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Jacob Voorhoeve Homöopathie in der Praxis I. Darstellung der Grundsätze und Lehren der Homöopathie

II. Abschnitt.
Entdeckung der Homöopathie

"Alles ist im Keim enthalten,

Alles Wachs­tum ein Entfalten!"

(Rückert.)

 

Gerade in jener Zeit, als der trostlose Zustand der Medizin einzelnen klarblickenden Männern deutlich zu werden begann, in einer Zeit, als die anfänglich hoch angesehene, aber verderbliche Lehre Browns allmählich in Verfall geriet fällt die Entdeckung der Homöopathie durch Samuel Hahnemann, welcher die Sünden und Irrtümer der damaligen Medizin auf die schärfste und unzweideutigste Weise geißelte und ein einfaches, aber wahres Prinzip für die Heilung von Krankheiten der Welt kund tat.

Wie es bei großen Entdeckungen von weittragender Bedeutung so oft der Fall ist, bewahrheitete sich auch hier der Spruch: "Kleine Ursachen, große Folgen!" Eine scheinbar unbedeutende Tatsache wurde der Ausgangspunkt zu einer Reformation der Medizin. Bei der Übersetzung von Cullens Arzneimittellehre wurde Hahnemann durch dessen gezwungene Erklärung über die fiebervertreibende Kraft der Chinarinde veranlaßt, die Wirkungen dieser Substanz an seinem eigenen Körper zu versuchen. Er nahm dabei Empfindungen und Erscheinungen wahr, wie solche beim Wechselfieber aufzutreten pflegen. Er entdeckte die zwischen Krankheit und Arzneimittel bestehende Beziehung. Durch wiederholte Versuche an sich selbst und seinen Angehörigen mit dieser und anderen Substanzen wurde es ihm je länger je deutlicher, daß jede wahre Arznei in einer spezifischen Beziehung zu der durch sie zu heilenden Krankheit steht. Er nahm wahr, daß eine Krankheit durch ein Arzneimittel geheilt werden kann, welches beim gesunden Menschen ähnliche Krankheitserscheinungen hervorruft. Dieser scheinbar unbedeutende Versuch mit der Chinarinde wurde das Samenkorn zu dem mächtigen Baum der homöopathischen Arzneimittellehre. Das "Similia similibus curentur" war aufs neue entdeckt!

Ebenso wie alles, was gegen herrschende Vorurteile angeht, mit heftiger Anfeindung zu kämpfen hat, wurde auch die Entdeckung Hahnemanns verspottet, verachtet und in den Schmutz getreten und er selbst zum Zielpunkt von Verdächtigungen und Verfolgungen gemacht. Und bis auf den heutigen Tag läßt die herrschende medizinische Schule der homöopathischen Heilmethode keine volle Gerechtigkeit widerfahren, wenn auch in letzter Zeit die Stimmen in der offiziellen Medizin sich mehren, welche auf Grund von gemachten Wahrnehmungen und Versuchen die Wahrheit des Grundprinzips der Homöopathie anerkennen. Während z. B. früher das grundlegende Experiment Hahnemanns mit der Chinarinde von der Wissenschaft für Unsinn und mit den Tatsachen in Widerspruch erklärt wurde, haben jetzt verschiedene Gelehrte die Richtigkeit dieser Beobachtungen über die Wirkung des Chinins auf den gesunden menschlichen Körper bestätigt.

Es ist bekannt, daß Arbeiter, welche in Chininfabriken mit dem Pulverisieren von Chinarinde sich beschäftigen, von eigentümlichen Fieberanfällen befallen werden. Obwohl diese Anfälle nicht bei allen auftreten, sind sie doch bei den meisten wahrzunehmen. "Der Fieberanfall," schreibt Prof. Lewin in seinem epochemachenden Werke: "Die Nebenwirkungen der Arzneimittel," "ähnelt in manchen Fällen einem Wechselfieberanfall. Frost, dann trockene Hitze mit Kopfschmerzen und endlich zum Schluß, unter Sinken des Fiebers, Schweiß. Das viel besprochene und umstrittene und vereinzelt sogar aus Unwissenheit geleugnete Chininfieber kommt ziemlich häufig allein oder in Verbindung mit anderen Nebenwirkungen des Chinins vor. Die vielfach angezweifelte Selbstbeobachtung Hahnemanns ist deshalb als richtig anzusehen." Die Chinarinde kann also Krankheitserscheinungen hervorrufen, die jenen ähnlich sind, bei welchen sie allgemein als Heilmittel gilt.

Die Professoren Schulz und Arndt an der Universität Greifswald haben in unseren Tagen die Wahrheit der Grundsätze der homöopathischen Heillehre durch ganz selbständige Untersuchungen bestätigt gefunden. Prof. Schulz sagt, daß es ein unsterbliches Verdienst Hahnemanns ist, die methodische Prüfung der Arzneimittel am gesunden menschlichen Körper empfohlen zu haben. Er selbst und seine Studenten haben zahlreiche Mittel, unter denen sich viele befinden, die, wie z. B. Schwefel, Kochsalz u.s.w., für unwirksam gehalten werden, an sich selbst versucht und Krankheitsbilder erhalten, welche auf überraschende Weise mit den von Hahnemann vor 100 Jahren beschriebenen übereinstimmen. So fand er u. a. durch seine Untersuchungen, daß Quecksilber und Syphilis, Arsenicum und Cholera, Sublimat und Ruhr, Schwefel und Hautkrankheiten in gewisser spezifischer Beziehung zu einander stehen, und daß Arzneien, welche bei Gesunden gewisse Krankheitserscheinungen hervorrufen, ähnliche Erscheinungen beim Kranken zur Heilung bringen. Er sagt dann auch, daß es nichts weiter als ein Akt der historischen Gerechtigkeit ist, auszusprechen, daß die günstige Wirkung dieser Mittel bei der Behandlung verschiedener Krankheiten den Ärzten der homöopathischen Schule schon lange bekannt war und von ihnen am Krankenbette häufig benutzt wurde.

Auch Prof. v. Behring, der Erfinder des Diphtherie-Heilserums, zollt, wenn auch mit einigem Widerstreben, dem Hahnemannschen Prinzip Anerkennung. Er sagt in seiner "Allgemeinen Therapie der Infektions-Krankheiten": "Hahnemanns Grundsatz war nach unseren jetzigen Kenntnissen gar nicht so übel. Ausgehend von dem Pockenschutz durch die Vakzination, nahm er zunächst an, daß ein Krankheit erregender Stoff bei geeigneter Dosierung zum Heilmittel werden könne für die Krankheit, die er hervorruft."

Wenn wir nun fragen, wie es kommt, daß trotzdem die homöopathische Heilweise noch soviele Gegner unter den Vertretern der Schulmedizin hat und vielfach noch so geringschätzend behandelt wird, dann müssen wir die Ursache nicht allein in Hahnemanns Empfehlung eines neuen therapeutischen Prinzips und der Prüfung der Arzneimittel am Gesunden, zwei Forderungen, die gegen die herrschenden Anschauungen verstießen, suchen, sondern hauptsächlich in seiner Lehre von der Arznei­verdünnung. Obwohl es von Vertretern der homöopathischen Schule schon wiederholt ausgesprochen ist, daß nach unseren modernen Anschauungen von einer steten Erhöhung der Wirkung eines Arzneimittels bei zunehmender Verdünnung keine Rede sein kann, wird noch immer die Infinitesimaltheorie Hahnemanns mit der Lehre von der Wirkung sehr kleiner Arzneimengen verwechselt und sind es hauptsächlich die kleinen Dosen, die "Nichtse" der Homöopathie, welche den Stein des Anstoßes bilden. Nun, daß sehr kleine Mengen Arznei und zwar viel kleinere, als bei der herrschenden Schule gebräuchlich sind, eine Wirkung entfalten können, die zur Heilung ausreicht, werden wir später sehen und wollen uns jetzt erst einige Augenblicke mit dem Manne selbst beschäftigen, dessen großem Geiste die Welt die Entdeckung der Homöopathie zu verdanken hat.



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