
Unterbrechung geologischer Formationen
Aber die Unvollständigkeit der geologischen Urkunden rührt hauptsächlich von einer andern und weit wichtigeren Ursache her, als irgend eine der vorhin angegebenen ist, davon nämlich, dass die verschiedenen Formationen durch lange Zeiträume von einander getrennt sind. Auf diese Behauptung ist von manchen Geologen und Paläontologen, welche wie E. FORBES nicht an eine Veränderlichkeit der Arten glauben mögen, großer Nachdruck gelegt worden. Wenn wir die Formationen in wissenschaftlichen Werken in Tabellen geordnet finden, oder wenn wir sie in der Natur verfolgen, so können wir nicht wohl anzunehmen vermeiden, dass sie unmittelbar aufeinander gefolgt sind. Wir wissen aber z.B. aus Sir R. MURCHISON's großem Werke über Russland, was für weite Lücken in jenem Lande zwischen den aufeinanderliegenden Formationen bestehen; und so ist es auch in Nord-Amerika und vielen anderen Weltgegenden.
Und doch würde der beste Geologe, wenn er sich ausschließlich mit diesen weiten Ländergebieten allein beschäftigt hätte, nimmer vermutet haben, dass während dieser langen Perioden, aus welcher in seiner eigenen Gegend kein Denkmal übrig ist, sich große Schichtenlagen voll neuer und eigentümlicher Lebensformen anderweitig aufeinander gehäuft haben, und wenn man sich in jeder einzelnen Gegend kaum eine Vorstellung von der Länge der Zeiten zwischen den aufeinanderfolgenden Formationen zu machen im Stande ist, so wird man glauben, dass dies nirgends möglich sei. Die häufigen und großen Veränderungen in der mineralogischen Zusammensetzung aufeinanderfolgender Formationen, welche gewöhnlich auch große Veränderungen in der geographischen Beschaffenheit des umgebenden Landes vermuten lassen, aus welchem das Material zu diesen Ablagerungen entnommen ist, stimmt mit der Annahme ungeheuer langer zwischen den einzelnen Formationen verflossener Zeiträume überein.
Wir können, wie ich glaube, einsehen, warum die geologischen Formationen jeder Gegend beinahe unabänderlich unterbrochen sind, d.h. sich nicht ohne Zwischenpausen einander gefolgt sind. Kaum hat eine Tatsache bei Untersuchung vieler hundert Meilen langer Strecken der südamerikanischen Küsten, welche in der Jetztzeit einige hundert Fuß hoch emporgehoben worden sind, einen lebhafteren Eindruck auf mich gemacht als die Abwesenheit aller neueren Ablagerungen von hinreichender Entwicklung, um auch nur eine kurze geologische Periode zu überdauern. Längs der ganzen Westküste, die von einer eigentümlichen Meeresfauna bewohnt wird, sind die Tertiärschichten so spärlich entwickelt, dass wahrscheinlich kein Denkmal von verschiedenen aufeinanderfolgenden Meeresfaunen für spätere Zeiten erhalten bleiben wird. Ein wenig Nachdenken erklärt es uns, warum längs der sich fortwährend hebenden Westküste Süd-Amerikas keine ausgedehnten Formationen mit neuen oder mit tertiären Resten irgendwo zu finden sind, obwohl nach den ungeheuren Abtragungen der Küstenwände und den schlammreichen Flüssen zu urteilen, die sich dort in das Meer ergiessen, die Zuführung von Sedimenten lange Perioden hindurch eine sehr große gewesen sein muss. Die Erklärung liegt ohne Zweifel darin, dass die litoralen und sublitoralen Ablagerungen beständig wieder weggewaschen werden, sobald sie durch die langsame oder stufenweise Hebung des Landes in den Bereich der zerstörenden Brandung gelangen.
Wir dürfen wohl schließen, dass Sediment in ungeheuer dicken soliden oder ausgedehnten Maßen angehäuft werden muss, um während der ersten Emporhebung und der späteren Schwankungen des Niveaus der ununterbrochenen Tätigkeit der Wogen ebenso wie der späteren atmosphärischen Zerstörung zu widerstehen. Solche dicke und ausgedehnte Sedimentablagerungen können auf zweierlei Weise gebildet werden: entweder in großen Tiefen des Meeres, in welchem Falle der Meeresgrund nicht von so vielen und von so verschiedenen Lebensformen bewohnt sein wird als in den seichteren Meeren; daher die Maße nach ihrer Emporhebung nur eine sehr unvollkommene Vorstellung von den zur Zeit ihrer Ablagerung dort vorhanden gewesenen Lebensformen gewähren wird; — oder die Sedimente werden über einem seichten Grund zu jeder Dicke und Ausdehnung angehäuft, wenn er beständig in langsamer Senkung begriffen ist. In diesem letzten Falle bleibt das Meer so lange seicht und für viele und verschiedenartige Formen günstig, als die Senkung des Bodens und die Zufuhr der Niederschläge einander nahezu das Gleichgewicht halten; so dass auf diese Weise eine hinreichend dicke an Fossilien reiche Formation entstehen kann, um bei ihrer späteren Emporhebung einem beträchtlichen Maße von Zerstörung zu widerstehen.
Ich bin demgemäss überzeugt, dass nahezu alle unsere alten Formationen, welche im größeren Teil ihrer Mächtigkeit reich an fossilen Resten sind, bei andauernder Senkung abgelagert worden sind. Seitdem ich im Jahre 1845 meine Ansichten über diesen Gegenstand bekannt gemacht habe, habe ich die Fortschritte der Geologie verfolgt und mit Überraschung wahrgenommen, wie ein Schriftsteller nach dem anderen bei Beschreibung dieser oder jener großen Formation zum Schlusse gelangt ist, dass sie sich während der Senkung des Bodens gebildet habe. Ich will hinzufügen, dass die einzige alte Tertiärformation an der Westküste Süd-Amerikas , die mächtig genug war, solcher Abtragung, wie sie sie bisher zu ertragen hatte, zu widerstehen, aber wohl schwerlich bis zu fernen geologischen Zeiten auszudauern im Stande ist, sich während der Senkung des Bodens gebildet und so eine ansehnliche Mächtigkeit erlangt hat.
Alle geologischen Tatsachen zeigen uns deutlich, dass jedes Gebiet der Erdoberfläche zahlreiche langsame Niveauschwankungen durchzumachen hatte, und alle diese Schwankungen haben sich augenscheinlich über weite Gebiete erstreckt. Demzufolge werden an Fossilien reiche und so mächtige und ausgedehnte Bildungen, dass sie späteren Abtragungen widerstehen konnten, während der Senkungsperioden auf weit ausgedehnten Flächen entstanden sein, doch nur so lange, wie die Zufuhr von Sediment stark genug war, um die See seicht zu erhalten und die fossilen Reste schnell genug einzubetten und zu schützen, ehe sie Zeit hatten, zu zerfallen. Dagegen konnten sich mächtige Schichten auf seichten Stellen, welche dem Leben am günstigsten sind, so lange nicht bilden, wie der Meeresboden stet blieb. Viel weniger konnte dies während wechselnder Perioden von Hebung und Senkung geschehen oder, um mich genauer auszudrücken, die Schichten, welche während solcher Schwankungen zur Zeit der Senkungen abgelagert wurden, müssen bei nachfolgender Hebung wieder in den Bereich der Brandung versetzt und so zerstört worden sein.