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Klaggesang

von der edlen Frauen des Asan Aga
Aus dem Morlackischen

Was ist Weißes dort am grünen Walde?
Ist es Schnee wohl, oder sind es Schwäne?
Wär es Schnee, er wäre weggeschmolzen;
Wären’s Schwäne, wären weggeflogen.
Ist kein Schnee nicht, es sind keine Schwäne,
’s ist der Glanz der Zelten Asan Aga.
Nieder liegt er drin an seiner Wunde.
Ihn besucht die Mutter und die Schwester;
Schamhaft säumt sein Weib, zu ihm zu kommen.

Als nun seine Wunde linder wurde,
Ließ er seinem treuen Weibe sagen:
„Harre mein nicht mehr an meinem Hofe,
Nicht am Hofe und nicht bei den Meinen.“

Als die Frau dies harte Wort vernommen,
Stand die Treue starr und voller Schmerzen,
Hört der Pferde Stampfen vor der Türe,
Und es deucht ihr, Asan käm’, ihr Gatte,
Springt zum Turme, sich herabzustürzen.
Ängstlich folgen ihr zwei liebe Töchter,
Rufen nach ihr, weinend bittre Tränen:
„Sind nicht unsers Vaters Asan Rosse,
Ist dein Bruder Pintorowich kommen!“

Und es kehret die Gemahlin Asan’s,
Schlingt die Arme jammernd um den Bruder:
„Sieh die Schmach, o Bruder, deiner Schwester!
Mich verstoßen, Mutter dieser fünfe!"

Schweigt der Bruder, ziehet aus der Tasche,
Eingehüllet in hochrote Seide,
Ausgefertiget den Brief der Scheidung,
Daß sie kehre zu der Mutter Wohnung,
Frei, sich einem andern zu ergeben.

Als die Frau den Trauerscheidbrief sahe,
Küßte sie der beiden Knaben Stirne,
Küßt’ die Wangen ihrer beiden Mädchen.
Aber acht vom Säugling in der Wiege
Kann sie sich im bittern Schmerz nicht reißen!
Reißt sie los der ungestüme Bruder,
Hebt sie auf das muntre Roß behende,
Und so eilt er mit der bangen Frauen
Grad nach seines Vaters hoher Wohnung.

Kurze Zeit war’s, noch nicht sieben Tage;
Kurze Zeit g’nug; von viel großen Herren
Unsre Frau in ihrer Witwentrauer,
Unsre Frau zum Weib begehret wurde.
Und der größte war Imoskis Kadi.

Und die Frau bat weinend ihren Bruder:
„Ich beschwöre dich bei deinem Leben,
Gib mich keinem andern mehr zur Frauen,
Daß das Wiedersehen meiner lieben
Armen Kinder mir das Herz nicht breche!“

Ihre Reden achtet nicht der Bruder,
Fest, Imoski’s Kadi sie zu trauen.
Doch die Gute bittet ihn unendlich:
„Schicke wenigstens ein Blatt, o Bruder,
Mit den Worten zu Imoskis Kadi:
Dich begrüßt die junge Wittib freundlich
Und läßt durch dies Blatt dich höchlich bitten,
Daß, wenn dich die Suaten herbegleiten,
Du mir einen langen Schleier bringest,
Daß ich mich vor Asan’s Haus verhülle,
Meine lieben Waisen nicht erblicke.“

Kaum ersah der Kadi dieses Schreiben,
Als er seine Suaten alle sammelt,
Und zum Wege nach der Braut sich rüstet,
Mit den Schleier, den sie heischte, tragend.

Glücklich kamen sie zur Fürstin Hause,
Glücklich sie mit ihr vom Hause wieder.
Aber als sie Asan’s Wohnung nah’ten,
Sahn die Kinder obenab die Mutter,
Riefen: „Komm’ zu deiner Halle wieder!
Iß das Abendbrot mit deinen Kindern!“
Traurig hört’ es die Gemahlin Asans,
Kehrete sich zu der Suaten Fürsten:
„Laß doch, laß die Suaten und die Pferde
Halten wenig vor der Lieben Türe,
Daß ich meine Kleinen noch beschenke.“

Und sie hielten vor der Lieben Türe,
Und den armen Kindern gab sie Gaben;
Gab den Knaben goldgestickte Stiefel,
Gab den Mädchen lange, reiche Kleider,
Und dem Säugling, hülflos in der Wiege,
Gab sie für die Zukunft auch ein Röckchen.

Das beiseit sah Vater Asan Aga,
Rief gar traurig seinen lieben Kindern:
„Kehrt zu mir, ihr lieben armen Kleinen!
Eurer Mutter Brust ist Eisen worden,
Fest verschlossen, kann nicht Mitleid fühlen.“

Wie das hörte die Gemahlin Asan’s,
Stürzt’ sie bleich, den Boden schütternd, nieder,
Und die Seel entfloh dem bangen Busen,
Als sie ihre Kinder vor sich flieh’n sah.