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Zu Ehren der priesterlichen Naturen

351.

Zu Ehren der priesterlichen Naturen. — Ich denke, von dem, was das Volk unter Weisheit versteht (und wer ist heute nicht „Volk“? —), von jener klugen kuhmäßigen Gemütsstille, Frömmigkeit und Landpfarrer-Sanftmut, welche auf der Wiese liegt und dem Leben ernst und wiederkäuend zuschaut, — davon haben gerade die Philosophen sich immer am fernsten gefühlt, wahrscheinlich weil sie dazu nicht „Volk“ genug, nicht Landpfarrer genug waren. Auch werden wohl sie gerade am spätesten daran glauben lernen, dass das Volk Etwas von dem verstehen dürfte, was ihm am fernsten liegt, von der großen Leidenschaft des Erkennenden, der beständig in der Gewitterwolke der höchsten Probleme und der schwersten Verantwortlichkeiten lebt, leben muss (also ganz und gar nicht zuschauend, außerhalb, gleichgültig, sicher, objektiv ...). Das Volk verehrt eine ganz andere Art Mensch, wenn es seinerseits sich ein Ideal des „Weisen“ macht, und hat tausendfach Recht dazu, gerade dieser Art Mensch mit den besten Worten und Ehren zu huldigen: das sind die milden, ernst-einfältigen und keuschen Priester-Naturen und was ihnen verwandt ist, — denen gilt das Lob in jener Volks-Ehrfurcht vor der Weisheit. Und wem hätte das Volk auch Grund, dankbarer sich zu erweisen als diesen Männern, die zu ihm gehören und aus ihm kommen, aber wie Geweihte, Ausgelesene, seinem Wohl Geopferte — sie selber glauben sich Gott geopfert —, vor denen es ungestraft sein Herz ausschütten, an die es seine Heimlichkeiten, seine Sorgen und Schlimmeres loswerden kann (— denn der Mensch, der „sich mitteilt“, wird sich selber los; und wer „bekannt“ hat, vergisst). Hier gebietet eine große Notdurft: es bedarf nämlich auch für den seelischen Unrat der Abzugsgräben und der reinlichen reinigenden Gewässer drin, es bedarf rascher Ströme der Liebe und starker demütiger reiner Herzen, die zu einem solchen Dienste der nicht-öffentlichen Gesundheitspflege sich bereit machen und opfern — denn es ist eine Opferung, ein Priester ist und bleibt ein Menschenopfer ... Das Volk empfindet solche geopferte stillgewordne ernste Menschen des „Glaubens“ als weise, das heißt als Wissend-Gewordene, als „Sichere“ im Verhältnis zur eigenen Unsicherheit: wer würde ihm das Wort und diese Ehrfurcht nehmen mögen? — Aber, wie es umgekehrt billig ist, unter Philosophen gilt auch ein Priester immer noch als „Volk“ und nicht als Wissender, vor Allem, weil sie selbst nicht an „Wissende“ glauben und eben in diesem Glauben und Aberglauben schon „Volk“ riechen. Die Bescheidenheit war es, welche in Griechenland das Wort „Philosoph“ erfunden hat und den prachtvollen Übermut, sich weise zu nennen, den Schauspielern des Geistes überließ, — die Bescheidenheit solcher Ungetüme von Stolz und Selbstherrlichkeit, wie Pythagoras, wie Plato — .