Zum Hauptinhalt springen

Poesie und Liebe

Ursprünglich war Poesie gewiß oft der Hochzeitstanz der zweibeinigen Menschen, wie Scherer das in seinen Vorlesungen über Poetik angenommen hat, vielleicht von Platner oder unmittelbar von Hogarth angeregt. Und so gewiss die Hochzeitsfarben vieler Tiere, das Hochzeitskleid von Vögeln und von Fischen natürlich sind, so gewiß sind auch die Bräutigamssprünge des Hahns und die Hochzeitstänze des Menschen natürlich. Nur ist es von unseren Gelehrten noch niemals bemerkt worden, daß die poetische Sprache der Menschen geradezu Worte hat für die Hochzeitsfarben der Natur.

Allerdings müßten wir unser menschliches Empfinden für einen Augenblick vergessen, wir müßten unmenschlich sehen, um zu erkennen, daß die Farben, die uns am Leib und im Antlitz der Geliebten entzücken, Hochzeitsfarben der Natur sind, von einem unmenschlichen Standpunkt betrachtet ebenso seltsam oder drollig, wie die Federn des geschlechtsreif en Vogels oder die Hinterbacken des Mandrills. Die ererbte Poetensprache schämt sich auch gar nicht, von einem Lilienleib, von Rosenwangen, von Korallenlippen und von flatterndem Goldhaar zu reden. Allerdings sind solche Ausdrücke jetzt nicht mehr allgemein Mode; niemand aber ahnt, daß es atavistische Äußerungen waren aus dem Geschmack einer Urzeit, in der der Urmensch mit den Reißzähnen von den Hochzeitsfarben zu Hochzeitstänzen verlockt wurde. Man stelle sich eine blaustrümpfige Mandrillin vor, die die Farben ihres Gatten besingt.