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Akustische Reize, Protistenseele

Zahlreiche Experimente haben den sorgsamen Forscher zu dem Ergebnis geführt, "daß bei den betreffenden Protisten von einer Reaktion auf Schallwellen nicht wohl gesprochen werden kann, da eine größere Anzahl nur mittelbar auf sie einwirkender Erschütterungen vollständig ohne Wirkung bleibt, und die etwa auftretenden Veränderungen nur Folge der groben sekundären Erschütterungen sind" (S. 95). Wenn ich mich recht erinnere, so reagieren seine Versuchstierchen auf Töne nur, sobald der Behälter mit dem Protisten auf einer tönenden Stimmgabel festgekittet ist. Ist aber die Frage, ob die Protisten auf akustische Reize reagieren, nicht falsch gestellt? Nicht zu menschensprachlich gestellt? "Für den Menschen"? Was sind denn akustische Reize? Außerhalb des Menschen sind sie nur Schwingungen von Körpern, akustisch werden sie erst im Ohre. Die Frage müßte also so lauten: reagieren die Protisten auf Schwingungsbewegungen und wie reagieren sie? Wenn die Protisten das Schwirren der sie umgebenden Flüssigkeit nur durch etwas wie den Tastsinn wahrnehmen, so tun sie dasselbe, was die Menschen mit den Schwingungen unter der Zahl von sechzehn und über der Zahl von sechzehntausend tun. Nach Verworn nimmt die Amoeba princeps (wenn ihr Behälter mit einem Zinken der Stimmgabel fest verkittet ist) die Schwingungen von etwa 250 bis 500 wahr und reagiert darauf wie auf andere Reize durch Einziehen der Scheinfüße. Handelte es sich dabei um rein physikalische Übertragungen der Bewegung, so wären solche Beobachtungen nur unvollständig, aber nicht irreführend. Hier handelt es sich jedoch ausdrücklich um Bewegungen auf Reize, um psycho-physiologische Vorgänge, und da kann nicht scharf genug ausgesprochen werden, daß das Vergleichen zwischen der Tonempfindung des Menschen und einer Tonempfindung der Protisten nicht angeht. Eigentlich können nur Menschen psychologisch miteinander verglichen werden; seitdem es Menschen gibt, ist instinktiv die Hypothese aufgestellt und benützt worden, daß Äußerungen meines Nebenmenschen die Folgen derselben Seelenerregungen sind wie bei mir. Selbst auf die intelligentesten und dem Menschen befreundetsten Tiere läßt sich diese Hypothese nur symbolisch anwenden, das heißt der Seelenbegriff muß metaphorisch erweitert werden, um auch nur auf den Hund angewendet werden zu können. Immer weiter geht die Metapher, auf je niedrigere (wie man sagt) Tiere der Seelenbegriff übertragen wird. Das hat auch Verworn empfunden; dennoch stellt er zu Beginn seiner Untersuchungen eine falsche Methodik auf, die natürlich ein blendendes mathematisches Gewand annimmt. Er meint: da die objektiven Äußerungen (Bewegungen) und die subjektiven Vorgänge beim Menschen, ferner die objektiven Äußerungen bei den Protisten bekannt seien, so könne man immerhin aus den drei bekannten die vierte Größe, die unbekannte, die subjektiven Vorgänge bei den Protisten, erschließen. Mir scheint diese strenge Methodik ein treffliches Beispie! für die Überschätzung der Logik und der Sprache überhaupt. Die Aufdeckung des Fehlers scheint mir bei einiger Aufmerksamkeit nicht schwer. Warum macht man denselben Schluß nicht bezüglich derjenigen Bewegungen, welche von der Schwerkraft, vom Magnetismus u. s. w. ausgelöst werden? Doch offenbar nur darum nicht, weil man bei der Vergleichung von Protistenbewegungen und Menschenbewegungen unter dem Begriffe "Bewegung" halb unbewußt eine Bewegung des Organismus, eine Bewegung auf Reize mitversteht, die uns Menschen — sobald wir uns bewegen — durch die mit ihr verbundenen Bewegungsgefühle als Lebensäußerung so wohlbekannt ist. Wo ein Forscher bei dem Begriff Bewegung nicht unwillkürlich an organische Bewegung denkt, wo er, seiner Neigung folgend, den Seelenbegriff vor der Denktätigkeit schon erweitert hat, da ergibt sich eben auch als Ergebnis die Allbeseelung, eine Seele als Ursache oder als Begleiterscheinung von Bewegungen durch Schwerkraft und durch Magnetismus. So bei Fechner, so — viel weniger metaphorisch, poetisch, viel weniger konsequent und originell — bei Haeckels Lehre von der Zellseele, der Seele des kernlosen Protoplasmas und der Atomseele. Diese metaphorische Erweiterung des Seelenbegriffs ist augenfällig. Wir haben uns damit bei dem Begriff der "Pflanzenseele" auseinandergesetzt. Sieht man genauer zu, so ist auch in der Anwendung des Begriffs Bewegung dieser verschiedene Seelenbegriff mitverstanden: es hängt von der allgemeinen Weltanschauung des Forschers, falls er überhaupt eine hat, von vornherein ab, ob er bei den Bewegungen der Protisten und bei den Bewegungen der Menschen die ähnlichen Bewegungsursachen mitversteht. Der Schluß aus den drei Bekannten steckt also schon vorher in der Vorstellung, die der Forscher sich von der Bewegung der einzelnen Protisten macht. Dehnt er den Begriff der Seele auf die Protisten aus, so setzt er voraus, was er zu beweisen vorgibt; dehnt er ihn auf die Protisten nicht aus, so hat seine Schlußfolgerung keinen Sinn.