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Die neue Leidenschaft

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Die neue Leidenschaft. — Warum fürchten und hassen wir eine mögliche Rückkehr zur Barbarei? Weil sie die Menschen unglücklicher machen würde, als sie es sind? Ach nein! Die Barbaren aller Zeiten hatten mehr Glück: täuschen wir uns nicht! — Sondern unser Trieb zur Erkenntnis ist zu stark, als dass wir noch das Glück ohne Erkenntnis oder das Glück eines starken festen Wahnes zu schätzen vermöchten; es macht Pein, uns solche Zustände auch nur vorzustellen! Die Unruhe des Entdeckens und Erratens ist uns so reizvoll und unentbehrlich geworden, wie die unglückliche Liebe dem Liebenden wird: welche er um keinen Preis gegen den Zustand der Gleichgültigkeit hergeben würde; — ja, vielleicht sind wir auch unglücklich Liebende! Die Erkenntnis hat sich in uns zur Leidenschaft verwandelt, die vor keinem Opfer erschrickt und im Grunde Nichts fürchtet, als ihr eigenes Erlöschen; wir glauben aufrichtig, dass die gesamte Menschheit unter dem Drange und Leiden dieser Leidenschaft sich erhabener und getrösteter glauben müsste als bisher, wo sie den Neid auf das gröbere Behagen, das im Gefolge der Barbarei kommt, noch nicht überwunden hat. Vielleicht selbst, dass die Menschheit an dieser Leidenschaft der Erkenntnis zu Grunde geht! — auch dieser Gedanke vermag Nichts über uns! Hat sich denn das Christentum je vor einem ähnlichen Gedanken gescheut? Sind die Liebe und der Tod nicht Geschwister? Ja, wir hassen die Barbarei, — wir wollen Alle lieber den Untergang der Menschheit, als den Rückgang der Erkenntnis! Und zuletzt: wenn die Menschheit nicht an einer Leidenschaft zu Grunde geht, so wird sie an einer Schwäche zu Grunde gehen: was will man lieber? Dies ist die Hauptfrage. Wollen wir für sie ein Ende im Feuer und Licht oder im Sande? —