihren Heimatgebieten ist.

Es bleiben auch noch verschiedene spezielle Schwierigkeiten zu lösen übrig: z, B. das von Dr. HOOKER nachgewiesene Vorkommen derselben Pflanzen auf so enorm weit auseinanderliegenden Punkten wie Kerguelen-Land, Neu-Seeland und Feuerland; wie indessen LYELL vermutet hat, mögen Eisberge bei ihrer Verbreitung mit tätig gewesen sein. Das Vorkommen mehrerer ganz verschiedener Arten, aber aus ausschließlich südlichen Gattungen, an diesen und anderen entlegenen Punkten der südlichen Hemisphäre ist ein weit merkwürdigerer Fall. Denn einige dieser Arten sind so abweichend, dass sich nicht annehmen lässt, die Zeit vom Anbeginn der Eiszeit bis jetzt könne zu ihrer Wanderung und nachherigen Abänderung bis zum erforderlichen Grade hingereicht haben. Die Tatsachen scheinen mir darauf hinzuweisen, dass verschiedene zu denselben Gattungen gehörige Arten in strahlenförmiger Richtung von irgend einem gemeinsamen Zentrum ausgegangen sind, und ich bin geneigt mich auch in der südlichen, ebenso wie in der nördlichen, Halbkugel nach einer früheren wärmeren Periode, vor dem Beginn der letzten Eiszeit, umzusehen, wo die jetzt mit Eis bedeckten antarktischen Ländern eine ganz eigentümliche und abgesonderte Flora besessen haben. Es lässt sich vermuten, dass schon vor der Vertilgung dieser Flora während der Eiszeit sich einige wenige Formen derselben durch gelegentliche Transportmittel bis zu verschiedenen weit entlegenen Punkten der südlichen Halbkugel verbreitet hatten. Dabei mögen ihnen jetzt versunkene Inseln als Ruheplätze gedient haben. Durch diese Mittel, glaube ich, mögen die südlichen Küsten von Amerika, Neuholland und Neu-Seeland eine ähnliche Färbung durch dieselben eigentümlichen Formen des Lebens erhalten haben.

Sir CH. LYELL hat an einer merkwürdigen Stelle mit einer der meinen fast identischen Redeweise Betrachtungen über die Einflüsse großer über die ganze Erde ausgedehnter Schwankungen des Klimas auf die geographische Verbreitung der Lebensformen angestellt. Und wir haben soeben gesehen, wie CROLL's Folgerungen, dass abwechselnd eintretende Glacialperioden auf der einen Hemisphäre mit wärmeren Perioden der entgegengesetzten Hemisphäre zusammenfielen, in Verbindung mit der Annahme einer langsamen Modifikation der Arten, eine Menge von Tatsachen in der Verbreitung der nämlichen und der verwandten Formen auf allen Teilen der Erde erklären. Die Ströme des Lebens sind während gewisser Perioden von Norden und während anderer von Süden her geflossen und haben in beiden Fällen den Aequator erreicht; aber die Ströme sind von Norden her viel stärker gewesen als die in umgekehrter Richtung und haben folglich viel reichlicher den Süden überschwemmt. Wie die Fluth ihren Antrieb in wagerechten Linien abgesetzt am Strande zurücklässt, jedoch dort am höchsten, wo die Fluth am höchsten ansteigt, so haben auch die Lebensströme ihren lebendigen Antrieb auf unseren Bergeshöhen hinterlassen in einer von den arktischen Tiefländern bis zu großen Höhen unter dem Aequator langsam aufsteigenden Linie. Die verschiedenen so gestrandeten Wesen kann man mit wilden Menschenrassen vergleichen, die fast allerwärts zurückgedrängt sich noch in Bergvesten erhalten als interessante Überreste der ehemaligen Bevölkerung der umgebenden Flachländer.


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