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Jacob Voorhoeve Homöopathie in der Praxis I. Darstellung der Grundsätze und Lehren der Homöopathie

I. Abschnitt.
Geschichte der Medizin bis auf Hahnemann

"In der Kunst gilt, wer was kann;

in der Heilkunst, wer heilen kann."

(E. Schlegel.)

 

Bis in die weit zurückliegenden Jahrhunderte des grauen Altertums lassen sich die Spuren der Heilkunst verfolgen, dieser Kunst, welche zum Zweck hat, die Krankheiten und Gebrechen des menschlichen Geschlechtes zu heilen und zu erleichtern. Der edle Drang, dem Mitmenschen bei Unfällen und Krankhei­ten Hilfe zu verleihen, war bei den ältesten Völkern so mächtig, daß schon sehr bald Einzelne dem Aufsuchen von Mitteln und Wegen, um Schmerzen zu lindern und Krankheiten zu heilen, ihr ganzes Leben weihten. So geschah es, daß lange bevor der Grund zu anderen Künsten und Wissenschaften gelegt war, die Heilkunst, wenn auch auf primitive Weise, ausgeübt und auch gelehrt wurde.

Der Papyrus Ebers, die älteste schriftliche Überlieferung aus Ägypten, gibt uns ein Bild von dem Stande der Heilkunde um das Jahr 1600 v. Chr. Bei den ältesten Völkern stand die Heilkunde mit dem Gottesdienst in enger Beziehung; sie wurde hauptsächlich von den Priestern ausgeübt, als eine ihnen durch göttliche Offenbarung geschenkte und durch Tradition überkommene Kunst.

Bei den Griechen wurde Asclepius (Äskulap), ein Sohn des Apollo, als der Gott der Heilkunde verehrt, und lange Zeit hindurch waren die ihm geweihten Tempel die einzigen Orte, welche die Kranken zur Heilung ihrer Leiden aufsuchten. Die Heilmittel wurden den Kranken mittels Träume geoffenbart, welche von den Priestern gedeutet wurden.

Von einer wissenschaftlichen Ausübung der Heilkunde kann erst mit dem Auftreten des griechischen Arztes Hippokrates (400 v. Chr.) die Rede sein. Er wird mit Recht "der Vater der Heilkunde" genannt. Indem er sich auf die genaue Beobachtung des menschlichen Körpers in gesundem und kran­kem Zustande stützte, schuf sein gewaltiger Geist die Grundlagen der Heilkunde, welche allen Stürmen der Jahrhunderte getrotzt haben und auch heutzutage noch als unumstößliche Wahrheiten gelten können. Er entdeckte die dem lebenden Organismus innewohnende Kraft, welche er "Vis medicatrix naturae" nannte, wodurch der Organismus imstande ist, Krankheiten aus eigener Kraft zu überstehen, und betrachtete es als die erhabenste Aufgabe des Arztes, die Natur in ihrem Streben kennen und unterstützen zu lernen: "Medicus interpres et minister naturae"; d.h. "der Arzt soll der Ausleger und Gehilfe der Natur sein!" Er soll die Krankheit in allen ihren Erscheinungen und Eigentümlichkeiten genau studieren, ihre Ursachen aufspüren und ihren Verlauf beobachten, um dadurch imstande zu sein, in Übereinstimmung mit der Natur das Heilmittel zu finden. Von diesem Grundsatze ausgehend, und ohne Zweifel auf alten Überlieferungen und Erfahrungen seiner Vorgänger und Zeitgenossen weiter bauend, stellte dieser geniale Mann zwei Grundsätze auf, nach welchen Krankheiten geheilt werden können und verkörperte diese in zwei Grundprinzipien: "Contraria contrariis curentur" (d. h. die Krankheit werde durch das ihr entgegengesetzte Mittel geheilt) und "Similia similibus curentur" (d. h. die Krankheit werde durch das ihr ähnliche Mittel geheilt). Während Hippokrates das erste Prinzip in dem Sinne auslegte, daß es auf die Ursache der Krankheit angewendet werden muß, sodaß, wenn man die Ursache kennt, man auch durch Anwendung des dieser Ursache entgegengesetzten Mittels die Krankheit heilen kann (z. B. Darreichen von Essig bei Vergiftung durch Lauge), wurde diese Regel später als Grundlage für die palliative Therapie benutzt, welche ihre Kraft hauptsächlich im Unterdrücken unangenehmer Krankheitserscheinungen sucht (z. B. Darreichen von Opium bei Schmerzen, von Abführmitteln bei Verstopfung), wobei jedoch ganz übersehen wurde, daß hierdurch die Krankheit nicht geheilt, sondern nur in ein Stadium gebracht wird, in welchem der Kranke für kurze Zeit keine subjektiven Beschwerden mehr hat. Die volle Kraft des zweiten Prinzips konnte durch Hippokrates nicht ans Licht gebracht werden, da er die Wirkungen der Arzneimittel auf den gesunden menschlichen Körper nicht gekannt und untersucht hat. Er wußte nur durch seine am Krankenbett gesammelten Erfahrungen, daß gewisse Krankheiten durch ein diesen Krankheiten ähnliches Mittel geheilt werden können, wie er auch sagt: "Husten wird geheilt durch ein Mittel, welches Husten verursacht." Die Kenntnis dieses Prinzips ist denn auch im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen. Ebenso wurde der Grundsatz von der Heilkraft der Natur von den auf ihn folgenden Geschlechtern vernachlässigt, ja, von Galenus in der Praxis gänzlich beiseite gesetzt.

Galenus, welcher nächst Hippokrates eine der am meisten bekann­ten Persönlichkeiten in der Geschichte der älteren Medizin ist, hatte eine für seine Zeit bewunderungswürdige Kenntnis auf anatomischem und physio­logischem Gebiete, ein großes Organisationstalent, zugleich aber auch einen unverträglichen und herrschsüchtigen Charakter. Er wurde das Haupt einer medizinischen Schule, welche ihren Einfluß während des ganzen Mittelalters, bis gegen Ende des 18ten Jahrhunderts, geltend machte. Obwohl er die Grundsätze des Hippokrates in der Theorie guthieß und sie auch in seinen Werken bespricht, wandte er in der Praxis die Arzneimittel doch fast ausschließlich nach der Regel: "Contraria contrariis" an und wurde dadurch der Begründer der sogenannten allopathischen Heilweise. Der Arzt, welcher nach der Methode des Galenus behandeln will, muß die Krankheit bekämpfen and vernichten und die Natur bezwingen, anstatt unterstützen. "Die Heilkunde", sagt er, "setzt den Arzt instand die Krankheit zu bezwin­gen." Die Erfahrung und Beobachtung werden von ihm diesem Lehrsatz untergeordnet. "Die rationelle Beurteilung einer Arznei," sagt er, "macht deren praktische Untersuchung überflüssig." Der Verstand will bei ihm die Tatsachen beherrschen. Bis in die neuere Zeit erinnern die Versuche mit dem Einnehmen antiseptischer Mittel bei Typhus, Lungenentzündung u. a., welche die Bazillen vernichten sollen, an diese Schule des Galenus.

Die Werke des Galenus wurden von den arabischen Ärzten übersetzt und verbreitet und von den Heilkundigen des Mittelalters mit großer Begei­sterung aufgenommen, da sie mit der Philosophie des Aristoteles, welche zu jener Zeit hohes Ansehen genoß, Berührungspunkte aufwies. Mit beinahe abgöttischer Verehrung wurde an den Aussprüchen des Galenus festge­halten und helle Köpfe, Reformatoren der Medizin, welche die Irrtümer des herrschenden Systems erkannten, wie z.B. Paracelsus (16tes Jahrhun­dert) und Harvey, der Entdecker des Blutkreislaufes (1578—1657), wurden verachtet, verfolgt, ja, sogar für irrsinnig erklärt! Zwar wurden im Laufe der Zeit und besonders im 17ten Jahrhundert wichtige wissenschaftliche Ent­deckungen gemacht, wie z. B. von Malpighi und Leeuwenhoek, aber sie beschränkten sich in der Hauptsache doch auf das Gebiet der medizini­schen Hilfswissenschaften, wie Anatomie und Physiologie. Das ureigenste Gebiet der Heilkunde, die Therapie, die Kunst, nicht Krankheiten zu erken­nen, sondern zu heilen, war und blieb ein trauriges Bild der widerstrei­tendsten Verordnungen und phantastischsten Methoden, von Aderlaß, Abführen, Brennen und Schneiden, sodaß der berühmte Boerhave (1668—1738) ausrief, daß es für das menschliche Geschlecht weit besser gewesen wäre, wenn es nie Ärzte gegeben hätte!



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II. Entdeckung der Homöopathie