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Geschichten

sind doch das Allerschönste, und ich kann stundenlang zuhören, wenn einer welche erzählt. Diese beiden habe ich von Gussy Holl gehört.

Als der Graf Stürgkh von Friedrich Adler beim Mittagessen in dem Restaurant Meist & Schaden erschossen worden war, da begab sich – schweren Herzens, und bibbernd, wie ers dem greisen Kaiser beibringen sollte – ein Graf aus dem Gefolge hinaus nach Schönbrunn und traf dort den alten Herrn im Garten. Der winkte schon von weitem und war guter Laune. »Ah, grüß Gott, grüß Gott –!« Ein schwerer Fall – aber es mußte sein. Nach dem üblichen Hinundher entschloß sich der Graf. »Majestät! Ich muß Eurer Majestät eine traurige Mitteilung machen.« – »No, was denn?« – »Majestät, der Graf Stürgkh, der Graf Stürgkh – ist erschossen worden!« – »Der Stürgkh? Aber der war ja gar nicht an der Front!« -- »Nein, Majestät, er war gewiß nicht an der Front! Er ist bei Meisl & Schaden erschossen worden!« Und darauf der Kaiser langsam und nachdenklich: »Meisl und Schaden? Ja – is denn das noch in unserm Besitz?«

Die andre Geschichte spielt viele Jahre vorher, in der Zeit, wo der alte Kaiser Franz Joseph noch galanten Abenteuern nachgehen konnte. Da war eine Hofdame, die er mit seinem Besuch beehrte; auch als sie dann später an einen Grafen von Soundso verheiratet worden war. Der Kaiser pflegte abends um halber neun zu kommen, plauderte oben zwei Stündchen oder drei und ging spätestens um halb zwölf wieder nach Hause. Kleine Uniform, strenges Inkognito. Nun weiß jeder gebildete Mensch, dass Wien, die Stadt der Lieder, ihren Einwohnern keinen Hausschlüssel anvertraut; sondern jeder, der nach neun Uhr ins Haus oder wieder heraus will, muß sich durch ein Sperrsechserl beim Hausmeister auslösen. Der Kaiser gab nie ein Sechserl, die Frau Gräfin schickte allmonatlich ein paar Gulden an den Hausmeister hinunter, und soweit war die Sache in Ordnung. Nun traf es sich, dass ein neuer Hausmeister in das gräfliche Haus einzog, der von diesem Abkommen nichts wußte, und als der fremde Offizier das erste Mal ins Haus und wieder hinaus wutschte, da wunderte sich der Neuling und sprach zu seinem Weib in der Hausmeisterloge: »Also bittä! Es kommt da ein Generalischer, der niemals nicht keinen Sperrsechserl geben tut. Bittä, wenn der Generalischer noch einmal zum Haus hinausgeht, so bittä ihm zu sagen: wo ist der Sperrsechserl?« Gesagt, getan. Punkt halb zwölf steigt der Offizier mit hochgeschlagenem Kragen die Treppe herunter und klingelt nach dem Hausmeister. Es erscheint die Frau: in Babuschen, mit wirren Haaren, im Nachtjäckchen, und in der Hand eine kleine, matt leuchtende Lampe. Sie öffnet die Tür, sie krümmt die Hand … Der General tut nichts dergleichen. Da faßt sie sich ein Herz und spricht: »Bitte, Herr Generalischer! Also wo ist –« Der Sperrsechserl, wollte sie sagen. Aber da leuchtet sie näher hinzu, ihr Blick fällt auf die so oft geschauten Züge, die Lampe zittert in ihrer Hand, und, eingedenk des fast begangenen crimen laesae maiestatis, singt sie mit Stimme Nummer drei, meckernd und doch loyal melodisch: »Gott erhalte – Franz – den Kaiser –!«

Gussy Holl hat schön gelacht, als ich sie gefragt habe, ob diese Geschichten auch wahr seien.

Peter Panter
Die Weltbühne, 10.07.1919, Nr. 29, S. 56.