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Büchertisch

Wie alljährlich, so breiten wir auch heuer für unsere Leser die Gaben der deutschen Literatur auf den Weihnachtstisch aus, damit jeder sich für die kerzenflimmernde Tanne das aussuchen möge, was ihm besonders am Herzen liegt. »Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen«, denken wir mit Oskar A. H. Schiller, und ist doch ein gutes deutsches Buch wie kein anderes geschaffen, ja bestimmt, neben dem nervenstärkenden Fußball und der Gesundheitswäsche auf dem Gabentische zu prangen. Wohlan –!

Da liegt uns zunächst Walter von Molos »Pankraz Lausebums« vor. Molo, der offenbar in seine dritte Schaffensperiode hineingetreten ist, hat uns hier sein Bestes, wo nicht Allerbestes gegeben. Der Leser lasse sich durch den Titel nicht irreführen: hier ist kein ›Roman‹ in der landläufigen Bedeutung des Wortes, eine lesbare, amüsante Unterhaltungslektüre – hier ist, wie sich das für einen deutschen Roman gehört, ein Problem aufgerollt. Das Problem dieses zähen Werks ist die Durchschauung der kosmischen Kultur schlechthin, im Wirbel der Folgehaftigkeit ihrer Geisteskonflikte – wahrlich: eine alle Heutigen tief bewegende Frage! »Jeder ist Partner, in allen Räumen des Seins!« – das lehrt uns dieser groß angelegte Roman, mit seinen spiralhaft empfundenen Typen, unter denen ein Verehrer Friedrichs des Zweiten ganz besonders gelungen sein dürfte. Niemand kann an diesem Roman vorbeigehen – er wird es immer aufs neue tun.

Dem zunächst steht Max Schelers »Persönlichkeitsrhythmus und Kulturgenius« (nicht wie in der vorigen Nummer irrtümlich angegeben: »Kulturrhythmus und Persönlichkeitsgenius«). Das Buch dieses tiefsten Kopfes unter der heutigen Philosophengeneration zeigt eine klare Einstellung zu den Dingen der Zeit: Scheler legt endlich den Unterschied zwischen dem Sein als solchen und dem Sein in Hegelscher Auffassung klar dar – und wir wüßten nicht, was uns im Augenblick nöter täte. Die Haltung dieses echt deutschen Mannes im Krieg ist uns allen unvergessen – er setzt sie würdig fort.

Den Kriegsgeschichtler wird besonders »Zwischen Château d'Auve und Chemin des Embusqués« von Generalmajor Rudolf Marsch interessieren. Marsch weist hier überzeugend nach, dass die OHL im Jahre 1917 nicht, wie bisher allgemein angenommen wurde, den linken Flügel südlich Verdun zurückgenommen hat, sondern dass sie ihn nicht zurückgenommen hat – eine strategische Feststellung, die ein ganz neues Licht auf die Kriegsforschung zu werfen geeignet ist. Wenn die ausländische Propaganda ein klares Bild des deutschen Militärs haben will, so kann sie das am Marsch feststellen.

Mit besonderer Freude weisen wir auf Sven Fleurons »Sudebambel, Erlebnisse eines Mistkäfers« hin (bei Eugen Titerich, Gena). Die Kraft, mit der sich hier ein echter Dichter in das Seelenleben dieses mit Unrecht verachteten Tieres eingelebt hat, zeigt so recht, dass das germanische Tierbuch hoch über allen anderen steht. Nicht zu Unrecht sagt schon Hermann Löns in seinem Buch »Der Gewehrwolf« sowie Gorch Fock in »Erhöhung des Marineetats tut not!« – beide sagen fast übereinstimmend: »Die deutsche Seele flüchtet sich gern aus der harten Wirklichkeit des rauhen Alltags in das Paradies der Tiere.« Im Anschluß hieran machen wir auf die famose »Anleitung zu schwierigen Laubsägearbeiten« (bei Holzapfel, Eutin, in Mecklenburg) aufmerksam.

Die bekannte Operette ›Anneliese von Dessau‹ von Chaskel und Meirowitz hat Hans Harringer zu einem echt deutschen Roman inspiriert. Wie hier noch einmal alle historischen Figuren der Reihe nach vor uns auftreten, der derbgemütliche, aber herzensgute Herzog, das Anne-Liser'l, der Leibjäger Franz – nicht zu vergessen Friedrich der Große –: das bedeutet eine echt deutsche Herzstärkung in dieser so echt deutsch beschimmelten Zeit.

Josef Jansen hat ›Das Nibelungenlied‹ neu bearbeitet und uns damit etwas völlig Neues gegeben. Er hat sich nicht ganz an die zeitlichen Grenzen gehalten – so führt er aufs glücklichste in Wotans Sagenkreis Friedrich den Zweiten ein –, aber hier ist doch in mustergültiger reiner Prosa etwas Gewaltiges entstanden. (Broschiert 6,50.)

Die »Deutsche Volkheit des Volks der Deutschen« (bei Diederichs in Jena) setzt ihre Sammlung fort: sie wird volkhafter von Nummer zu Nummer, wie wir das so häufig antreffen.

»Als Mundschenk im Großen Hauptquartier« ist ein geschichtliches Dokument allerersten Ranges. Oberkellner Jensch hat es geschrieben, Arthur Doepler der Ältere hat die frischen Bildchen beigesteuert. Jensch war drei Jahre lang Obermundschenk bei Wilhelm dem Zweiten und ist also wie kein zweiter befähigt, über die Stimmung des Heeres Allgemeingültiges auszusagen. Nach ihm war die Stimmung bis zum Frühjahr 1917 ausgezeichnet – dann setzte langsam der Dolchstoß ein, ohne welchen wir seiner Ansicht nach noch jahrelang hätten kämpfen und durchhalten können. Ein echt deutsches Buch.

Gleichfalls einen geschichtlichen Rückblick – wenn auch etwas trüberer Art – gibt Parteifunktionär Albert Konzowski (Leipzig) über die traurigen Tage um den 9. November. Nach ihm hat die Sozialdemokratie das Verdienst, den Bolschewismus zurückgedämmt zu haben; so berichtet Konzowski von einer Äußerung Eberts, der im Januar 1919 zu ihm (Konzowski) gesagt habe: »Albert – noch zwei solcher Siege wie die über Liebknecht und Luxemburg, und wir haben gesiegt!« Ein lehrreiches Büchlein.

Die Gymnastik pflegt: »Mit Blitzlicht und Büchse durch Mary Wigman« – mehr dem Sport zugewendet ist: »Anleitung zur Anlegung von Jahrestabellen und Leistungsprüfungsverordnungen in der Hochschule für Leibesübungen« von Reichsobersportwart Hagedorn.

Das Kochbuch von Dr. theol. hon. caus. Hedwig Heyl ist in achtzehnter Auflage erschienen – moderne Speisen, wie »Falscher Hase nach altem Fritz« und »Verlerne Eier nach Ludendorff«, würzen die Neubearbeitung.

Fügen wir noch Erich Rümelins »Der Zivilprozeß bei den Tungusen« und das entzückende Bilderbuch »Wenn du groß bist, Fridolin – kommt der Uhu zu dir hien!« sowie »Was junge Mädchen kurz vor der Hochzeitsnacht wissen müssen« hinzu – so haben wir wohl des Guten und Besten genug aufgezählt.

So zeigt sich auch hier wieder, dass der Born deutscher Kunstkraft auch in diesem Jahr unverstopft quillt, und dass Künstler, Schriftsteller und Dichter ihre Zeit so recht verstehen – so dass auf Deutschland das Dichterwort:

»Seine Sorgen und Rothschilds Geld«

die vollste Anwendung finden dürfte.

Kaspar Hauser
Die Weltbühne, 24.11.1925, Nr. 47, S. 803,
wieder in: Mit 5 PS, auch u.d.T. »Zu Weihnachten«.