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Künstler und Gesellschaft

Was früher eine Samtjacke getragen hat, trägt heute eine Hornbrille – und das Aug' in holdem Wahnsinn rollend, schafft der Herr Künstler für sein ganzes Volk.

Es ist mir eine ganz besondere Freude, eine ausgezeichnete kleine Schrift anzuzeigen, die schon längere Zeit vorliegt, aber nicht so bekannt geworden ist, wie sie es verdient: »Gesellschaft, Künstler und Kommunismus« von Wieland Herzfelde (im Malik-Verlag zu Berlin). Das Heftchen enthält auf achtundzwanzig Seiten in gedrängter Darstellung so ziemlich alles, was sich über das Thema sagen läßt; es ist eine Kompilation der radikalen Ideen meist ökonomischen Ursprungs. Ihr Kern sieht so aus:

» … wie es überhaupt symptomatisch ist, dass die Kunst, ebenso wie andre menschliche Liebhabereien und Leidenschaften, um so wichtiger und weltbewegender auftritt – und tatsächlich von den Schichten, für die sie geschaffen ist, entsprechend überschätzt wird –, je enger und exklusiver ihr Wirkungskreis ist … Dies gilt auch von der Kunst der Gebildeten, der bewußten Kulturträger … Das … erhebt Anspruch auf die Ewigkeit und … darauf, die geistige Achse der Gesellschaft, der Erde, ja, des Kosmos zu sein. Tatsächlich ist sie bedingt und wurde erzeugt von den Bedürfnissen der kapitalistischen Oberschicht … Tendenz ist unter allen Umständen abzulehnen, welcher Richtung auch immer sie ist, denn sie belädt mit Verantwortung. Der Ausbeuter sieht die Welt lieber wie ein Geschenk an, er will ja bloß seine Freude an der Welt haben. Probleme, gewiß, aber sie müssen delikat behandelt werden, so dass sie an die Nerven greifen – aber unverbindlich, zu nichts verpflichtend … Die Öffentlichkeit ist das Angesicht der herrschenden Klasse. Sie muß dafür sorgen, dass auf dieser Welt alles in Ordnung erscheint, sie kann nicht dulden, dass die Ruhe gestört wird. Die Welt darf kompliziert dargestellt werden, das hebt das Selbstbewußtsein derjenigen, die sie lenken, relativ darf sie bewertet werden, denn das befreit von Verantwortung, raubt jeder Bewertung und Kontrolle des Weltgeschehens den Stachel.«

Der leidenschaftliche Widerwille der Künstler, einfach und exakt in die ökonomische Skala der Gesellschaft eingeordnet zu werden, der gereizte Widerstand der Kunstkonsumenten gegen solche Anschauung zeigt allein schon, wie richtig sie ist – wunde Punkte sind immer verdächtig, und sobald der Kranke gereizt zusammenzuckt, wenn der Arzt über ein Nervenbündel fährt, ist da etwas nicht in Ordnung. Nun, hier ist etwas nicht in Ordnung.

Am besten ist dem Schilderer das Bild des bestehenden Zustandes gelungen. Kalt, populär und sachlich ist aufgemalt, welche Clownsrolle der »reine« Künstler in dieser Welt spielt, der, der »nur die Seelen erhebt«, und der nur die kleine Fälschung begeht, den bestehenden Zustand für den allein richtigen, den allein möglichen, den allein natürlichen zu halten. Über die Wurzel wird nie diskutiert – der Wipfel bekommt eine Papierkrone.

Es wird dann die Stellung der Arbeiterparteien zu dem deklassierten Intellektuellen bürgerlicher Herkunft besprochen, seine tragische Rolle, immer zwischen zwei Stühlen zu sitzen (das hat übrigens schon Robert Michels im Jahre 1910 festgestellt) – diese Parteien werden ermahnt, den Intellektuellen zu erziehen und heranzuziehen und ihn nicht einfach seinem – übrigens wenig beneidenswerten – Schicksal zu überlassen. Herzfelde streicht den Künstler nicht aus seinem Weltbild; er ordnet ihn nur richtig ein. (Sehr hübsch ist die Formulierung, die etwa besagt: Der Unterschied zwischen Künstler und Kulturforscher ist wie der zwischen Mutter und Hebamme.) Der Weg des Heftchens führt dann bis vor die neue große Tür: die nach Rußland führt.

Man möchte gern mehr darüber von demselben Autor lesen. Das Büchlein hat einen Fehler: kein großes und weit ausladendes Werk über das gleiche Thema zu sein. Es ist unser aller Thema und durchaus von unsrer Zeit.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 02.10.1924, Nr. 40, S. 519.