8. Prüfung der Frage am Logos: denn nicht jede Meinung zählt, nur die des Sachverständigen, und zwar auch beim Gerechten und Ungerechten


Sokrates: Wohlan denn! Wenn wir nun das, was durch das Ungesunde zerrüttet, durch das Gesunde aber gebessert wird, indem wir nicht der Sachkundigen Meinung gehorchen, zerrüttet haben, lohnt es wohl noch zu leben nach dessen Zerrüttung? [47e] Dies ist aber doch der Leib? Oder nicht?

Kriton: Ja.

Sokrates: Lohnt es nun wohl, zu leben mit einem abgeschwächten und zerrütteten Leibe?

Kriton: Keineswegs.

Sokrates: Allein, wenn jenes zerrüttet ist, soll es doch noch lohnen zu leben, was eben durch Unrechthandeln beschädigt wird, durch Rechthandeln aber gewinnt? Oder halten wir das etwa für schlechter als den Leib, was es auch sei von dem unsrigen, worauf Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit sich beziehen? [48a]

Kriton: Keineswegs.

Sokrates: Sondern für edler?

Kriton: Bei weitem.

Sokrates: Also keineswegs, o Bester, haben wir das so seht zu bedenken, was die Leute sagen werden von uns, sondern was der eine, der sich auf Gerechtes und Ungerechtes versteht, und die Wahrheit selbst. So dass du schon hierin die Sache nicht richtig einleitest, wenn du vorträgst, wir müßten auf die Meinung der Leute vom Gerechten, Schönen und Guten und dem Gegenteil Bedacht nehmen. Aber doch, könnte, wohl jemand sagen, »haben die Leute es ja in ihrer Gewalt, uns zu töten«.

Kriton: [b] Offenbar freilich auch dieses: und so könnte es leicht jemand sagen, o Sokrates.

Sokrates: Ganz wahr. Allein, du Wunderlicher, nicht nur dieser Satz selbst, den wir durchgenommen, erscheint mir wenigstens noch immer ebenso wie vorher; sondern betrachte nun auch diesen, ob er uns noch fest steht oder nicht, dass man nämlich nicht das Leben am höchsten achten muß, sondern das gut Leben.

Kriton: Freilich besteht der.

Sokrates: Und dass das gut Leben mit dem gerecht und sittlich Leben einerlei ist, besteht der, oder besteht er nicht?

Kriton: Er besteht.


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