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Arten der Wortkunst

Die Verschiedenheit der Kunstmittel trennt die Künste. Lessings Untersuchungen waren nicht notig gewesen, wenn die Künstler nicht immer wieder versucht hätten, mit falschem Material zu arbeiten. Ein richtiges Bild ist nicht durch Töne und nicht durch Worte auszudrücken. Richtige Musik nicht durch Farben und wieder nicht durch Worte. Wenn Kompositionen und Bilder eine Geschichte zu erzählen versuchen, so sind ihre Musiker und Maler stumme Esel, und wenn der Literat eine Sinfonie oder eine Landschaft erzählen will, so ist er ein schwatzhafter Esel, Bileams Esel, ein göttlicher Esel, aber doch ein Esel.

Die Sprache kann nichts weiter als Vorstellungen wecken. Eine vernünftige Sprache will auch nichts weiter, und vollends für die Wortkunst oder Poesie ist eine andere als eine durchaus anschauliche Sprache ebenso unmöglich, wie für die Malerei eine Farbe, die sich auf der Leinwand verändert, oder für die Musik ein Instrument, das sieh nicht regieren läßt. Gar nicht zu reden von sinnlosen Worten und unsichtbaren Farben. Was also hier für die Sprache des Verkehrs und der Wissenschaft gefordert wird, das war in der Poesie immer selbstverständlich. Wer von der Oberfläche unserer verbildeten, verschulten und verwahnsinnten Sprache nicht untertauchen kann in ihre farbige Tiefe, der ist unfähig, auch nur eine Zeile Poesie zu denken oder zu schreiben.

In diesem Gedankengang ist natürlich die Erzählung die erste und wichtigste Art der Poesie. Der Dichter erzeugt durch Worte den gesteigerten Sinnenreiz von Vorstellungen. Er erzählt, was er gesehen und gehört hat seit Beginn der Welt bis zu ihrem Untergang. Er hat das Wort, das Epos.

In diesem Gedankengang zeigt sich das Drama als eine ganz merkwürdige Art der Wortkunst. Gustav Landauer hat es einmal auf Grund des Wagnerischen Gesamtideals mit der Plastik verglichen. Die Ähnlichkeit mit der bildenden Kunst greift aber viel weiter. Der Dichter einer Erzählung weckt Vorstellungen durch Worte indirekt. Wer aber ein Drama aufführen läßt, erzeugt die Vorstellungen von Götz oder der Kameliendame direkt, noch direkter als der bildende Künstler, denn er läßt seine Modelle sich bewegen, genau nach Vorschrift, und läßt sie beim Handeln sprechen, genau nach Vorschrift.

Was gewöhnlich unter Lyrik zusammengefaßt wird, das kann epische und dramatische Poesie sein und ist dem Inhalte nach nichts anderes. Unzählige Kapiteleingänge und Bühnenmonologe sind ihrem Inhalte nach lyrische Poesie. Wenn man aber gewöhnlich von Lyrik spricht, so denkt man zunächst an die Form.

Im Epos scheint mir die Formfrage ganz nebensächlich. In einer Zeit, wo die Hörer den Schmuck des Rhythmus oder des Reims nicht als unnatürlich empfanden, war Rhythmus und Reim eine natürliche Sprache. Im Drama ist für unser Wirklichkeitsbewußtsein der Vers jederzeit unnatürlich. Das antike Drama war eben Musikdrama. Bei unserer Lyrik ist die Musik nicht nur häufig eine Zugabe, sondern sie ist bei der Bildung der guten Lyrik mit tätig. Es ist ganz falsch, wenn man sagt, ein gutes Gedicht müsse gesungen werden können. Ein gutes Gedicht muß wie Gesang klingen. Die eigentliche Wortkunst erweckt Vorstellungen durch die konventionellen Zeichen der Sprache. Aber diese Zeichen sind hörbar, und so haben sie neben ihrem Vorstellungswerte noch einen Klangwert. Ferner: Die Worte sind heute konventionelle Zeichen und waren doch in der Urzeit sicherlich deutlichere Symbole ihrer Vorstellungen. Ein lyrischer Dichter ist, wer die geheimnisvollen Beziehungen zwischen Dingen und Namen durch die Umformung von Jahrhunderten noch hindurchtönen hört, und wer gar außerdem die Harmonie empfinden und festhalten kann, die die Töne der menschlichen Sprachworte neben ihrer gemeinen Absicht der Kellnermitteilung noch haben. Solche Schönheit läßt sich in Dichtungen einer fremden Sprache nie erkennen. Übersetzungen sind Eselsbrücken. Der Esel, der Inhalt kommt hinüber. Das Wertvolle, was Genuß bereitet, geht verloren. Wir haben Bürger, Goethe und etwa Heine. Wer aber deutlich erkennen will, wie taube Ohren wir für die Kunst haben, der nehme eines der Millionenexemplare von Schillers Gedichten zur Hand und prüfe sie auf unsere Forderung. Anstatt, daß jedes Wort eine Vorstellung erwecken sollte, arbeitet sich der edle, ehrgeizige und geistreiche Dichter mit den abstraktesten Gedankengespenstern ab und schlägt sich mit ihren Worten herum, zuerst mit den verblasenen und langweiligen Masken des Klopstockschen Jenseits, am Ende mit den hohlen und aufgeblasenen Därmen der Kantschen Transzendenz. Anstatt die Lautsymbolik der eigenen Sprache zu fühlen, hofft er den hochgeschätzten Himmel erstürmen zu können, zuerst mit zusammengeborgten Wortungeheuern und dann durch gelehrte, d. h. verschult und tot klingende Abstraktionen, deren Laut uns auch dann nichts sagen würde, wenn der Begriff lebendig wäre. Und anstatt den Wohlklang unserer Sprache zu vernehmen, unserer deutschen Sprache, die objektiv wahrscheinlich nicht holder ist als die hottentottensche, deren innere Harmonie mir aber, weil sie mein ist, schöner klingt als jede Musik, anstatt diese Musik zu genießen und genießen zu lassen, müht er sich fast durchaus, das wohlerwogene Maß in verknöcherte Formen zu gießen, und ist zufrieden, wenn es ein gerüttelt und geschüttelt Maß gibt. Heuchelei will glauben machen, solche Kritik Schillers sei neu und darum unerhört. Aber nicht nur die Romantiker wußten besser, was Poesie ist. Auch F. Th. Vischer sagt (Ästhetik III, 1218): "Schillers zu glänzender Jambenstrom verrät einen inneren Mangel seiner poetischen Begabung, wo er nicht durch feurige Energie im speziellen Zusammenhange motiviert ist."

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