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Jacob Voorhoeve Homöopathie in der Praxis I. Darstellung der Grundsätze und Lehren der Homöopathie V. Grundsätze der Homöopathie

[I. Prüfung der Arzneimittel an Gesunden]

I. Wenn Hahnemann nur diese eine Bedingung aufgestellt hätte, daß alle Arzneimittel, ehe sie bei Kranken zur Anwendung kommen, am Gesunden erprobt werden müssen, könnte er bereits als der größte Reformator der Heilkunde seiner Zeit angesehen werden. Denn es ist in der Tat ein genialer Gedanke, die Kraft der Arzneien nicht nur von zufälligen Vergiftungen oder von Versuchen an Tieren, welche ihren Gefühlen keinen Ausdruck geben können, abhängig machen zu wollen, sondern auch den Menschen selbst, welcher der Gegenstand der Krankenbehandlung ist, zum Prüfstein hinsichtlich der Wirkung der Arzneimittel zu wählen. Obwohl die Schulmedizin diese Untersuchungsmethode nicht gänzlich verwirft, ja sogar durch ihre Vertreter vor und nach Hahnemann auf deren Nutzen hingewiesen hat, hat sie dieselbe doch nicht praktisch verwendet. Sie hat im Gegenteil ihre Kenntnis der Wirkung der Arzneien hauptsächlich auf empirische Weise und durch die Tierversuche erlangt, und obwohl diese Versuche keineswegs zu verwerfen sind, haben sie doch dazu geführt, daß viele scheinbar unwirksame, aber dennoch wertvolle Mittel, welche früher mit gutem Erfolge bei manchen Krankheiten in Gebrauch waren, von der Liste der Heilmittel gestrichen wurden, während die neueren Produkte der chemischen Großindustrie mit fremdartigen und gelehrt klingenden Namen bei der Krankenbehandlung den Vorzug erhielten. In vielen Fällen können die bei Tieren erlangten Resultate sogar durchaus nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen werden. So hat z. B. Atropin beim Tier eine ganz andere Wirkung als beim Menschen. Über feinere Wirkungen einer Arznei kann der Tierversuch überhaupt keine Auskunft geben. Daß auch die Beobachtung am Krankenbette allein nicht genügend ist, um über die Wirkung einer Arznei völligen Aufschluß zu erhalten, beweist das Auftauchen so vieler neuen Arzneimittel in gegenwärtiger Zeit, welche alle zuerst eine "vorzügliche Wirkung" haben sollen, bald jedoch mehr oder weniger "schädliche Nebenwirkungen" offenbaren, sodaß nicht wenige dieser Mittel schließlich ruhmlos "von der Bildfläche verschwinden." Auch werden sich beim Versuch am Kranken die Symptome der Krankheit mit den durch das Mittel hervorgebrachten Symptomen vermischen, wodurch oft kein klares Bild der Arzneiwirkung gewonnen werden kann.

Demgegenüber zeigt die Prüfung am gesunden Menschen, welche besondere Organe jedes einzelne Arzneimittel beeinflußt, welche feineren Wirkungen es auf die Nerven, das Gemüt u. s. w. ausübt, wodurch der Arzt in den Stand gesetzt wird, in Krankheitsfällen das jeweilig angezeigte Mittel mit größerer Sicherheit auswählen zu können. In letzter Zeit haben denn auch einige Gelehrte der herrschenden medizinischen Richtung anerkannt, daß die Forderung Hahnemanns, die Wirkung der Arzneien auf den gesunden, menschlichen Körper zu untersuchen, durchaus der modernen Wissenschaft entspricht. Prof. Schulz sagt, daß wir aus den Tierexperimenten niemals den vollen Umfang des Wertes einer Arznei für den Menschen in Erfahrung bringen können. Daß Arsenicum ein Gift ist, können wir aus Versuchen an allen möglichen Tieren ersehen, daß es jedoch auch imstande ist, u. a. eigentümliche chronische Neuralgien zum Vorschein zu bringen, lernen wir hieraus nie. Zur Lösung der Frage: "Welche Wirkung hat eine bestimmte Arznei bei dem Menschen und welche Folgen gehen daraus für die Therapie hervor?" ist das Tierexperiment deshalb nicht genügend. Will man wissen, welche Kraft eine gewisse Arznei zur Heilung von Krankheiten bei Menschen entfalten kann, dann muß man notwendigerweise deren Wirkung auf den gesunden menschlichen Körper studieren. Der genannte Gelehrte sagt, daß es für den jungen angehenden Arzt von nicht zu unterschätzendem Wert ist, die Wirkung eines Arzneimittels auch einmal an sich selbst probiert zu haben. "Er bekommt dadurch einen ganz andern Blick in Bezug auf die Kraft und Bedeutung des Mittels für die Therapie, als wenn er nur auswendig lernt, daß es imstande ist das Froschherz zu lähmen, oder beim Meerschweinchen Krämpfe zu verursachen!"

Diesen Grundsatz der Homöopathie haben sowohl Hahnemann, als auch seine Schüler und Nachfolger praktisch betätigt. Hahnemann selbst hat ungefähr 60 Arzneimittel nach seiner Methode am gesunden Menschen untersucht und über die Resultate ausführliche Protokolle aufgenommen. Sein Werk wurde mit modernen Hilfsmitteln fortgesetzt und ergänzt, sodaß wir jetzt sehr genaue und ausführliche homöopathische Arzneimittellehrbücher besitzen, welche die Wirkungen der bekanntesten und gebräuchlichsten Arzneien beschreiben, wobei nicht nur auf die pathologisch-anatomischen Veränderungen, sondern mit Recht auch auf die subjectiven Symptome als Grundlage für die Wahl des richtigen Arzneimittels großes Gewicht gelegt wird. Ein klassisches Werk ist in dieser Hinsicht die bekannte Arzneimittellehre des amerikanischen Professors Farrington; und täglich werden die Untersuchungen auf diesem Gebiete von der homöopathischen Wissenschaft fortgesetzt.



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II. "Similia similibus curentur"