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3) Wasserkuren

Es gibt eine große Menge hitziger, fieberhafter und chronischer Krankheiten, die das frische, kalte Wasser neben gehöriger (meist knapper) Diät, allein, ohne irgend eine Arznei, gut und gründlich geheilt hat. Solche Wasserkuren sind aber nichts weniger, als neu. Schon die römischen Ärzte kannten sie. Der Kaiser Augustus hatte in seinem 40. Jahre eine Leberentzündung. Sein Leibarzt Kamelius suchte diese durch warme Getränke, Bäder u. s. w. zu vertreiben, machte aber dadurch das Übel immer ärger. Aus Verzweiflung wandte sich der Kaiser an einen anderen Arzt, Antonius Musa, der zu der entgegengesetzten Kurart schritt, eine erfrischende Diät verordnete, den kranken Kaiser beinahe nichts, als Lattich essen, lauter frisches, kaltes Wasser trinken und zugleich fleißig mit kaltem Wasser begießen ließ. Dadurch bewirkte Musa, dass der Kaiser in kurzer Zeit wieder hergestellt war und, ungeachtet seiner schwächlichen Gesundheit, noch 36 Jahre lebte. Der Kaiser Maximilian I. war in einem ähnlichen Falle. Er bekam ein hitziges Fieber. Da ihm aber die Ärzte alles kalte Trinken verboten und ihn mit erhitzenden Arzneien nach der Kurmethode des 15. und 16. Jahrhunderts, noch kränker machten, so ließ er sich durch einen Bedienten heimlich einen Krug frisches Wasser vom Brunnen holen, trank ihn mit Lust nach und nach aus, und genas bald.

Vor circa 100 Jahren war es der Dr. J. S. Hahn (s. d. Schrift), welcher die mit Unrecht vergessene Wasserheilkunde in Deutschland wieder hervorrief. Später waren ihre Lobredner: Theden, Ferro, Tanchou, Schwertner, Kurrie, Harder, Reuss, Oertel u. a. m. (s. unten die Literatur) und die durch Priessnitz zu Gräfenberg hervorgerufenen Kaltwasserheilanstalten in Deutschland und in vielen anderen Gegenden Europas: Böhmen, Österreich, Italien, Ungarn, Wallachei, Polen, Russland, England, Frankreich u. s. w. haben Ärzte und Laien auf die herrlichen Wirkungen des kalten Wassers gegen die schlimmsten chronischen Krankheiten mehr und mehr aufmerksam gemacht. Dennoch ist die Sache selbst keineswegs neu, nur die Methode der Anwendung. Hierher gehört die sogenannte Schwitzkur, wie sie Prießnitz auf Gräfenberg zuerst einführte. Sie besteht darin, dass der an eingewurzelten Übeln: Dyskrasien, Skrofeln, Gicht, Venerie u. s. w. Leidende täglich eine oder mehrere Stunden in nasse Tücher und trockene, wollene Decken, oder in letztere allein, und darüber in Betten so eingehüllt wird, dass selbst die Arme nicht frei bleiben, ganz ähnlich einer ägyptischen Mumie oder einem, nach alter Manier unserer Großmütter, eingewickelten Kinde. Zur größeren Anregung des Schweißes reicht der Badediener (bei Damen die Dienerin), der bei seinen vier bis fünf Kranken stets die Runde macht, dem Eingehüllten alle halbe Stunde mehrere Gläser frisches Wasser, um den Schweiß, der sich meist schon nach einer Stunde einstellt, fortwährend zu unterhalten. Der auf diesem natürlichen Wege entstehende Schweiß differiert auch von dem auf andere Weise hervorgerufenen, indem er auf ganz passivem Wege, ohne Aufregung des Blut- und Nervensystems, die Säfte nach der Haut lockt. — Die Fenster des Zimmers, in welchem der Kranke liegt, werden, sobald er stark schwitzt, geöffnet und bleiben es, um der Unbehaglichkeit und zuweilen eintretenden Brustbeklommenheit durchs Einatmen frischer, kühler Luft entgegen zu wirken. — Bei vielen Kranken werden auf die am meisten leidenden Stellen, während des Schwitzens, oft kalte, in frisches Wasser eingetauchte und tüchtig ausgewundene Tücher unter der enganliegenden Decke durch den Badediener ganz geschickt vom Halse aus hinuntergeschoben. Die damit bedeckten Teile müssen sich und das Tuch wieder erhitzen und stets von Neuem transpirieren, was auch rasch genug wieder erfolgt und ein Brennen an diesen Stellen verursacht. Die Temperatur des Blutes wird, nach Piutti, beim Schwitzen nur wenig erhöhet (97° — 99° Fahr.), sinkt auch oft wieder (90° F.) während der Schweiß zunimmt. Der Puls schlägt acht bis zehn Schläge mehr, wie im Normalzustande in der Minute, fällt auch oft während des Schweißes.

Nach zwei bis drei Stunden sind die wollenen Decken und auch die Unterbetten durchgeschwitzt, worauf dann der Badediener den Schwitzenden, in seine nasse Wolldecke eingehüllt, ganz ruhig entweder in das benachbarte Zimmer, oder aus der zweiten Etage in ein Gemach des untern Stockwerks, oft bei vollem Luftzug, ohne dass dieser auf irgend eine Weise nachteilig wirkt, an die große, mit kaltem Wasser gefüllte hölzerne Wanne führt, in die er sich dann hineinwirft, sobald Kopf und Brust behutsam gewaschen sind. Hier verweilt er, je nach Behagen, zwei bis drei Minuten.

Nach dem Bad genießt man in Gräfenberg und anderen ähnlichen Anstalten gewöhnlich einige Tassen Milch mit Weißbrot, und eilt bald zu den Promenaden ins Freie, über Berg und Tal, in die Bergwaldung, wo überall kleine Quellen angebracht sind, aus denen man sich mit dem kleinen Wasserglas, das man bei sich führt, acht bis zwölf Mal, kurz so oft schöpft, als es nur immer zu trinken möglich ist. — Sobald die neunte oder zehnte Stunde des Morgens heranrückt, eilt man den kalten Wald- oder Bergduschen zu, deren es in Ilmenau zwei und mehrere: eine Damen- oder Anfängerdusche, ein paar 100 Schritte von der Stadt, und eine entfernter liegende stärkere Männerdusche gibt. Sie stürzen mittels der Rinne über 15—18 Fuß hoch in das an den Berg gelehnte Bretterbehältnis armsdick auf einen hölzernen Fußboden, von welchem das vier bis fünf° + R. Temperatur haltende Wasser wieder abläuft. Der mäßig abgekühlte und entkleidete Kranke sucht beim Hintritt unter den niederfallenden Strahl der Wassersäule diesen erst mit den Händen aufzufangen, damit das etwas Schmerzende seiner Fallkraft nicht gleich den ihm exponierten Körper treffe. Neben den kranken Stellen, welche der örtlichen Reaktion bedürfen, werden Nacken und Rückgrat dem Wasserstrahle am häufigsten ausgesetzt. Dieser brennt und färbt die Stellen, die er trifft, schon nach zwei bis vier Minuten rosenrot. Kopf, Brust und Unterleib dürfen niemals dem Strahle exponiert werden. Anfangs weilt man nur ein bis zwei, später sechs bis acht Minuten oder so lange, als das Gefühl davon angenehm ist, unter der Dusche. Gleich nach dem Ankleiden nimmt man wieder einige Gläser Wasser zu sich und sucht sich durch rasche Bewegung im Freien zu erwärmen und das Frostgefühl zu vertreiben; denn die erfrischenden und belebenden Luftbäder bilden in steter Abwechselung mit den Wasserbädern zusammen, die Hauptbestandteile der Kur.

An mehreren Kaltwasserheilanstalten, z. B. im Thüringer Wald zu Ilmenau, Elgersburg etc. findet man auch das Flusswellenbad, welches bei vielen Kranken dem Gebrauch der Dusche acht bis zehn Tage vorausgeht. Dieses treffliche Surrogat des Seebades kann in vielen Fällen noch da angewandt und mit Nutzen gebraucht werden, wo bei Kranken wegen Schwäche die Seebäder nicht passen. Die Anlage solcher Flusswellenbäder, um so den Wellenschlag der See zu ersetzen, ist da, wo Wassermühlen sind, nicht kostspielig; auch lässt sich damit leicht, je nach der Lokalität, ein natürlicher oder künstlicher Wasserfall verbinden, wo sich, wie in Ilmenau, die Wassermasse durch einen Lattenverschlag, gleichsam wellenartig strömend und tobend, in den geräumigen Badekasten drängt, von wo aus man sie nach Belieben wieder ablaufen lässt. Der Badende ist hier einem stärkeren Wasserdruck ausgesetzt, hat sich anzustrengen, selbst noch bei einer Unterstützung mit Handhaben das Gleichgewicht seines Körpers zu erhalten, indem er so dem duscheartigen Einschlagen der Wellen verschiedene Körperseiten aussetzet. Dass ein solches Flusswellenbad gegen das große Heer atonischer Krankheiten wegen des kräftigeren Impulses auf den Körper wirksamer, als das gewöhnliche Flussbad sei, ist ausgemacht. Der Körper ist hier jedenfalls einem ungleich stärkeren Drucke, einer Art Kompression, einer Massierung durch die Wellen ausgesetzt, welche bei Allen momentanes Wärmegefühl und Turgeszenz der Haut, selbst auffallende Röte derselben zurücklässt (s. Massieren des Körpers). Außerdem ist’s nicht unwahrscheinlich, dass in diesem sausendem Gemische von Luft und Wasser Friktionselektrizität frei wird und auf den Kranken heilsam influiert; auch ist hier noch die Gymnastik, zu welcher das ganze Muskelsystem, vorzüglich aber die Brustmuskeln und Lungen selbst auffordern, und wodurch eine merkwürdig heitere Stimmung sich des Badenden bemächtigt, in Anschlag zu bringen.

Man verweilt drei, fünf bis sieben Minuten im Badebehältnis; alsdann kleidet man sich im angrenzenden Zimmer mit Hilfe des Badedieners schnell an, um in Bewegung zu kommen und das heftige Frösteln und Zähneklappern zu verscheuchen.