10. Ergebnis und Folgen der Prüfung:
Anschein der Jugendverführung


Überdies aber folgen mir die Jünglinge, welche die meiste Muße haben, der reichsten Bürger Söhne also, freiwillig und freuen sich zu hören, wie die Menschen untersucht werden; oft auch tun sie es mir nach und versuchen selbst, andere zu untersuchen, und finden dann, glaube ich, eine große Menge solcher Menschen, welche zwar glauben, etwas zu wissen, wirklich aber wenig wissen oder nichts. Deshalb nun zürnen die von ihnen Untersuchten mir und nicht ihnen und sagen: »Sokrates ist doch ein ganz ruchloser Mensch und verdirbt die Jünglinge«. [23d] Und wenn sie jemand fragt: »Was doch treibt er und was lehrt er sie?« - so haben sie freilich nichts zu sagen, weil sie nichts wissen; um aber nicht verlegen zu erscheinen, sagen sie dies, was gegen alle Freunde der Wissenschaft bei der Hand ist: die Dinge am Himmel und unter der Erde, und keine Götter glauben, und Unrecht zu Recht machen. Denn die Wahrheit, denke ich, möchten sie nicht sagen wollen, dass sie nämlich offenbar werden als solche, die zwar vorgeben, etwas zu wissen, in Wirklichkeit aber nichts wissen. Weil sie nun, denke ich, ehrgeizig sind und heftig und ihrer viele, [e] welche einverstanden miteinander und sehr scheinbar von mir reden so haben sie schon lange und gewaltig mit Verleumdungen euch die Ohren angefüllt. Aus diesen sind Meletos gegen mich aufgestanden und Anytos und Lykon; Meletos mir der Dichter wegen aufsässig, Anytos wegen der Handarbeiter und Staatsmänner, Lykon aber wegen der Redner. [24a] So daß, wie ich auch gleich anfangs sagte, ich mich wundern müßte, wenn ich imstande wäre, in so kurzer Zeit diese so sehr oft wiederholte Verleumdung euch auszureden. Dieses, ihr Athener, ist euch die Wahrheit: ohne weder Kleines noch Großes verhehlt oder entrückt zu haben, sage ich sie euch, - wiewohl ich fast weiß, dass ich eben deshalb verhaßt bin. Was eben ein Beweis ist, dass ich die Wahrheit rede, und dass dieses mein übler Ruf ist und dies die Ursachen davon sind. [b] Und wenn ihr, sei es nun jetzt oder in der Folge, die Sache untersucht, werdet ihr es so finden.


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