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Die Keuschheitsgürteltiere

Das war im seligen Frieden - da sah man im »Simplicissimus« ein Schaufenster mit sehr freibrüstigen Wachspuppen, die waren schön onduliert und wohlgefällig nackt. Davor stand ein kleiner Knabe, der Nase nach unverkennbar der Polizeipräsident von Jagow, der schleckerte mit der Zunge. Und sprach:

»Wenn ich mal groß bin, konfiszier ich mir so eine!«

Das Landesjugendamt der Rheinprovinz zu Düsseldorf konfisziert sich alle Tage einen. Zur Zeit haben sie den Italiener Pitigrilli beim Kragen. »Der Keuschheitsgürtel« (erschienen im Eden-Verlag zu Berlin).

Ich liebe Herrn Pitigrilli nicht. Er ist, was Hamsun einmal recht boshaft von Maupassant gesagt hat: ein Kommis der Erotik; er schleckert, stiert den Damen verzückt zwischen die Beine, ein billiges Parfüm geht von diesen Büchern aus, eine fatale Lüsternheit, literarisch mit Aphorismen aufgeputzt, die von einem ehemaligen Kammerdiener Oskar Wildes stammen könnten … es ist dummes Zeug. »Wrobel muß selbst zugeben … « Ich gebe zu:

Noch unter Pitigrilli steht ein Jugendamt, das sich erdreistet, literarische Werturteile abzugeben, nach denen es nicht gefragt ist; ein Amt, das seine Befugnisse überschreitet; ein Amt, das sich nicht nur lächerlich macht, sondern das durch eine beharrliche reaktionäre Tendenz anfängt, gefährlich zu werden. Heute ist es Pitigrilli - wer wird es morgen sein?

»Das Buch ist kein Schund. Es ist für einen gebildeten und reifen Leser sogar interessant, festzustellen, wie sich die Geschlechtssphäre im Kopfe eines geistreichen Schriftstellers gestaltet, der ausschließlich in seinem Werke die tierischen Geschlechtsfunktionen kennt und es weit ablehnt, im Verkehr der Geschlechter etwas von Ethik und Moral zu sehen. Gegen die Tendenz des Buches, die Moral zu vernichten, den Geschlechtsakt als eine ausschließlich animalische Angelegenheit darzustellen, läßt sich im Hinblick auf das Gesetz vom 18. 12. 26 nur sagen, daß sie an sich schmutzig ist. Aber das Buch wimmelt auch von obszönen Worten, Sätzen und Situationen, die mit gefährlichem Zynismus und beißendem Haß gegen Andersdenkende häufig abstoßend und ekelhaft wirken, wenn sie auch in die Form von ›Geistreicheleien‹ gebracht sind. Für die Jugend ist das Buch stärkstes Gift. Die Prüfstelle wird in diesem Falle zu entscheiden haben, ob die flüssige Sprache und die schriftstellerische Form des Werkes einen Freibrief darstellen, um die moralischen Anschauungen der Jugend völlig zu zerstören. Das Buch ist an allen Kiosken und Buchhandlungen ausgestellt. Die Schüler der höhern Lehranstalten stellen ein Hauptkontingent der Käufer der Bücher Pitigrillis.«

Die Berliner Prüfstelle hat funktioniert. Das Buch ist vorläufig auf die Liste gesetzt.

Berlin hat zwar zunächst gesagt, mit der bösen »Weltanschauung« sei es nichts, das Gesetz besage ja ausdrücklich, daß deswegen kein Buch verboten werden dürfe. Aber:

»Die Prüfkammer in ihrer heutigen Zusammensetzung ist jedoch im Gegensatz zu dieser ständigen Spruchpraxis auf die Frage nach dem Wert des beanstandeten Werkes nicht eingegangen. Sie hat vielmehr die Indizierung des Buches beschlossen, weil nach ihrer Meinung die betont materialistische Behandlung und die Form der Darstellung sexueller Vorgänge darin eine Gefahr für die Jugend bedeutet und das Buch deshalb als Schmutz anzusehen ist.«

Also doch. Daß Herr Tovote für Ja gestimmt hat, erheitert den Tatbestand wesentlich. Der Spruch Leipzigs steht noch aus.

Früher, als wir vor dem Gesetz warnten, hat man uns erzählt: Aber ihr übertreibt. Wer wird sich denn an ernsthafte Literatur wagen! Wir wollen doch nur, nur jene industrielle Hintertreppenschreiberei bekämpfen, jene Fünfgroschenhefte, die am laufenden Band hergestellt werden: »Mit fünfzehn Jahren im Irrenhaus oder Der Landgerichtspräsident in den Klauen von Mädchenhändlern« - dagegen werdet ihr doch nichts haben … Wir wußten, was kommen wird; wir haben es gesagt. Auf die Demokraten ist in dieser Beziehung nicht zu rechnen. Die SPD hatte Wichtigeres zu tun; wenn in Deutschland ein Unheil im Anzug ist, dann steht die Bonzokratie dieser Partei da und setzt durch, daß im § 8 des Unheils statt »muß« die Worte »soll nach Möglichkeit« stehen. Es sind wackere Parlamentarier.

Inzwischen setzen die Jugendämter ihren Unfug fort.

Ich bestreite, daß diese Verbote von dem Wunsch, die Jugend zu schützen, diktiert werden. Hier wird ein Beamten-Kleinkrieg geführt; wenn das Verbot durchgeht, so reiben sich die in Düsseldorf die Hände - hurra! Es ist eine interne Angelegenheit zwischen Dunkelmännern und Verlegern, die jene geschädigt haben wollen. An einer Stelle der Begründung verrät sich auch der politische Zweck. Da ist der »beißende Haß gegen Andersdenkende … « - was hat das mit Jugendschutz zu tun? Nichts hat es damit zu tun. Hier wird keine Jugend geschützt.

Die Leute vom Düsseldorfer Jugendamt wissen natürlich so gut wie wir, daß es lächerlich ist, die Moral der deutschen Jugend durch Verbot von zehn oder zwanzig Büchern zu schützen. Hundert andre liegen und hängen daneben. Das Unterfangen ist kindisch und aussichtslos; es ist auch überflüssig, denn der Schaden, den solche Bücher bei ein paar Onanisten anrichten, ist ein Hundertstel so groß wie jener viel größere Schaden, an dem diese Jugendämter sich indirekt mitschuldig machen: die Arbeitslosigkeit, die Geldnot, die gedrückte Lage der Jugend - unter anderm hervorgerufen von einer sinnlosen Belastung der Steuerzahler durch einen künstlich aufgeblasenen Beamtenapparat geschäftiger Nichtstuer und reaktionärer Feinde der Literatur.

Ignaz Wrobel
Die Weltbühne, 25.03.1930, Nr. 13, S. 477.