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Eine Schreckenskammer

Hier in Paris preist die große illustrierte Zeitschrift ›L'Illutstration‹ ihr großes Kriegsalbum an allen Ecken und auch auf der Kunstgewerbeausstellung an. Ich habe mir die beiden schweren Bände gekauft, und ich kann nur jedem Friedensfreund raten, desgleichen zu tun. Das Album ist auf sehr schönem Kunstdruckpapier gedruckt und in Leder gebunden. Die Adresse der ›Illustration‹ ist: 13 rue St. George, Paris IX.

Dies ist die vollendetste Bildchronik des Weltkrieges, die ich bisher zu sehen bekommen habe, und es gibt zu ihr kein deutsches Gegenstück.

Die Sache fängt an mit dem Attentat in Serajewo, man sieht die beiden Särge, von denen einer, dem Willen eines rachsüchtigen Zeremonienmeisters gemäß, niedriger steht als der andere, war es doch eine morganatische Ehe. Man sieht Poincaré beim Zaren, um ein Bündnis abzuschließen, das ihm die Torheit und Fahrigkeit des deutschen Kaisers leicht gemacht hat, und man sieht auf Seite 18 Wilhelm selber. Sie müssen da irgend etwas in seinem Gesicht retuschiert haben: das Gesicht glänzt vor Falschheit, und falsch ist der Kaiser nie gewesen. Der Verdacht der Retusche liegt um so näher, als die Gesichter vieler deutscher Soldaten und U-Boot-Leute in diesem Album einen Ausdruck tragen, den der Typus des Muschko nicht hatte: etwas Blutgieriges, Rohes ist darin, und der deutsche Soldat hat als Individuum viel weniger Roheiten begangen als etwa der romanische: dafür hat keine gegnerische Heeresleitung solche verbrecherischen Befehle herausgegeben wie die deutsche.

Das Album zeigt den Rechtsbruch in Belgien und die ersten Tage der Kriegsbesoffenheit. Auf beiden Seiten der Grenze werden Hüte geschwenkt, Mäuler aufgerissen, Generale anhurrat: Bilder vom Geisteszustand einer aus Rand und Band geratenen Menschenmasse, die Zeitung, Schule, Kino und Kirche gleichmäßig verdreht gemacht hat.

Ich habe niemals zu denen gehört, die die Erschießung von Franktireurs durch deutsche Offiziere angeprangert haben. Hinterher hat man leicht moralisieren. Die Truppe wurde von hinten angeschossen, war wütend gemacht, konnte den Gegner nicht erwischen, und hat sicher in der schrecklichen Aufregung die furchtbarsten Fehler begangen. Diese Dinge sind heute sehr schwer nachzukontrollieren. Mir scheint allerdings, als ob die systematische Erschießung von Kindern und Frauen unter keinen Umständen zu entschuldigen wäre. Sie hat stattgefunden.

Seite 90. Im Schloß von Gué ist ein feindliches Lazarett eingerichtet worden: die Mannschaften, die hier gestorben sind, hat man im Park beerdigt, ihre Stiefel und schmutzigen Sachen bedecken den Boden. Man sieht das. Vor einem Haus im Park liegt ein Haufe durcheinandergeworfener Militär-Effekten, und deren Inhaber sind nicht mehr da. Sie sind ermordet worden. Denn man soll sich doch ja abgewöhnen, einen Kollektivtod anders als mit den Worten des Strafgesetzbuches und der Bibel zu bezeichnen, die beide die gewaltsame Tötung eines Menschen durch den Menschen verhindern wollen. Mord bleibt Mord, auch wenn man sich vorher andere Kleider anzieht, um ihn zu verüben.

Die ersten Gefangenen. Diese Deutschen sehen noch gut aus. Gut gekleidet, gut genährt, es war das erste Kriegsjahr. Dazwischen ausgesprochene nationale Gemeinheiten, wie wir sie ja auch von deutscher Seite her kennen, z.B. jenes berühmte Bild, das schon Avenarius in seiner Schrift ›Das Bild als Lügner‹ reproduziert hat. ›Der Hinterhalt‹ – eine Gruppe deutscher Soldaten, unter Führung eines Offiziers, steht und hält die Kolben hoch, sie wollen sich also ergeben. Unter ihnen, vom Feind aus nicht sichtbar, ein Maschinengewehr und ein Mann, der es kniend bedient. Ich bin fest davon überzeugt, dass dergleichen nirgends vorgekommen ist.

Jetzt kommen die ersten Gräben. Sie sind schon vollgefüllt mit Toten, die da liegen und nicht wissen warum; die verkleideten Proletarier der anderen Seite sehen sie mit grimmem Gesichtsausdruck an und fühlen nicht, dass sie sich selbst ins Fleisch geschossen haben. Aus dem Kampf an der Meuse ein Grabenstück. Aber das ist genau der Anblick eines Wirtshausplatzes, auf dem sich betrunkene Bauernburschen ihre Messer in den Bauch gejagt haben. Zwischen mondbeschienenen Schlachtfeldern, zerrupften Bäumen, schiefen Laternen, elenden Menschenfetzen in Krümperwagen –: die Generale.

Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum man diesen sauberrasierten und wohlgekleideten Verwaltungsbeamten das Prädikat des Soldaten anhängt. Ob ihr Wirken verdienstvoll war oder nicht, ob es einer großen Geistesanspannung für ihr Werk bedurfte oder nicht, das ist eine andere Frage. Aber Soldat im Weltkriege sein, hieß: unabsehbare Mühsale der Tage auf sich nehmen, kleine Plackereien, die an den Nerven rissen; Läuse, Hungern, kein Wasser, Schmutz, nie allein sein, gedrückt gehorchen müssen und dann der Kampf, dessen Risiko bei alledem noch nicht das Schlimmste war. Solcherlei Werk haben die Generale nicht getan und nicht tun können, das liegt im Wesen der Sache. Aber es ist ungerecht, verkleideten Rechnungsräten die Qualifikation von Kämpfern zu geben, was ja für manche geistig zurückgebliebene Leute eine Ehre bedeutet. Der Kommerzienrat, der in der Aufsichtsratssitzung die Geschäftspolitik eines Eisenwerks dirigiert, mag ein schöpferischer und großer Mann sein. In der Welt des Eisenarbeiters, der vor dem Hochofen glüht, ist für ihn kein Platz. Der moderne General ist so wenig ein Soldat, wie der Kommerzienrat ein Handarbeiter.

Gefangene. Wie wurden sie behandelt? Abgesehen von der Sinnlosigkeit, die dem feindlichen Leuteschinder, wenn er nur eine silberne Borte trug, Ehre und gute Behandlung zuteil werden ließ, die man dem Kranken verweigerte, hat auf beiden Seiten ein Teil der Gefangenenlager unter dem Kommando größenwahnsinniger Spießer gestanden, die sich heute noch vor Gericht rühmen dürfen, ›stramm mit den Kerls verfahren zu sein‹, und deren Seele viel zu klein war, um die fürchterliche Gabe einer schrankenlosen Macht vertragen zu können.

Greueltaten der Deutschen. Die beschränken sich in diesen beiden Bänden eigentlich immer auf die Fliegerangriffe und die Unterseebootkämpfe. Nun, das ›Belegen‹ mit Bomben, wie sich dieser Gaunerjargon ausdrückt, ist eine viehische Sache, weil ja wahrscheinlich in fast allen Fällen Zivilbevölkerung, Kinder und Frauen betroffen worden sind, aber in unserer Zeit ist doch wohl der Unterschied zwischen Zivil und Militär sehr gering. Ist Granatendrehen keine Kampfhandlung? Prallt die Gaswolke vor den Zivilisten zurück? Es ist zu wünschen, dass es im nächsten Kriege kein Hinterland gäbe, damit auch die Frauen der Männer, die heute noch in einem Massenmord eine gewaltige Leistung sehen, zu spüren bekommen, was er bedeutet.

Das beschämendste Zeugnis für die Deutschen aber befindet sich auf der Seite 630 des ersten Bandes. Dort ist zu sehen: »Die Ruinen des Rathauses von Péronne, das aus dem 16. Jahrhundert stammt, und die Inschrift, die der Feind zurückgelassen hat.« An dem total zerschossenen Haus auf dem Marktplatz hängt im ersten Stock eine riesige Holzplanke, auf der steht sorgfältig gemalt: »Nicht ärgern – nur wundern!«

Ich muß sagen, dass mir eine solche gemeine Roheit, die selbstverständlich nur im Einverständnis mit den Offizieren erfolgt sein kann, einfach unverständlich ist.

Zweiter Band. Die ersten russischen Revolutionsaufnahmen, hier und da deutlich retuschierte Bilder. Nun werden die deutschen Gefangenen ganz jung. In der überwiegenden Anzahl sind es die Kleinbürger und Proletarier, die da ihr Blut für etwas vergossen haben, was sogar Gustav Stresemann als einen Wirtschaftskrieg bezeichnet hat. Und seltsam, wie im Vordergrund aller dieser Bilder immer wieder deutsche Gefallene liegen, so wie auf den deutschen Bildern französische Leichen den Boden zieren.

Man sieht den Zaren und den französischen Boelcke: Guynemer, einen hübschen jungen Menschen, der am 11. September 1917 heruntergeschossen worden ist. Und dann neigt es sich dem Ende zu. Siegesfahnen im Elsaß, Erzberger in den nächtlichen Automobilen im Walde von Compiègne, das einzige Bild, auf dem ich nun wirklich einen General vermisse. Wo war der, der an diesem Tage hier zu erscheinen hatte? Seit wann unterzeichnen Zivilisten einen Waffenstillstand, der die Sache der Offiziere ist? Aber an verantwortlichen Tagen hat ja diese Gesellschaft stets rückwärtige Stellungen bezogen. Und dann die deutschen Tage eines Ereignisses, das man Revolution genannt hat; diese Fotografien erfüllen einen mit Schmerz: verkümmert ihre Wirkung, verraten ihre Ergebnisse.

Le jour de gloire … Es muß das Brausen dieses Sieges zum Himmel gestiegen sein, und doch ist er mit seinen fast dreißig Nationen ein Ehrendenkmal für ein unterlegenes, irregeleitetes Volk. Für Deutschland. Siegesfeiern in allen Ländern. Der erste Gefallene auf französischer Seite, noch ein paar Bilder und dann jene große Platte vom Grabe des Unbekannten Soldaten.

Ist das ein niedriges Presseerzeugnis? Das mögen Oberpräsidenten entscheiden, wie sie Lust haben.

Weil aber in einem solchen wirren Schlachten die Verantwortung unter so viele Köpfe aufgeteilt ist, dass sie zum Schluß keiner mehr trägt, weil es die, die befehlen, nicht ausführen, und die, die ausführen, nichts befohlen haben, weil ein Teil der jungen Leute Luftmord und Wassermord als eine sportliche Betätigung angesehen hat, weil am Anfang die zwanzig leitenden Männer genau gewußt haben, worum es geht, und am Schluß von sechzig Millionen keiner mehr: deswegen ist es statthaft und notwendig zu sagen:

Diese gewaltigen Leistungen des Krieges sind nur durch Blutvergießen möglich gewesen, und jeder hat auf jeder Seite geglaubt, dass er seinen Heimatboden gegen den feindlichen Einfall der anderen verteidigt. Wenn es auf den guten Glauben ankommt, so ist auch noch die ärgste Roheit im Stierkampf erlaubt und legitimiert. Wir haben hier immer gegen philiströse Beschränktheit historisch ungeschulter Kleinbürger und gegen die Großmäuligkeit der Interessierten für den Frieden gesprochen, und es steht jedem frei, den pazifistischen Standpunkt abzulehnen.

Wenn aber einer kommt und uns mit krähender Kasinostimme erzählen will, dass seine Ideale, die er knapp buchstabieren kann, die einzig richtigen wären, dass zum Dienst gepreßte Arbeiter dadurch, dass sie auf andere Arbeiter schießen mußten, einen Heiligenschein als ›Frontkämpfer‹ mit nach Hause gebracht hätten und nicht viel mehr Ekel vor Mord, ein gestörtes Familienleben und einen Rheumatismus, für den ihnen der Staat ein paar Bettelpfennige in die Mütze warf, weil er ja den Kaiser dotieren muß, wenn jemand ein sittlich hohes Ideal mit ein paar Kasernenhofausdrücken abzutun versucht, so rufen wir ihm zu:

Ihr habt vier Jahre euer Maul aufgerissen und jeden wahrhaft christlichen und jeden wahrhaft ethischen Gedanken zu Tode getrampelt. Die paar hochstehenden Männer, die in den Irrenhausjahren den Mut aufbrachten, lieber ins Gefängnis und auf den Sandhaufen zu gehen, als sich von den minderwertigsten Schreiern ihrer Nation in die Blutjauche schicken zu lassen, denen sei unser ehrendes Gedenken gewiß. Diese vier Jahre sind vorüber, und jetzt sind wir dran. Und wir werden jeden Atemzug dazu benutzen, um euch die Ideale herunterzuschlagen, um euch die Versuche, durchs Reichsarchiv und Räuberromane in die Geschichte einzuziehen, zu zerstören. Wir wollen den Krieg der Nachwelt so überliefert haben, wie er wirklich ausgesehen hat.

Mars der Moderne war kein antiker Kriegsheld. Verlaust, feige, schmutzig, die Schwachen niedertrampelnd, mit einem bösen linken Auge den Auswurf von Weiblichkeit anblinzelnd, der um das Heer schwärmte, so hat er die Seelen gemordet. Wir wollen ihm und den Völkern seine Minderwertigkeit austreiben.

Nieder mit der Armee. – – –

Ignaz Wrobel
Das Andere Deutschland, 28.11.1925.