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Volks- und Hausarzneimittel

Schließlich mache ich über die Volksmedizin, über die Volks- und Hausarzneimittel noch folgende Mitteilungen:

1) Viele, zum Teil mangelhafte und einseitige Ansichten der Laien über die Entstehung und Heilung der Krankheiten, rühren von der Medizin früherer Jahrhunderte her. Was vor 100 und mehreren Jahren ärztliche Methode der Praktiker war, ist aufs Volk übergegangen, weil dasselbe den guten Erfolg solcher Kurmethoden erfahrungsgemäß aus dem Leben, so wie aus alten Büchern und traditionell von Eltern und Grosseltern kennen lernte.

2) Sehr naiv und treffend sind häufig die Benennungen und Ausdrücke, welche das Volk, in Folge unmittelbarer und unbefangener Naturanschauung, für die Krankheiten und ihre Heilmittel trifft, und welche nicht selten mit den neuesten Ergebnissen der vornehmen, gelehrten medizinischen Wissenschaft zusammenfallen. Daher werden sie auch von gereifteren Ärzten, welche einen tieferen Sinn in ihnen ahnen, nicht verachtet, wie es bisweilen jüngere aus Schulweisheit tun, sondern sogar kultiviert und weiter benutzt, wie dies z. B. Lentin, Kreysig, Rust und andere geniale Ärzte, welche in ihren Sprachweisen höchst populär waren, machten.

3) Der kenntnisreiche Rezensent der gekrönten Preisschrift von Fr. Pauli: „Über die in der Pfalz üblichen Volksheilmittel“ (1842), Dr. Richter, spricht sich hier so aus: „Den wahren Wert der Volksheilmittel und Volksheilmethoden zu erfassen, muss man sie nicht als abstrakte Heilmittel gegen abstrakte Krankheitswesen auffassen, sondern als das, was sie sind, als konkrete Erscheinungen und Ergebnisse der geschichtlichen und topographischen Verhältnisse des Volks-, Provinzial-, Städte- oder Gemeindelebens. Bestimmte örtliche Einflüsse des Klimas, der Wohnorte, der Gewohnheiten, Verfassungen u. s. w. rufen in kleineren oder größeren Kreisen der Völker gemeinsame Anlagen, gemeinsame Schädlichkeiten, gemeinsame Lebensphänomene hervor, die sich (so weit jene Einflüsse reichen) auf eine kürzere oder längere Zeit hinaus, als gleichförmige Gruppierungen der Grundphänomene des organischen Lebens, d. h. als sogenannte Krankheitsformen deutlich zeigen. Das hierin sich kundgebende Gesetz äußert sich in der ganzen Natur, so weit die Artenbildung geht, und begreift sich leicht, sobald man sich nur erst von dem unrichtigen und beschränkten Artenbegriffe der Nach-Linneanischen Naturhistoriker losgemacht hat. (Linne selbst hat diesen Artenbegriff schon in der letzten, 6. Ausgabe seiner Genera fallen lassen. Die modernen Botaniker und Zoologen stehen aber größtenteils noch in der 5. Auflage still.) Wie die Sorten von Kaffee, Wein, Tabak, Reis u. s.w. den Gesamteindruck der örtlichen Verhältnisse ihres Vaterlandes so unabänderlich an sich tragen, dass der geübte Kaufmann einen pfälzer oder ukermärkischen Tabak, eine Brasil- oder Javasorte von Kaffee unter allen Abweichungen und Zubereitungen noch mit leichter Mühe erkennt: gerade so sind auch die Krankheitsformen überall das Produkt mannigfacher zeitlicher und örtlicher Einwirkungen, und nur so weit letztere reichen, sind sie gewöhnlich etwas Homogenes. Eben so die Heilmethode. Nur wenige haben in größeren Kreisen der menschlichen Gesellschaft eine allgemeine Geltung, die meisten nur innerhalb jenes bescheidenen Kreises, innerhalb dessen sie entstanden sind. Sogar die großen Weltseuchen, obgleich das Produkt von sehr allgemein verbreiteten krankmachenden Agentien, müssen sich diesen Gesetzen fügen; wir erinnern nur an die Cholera und ihre verschiedenen Behandlungen von Indien her bis zu uns. So kann es nun kommen, dass ein Volks- oder anderes Heilmittel sich heute oder hierorts allgemein bewährt, welches übers Jahr oder einen geographischen Grad weiter uns gänzlich im Stich lässt. Aber dies stößt jene günstigen Erfahrungen nicht nur nicht um, sondern macht sie um so mehr zu einem wissenschaftlichen Probleme der medizinischen Geo- und Topographie, welcher die Volksheilmittel durchaus angehören. — Aus diesem Standpunkte müssen wir uns recht viel solche Schriften und Preisaufgaben, wie die des Dr. Pauli, wünschen; besonders wenn sie, wie unser Verf. auch auf die übrigen Lokalverhältnisse, die herrschenden Krankheiten und pathologischen Ansichten, die Volksvorurteile, die stattfindenden Missbräuche und Geheimmittel, Pfuscher, Medizinalwaarenhändler, Bader u. s. w., auf die wirklichen Ursachen und stichhaltigen Heilungen der vorhandenen Volkskrankheiten mit eingehen. Denn so dienen sie schon völlig den Zwecken zweier, bis jetzt noch sehr im Stadium der Kindheit begriffenen Wissenschaften, der medizinischen Topographie und Geschichte, — Wissenschaften, deren Mannesalter natürlich erst reifen kann, wenn der jetzige Entwicklungskampf um die einfachen physiologischen Grundlagen der Krankheitslehre glücklich beendet sein wird.“

"Auf der anderen Seite sind schon jetzt viele krankmachende Momente und ihre Effekte (die Krankheiten) unter den zivilisierten Völkern so gleichförmig verbreitet und vergleichförmigen sich mit der zunehmenden Zivilisation immer mehr: so dass schon Vieles, in Lokalkreisen Erprobte auch bei einer allgemeineren Anwendung sich bewährt. Wir brauchen hier nur an den Lebertran zu erinnern, der in so kurzer Zeit seinen Tour du monde ruhmvoll durchgemacht hat. Hierin liegt ein anderer Nutzen solcher Schriften, der ihnen um so mehr Eingang verschafft, weil er eben so nahe liegend und praktisch ist: nämlich, dass sie eine Quelle neuer technischer Heilinstrumente werden.“

4) Außer dem Lebertran habe ich in der Vorrede zu dieser Enzyklopädie der Volksmedizin auch noch die Chimophila umbellata, die Radix Artemisiae vulgaris und das kalte Wasser u. a. m. als Beispiele angeführt, wie wir Ärzte oft höchst wirksame Hausmittel erst vom Volk kennen lernen müssen, oder sie als obsolet und unwirksam mit Unrecht der Vergessenheit übergeben, bis uns das Volk wiederum darauf aufmerksam macht. In Burdach’s System der Arzneimittellehre (von 1809) findet man noch viele Arzneikörper als entbehrlich und obsolet aufgeführt, welche wegen ihrer heilsamen Kräfte es nimmermehr hätten werden sollen. Ich nenne hier nur folgende: Radix Lopez, Semen Lycopodii, Stibium oxydatum album, Sal Thermarum Carolinarum (auch das nach Klapprot künstlich nachgefertigte ist nicht, wie Burdach meint, dem Glaubersalze in der Wirkung gleich), Mariendistel, Gnaphalium arenarium, Solidago virga aurea, Lactuca virosa, Datura Stramonium, Fructus Cynosbati, Ledum palustre, Agaricus muscarius, Rhus radicans et toxicodendron u. a. m.

5) So wie aber viele Heilmittel der praktische Arzt vom Volk (das Wort im weiteren Sinne genommen) kennen lernt, so bereichert sich tatsächlich auch die Volksmedizin täglich aus der lateinischen Küche. „Die zuverlässigeren Heilinstrumente der gelehrten Medizin“ — sagt Richter (Schmidt’s Jahrb. 1843. Bd. 38. Hft. 2. S. 243), — „werden sehr bald in die Hausmittelpraxis aufgenommen, und diese rekrutiert sich heutzutage weit mehr ans jener, als umgekehrt. Dies ist nicht bloß ein Zeichen der in den Volksklassen immer mehr verloren gehenden natürlichen Unmittelbarkeit und Erfindungsgabe (eine Folge der modernen Volkserziehung), sondern auch eine Anerkennung für die wissenschaftliche Medizin und ihre Leistungen. Denn wenn der natürliche Heilinstinkt und die auf Heilmittel führende Naturheilkraft ein so zuverlässiges Instrument zur Auffindung des Richtigen und Zweckmäßigen wäre (wie Manche glauben); so würde der natürliche Hausverstand des Volkes nicht so leicht zu dem greifen, was nur auf wissenschaftlichem Wege entstand. Pauli lehrt uns, in welchem ausgedehnten Masse dies in der Pfalz geschieht Selterwasser mit Milch, Jalappenharz, Aloepillen, weißes Fieberpulver (Chinin), Merkurialien, Ipecacuanhakügelchen u. a., Trochisci becchini, braune Brustmixtur (Salmiak mit Lakrizensaft) und hundert ähnliche Dinge sind, wie bei uns in Sachsen, Gegenstand der Volksmedizin geworden. — Es ist nicht bloß in England so, wo die Hausmütter Jamespulver, Soda- und Zedlitzpulver, blaue Pillen u. s. w. ohne Arzt verordnen; es ist in der ganzen zivilisierten Welt so, und war immer so.“ Aus diesem Grunde sind auch in meine Enzyklopädie der Volksmedizin manche pharmazeutische Heilmittel, als: Belladonna, Blei, Brechmittel, Kampfer, China, Chinin, Chlorkalk u. s. w. aufgenommen worden, welche sich unter den Nichtärzten längst das Bürgerrecht erworben haben, obgleich dieses noch mancher Arzt nicht zugeben will. Zucker, Gewürze, Liqueure, Essenzen, Salze, u. s. w. sind aus den Händen der Ärzte, sagt Richter, erst ins Volk gedrungen, vergisst aber dabei, dass namentlich die Gewürze aus Indien wir Europäer ursprünglich von den Wilden kennen gelernt haben, so wie noch manche andere wirksame Arzneistoffe, Rinden, Kräuter, Wurzeln u. s. w. Ich erinnere hier nur an die Chinarinde, welche Missionaire zuerst nach Europa brachten, nachdem sie dieselbe vom Volk kennen gelernt hatten.

6) Über den Nutzen und den Schaden medizinischer Volksschriften ist schon in früheren Zeiten viel gestritten worden. Der bekannte Murray schrieb darüber seine „Oratio de limitanda laude librorum medicorum practicorum usui populari destinatorum“ (Götting. 1779. 4.), wo er die Nachteile solcher Schriften etwas zu stark hervorhebt; denn Alles in der Welt hat seine zwei Seiten, und das nützlichste Hausmittel kann in der Hand des Unkundigen und am unrechten Ort und zur unrechten Zeit angewandt, Schaden bringen (s. C. S. Kramer, Diss. de mediana populari, Hallae 1783). Unter allen medizinischen Volksschriften habe ich Tissot’s „Anweisung fürs Landvolk über Gesundheit“, Faust’s „Gesundheitskatechismus“ und Unzer’s Zeitschrift: „Der Arzt“ bei den Predigern und Schullehrern Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz am meisten verbreitet gefunden. Noch muss ich eines sehr berühmten Mannes gedenken, der für die Volksmedizin in der Mitte des vorigen Jahrhunderts sich in Schweden eben so verdient gemacht hat, als Tissot in der Schweiz, in Frankreich und Deutschland. Ich meine Dr. von Rosenstein. Seine Schrift über Kinderkrankheiten (von 1764) ist in vielen Auflagen und Übersetzungen verbreitet und man findet sie auch häufig bei Landpredigern. Sie ist für die damalige Zeit zwar ein wenig gelehrt geschrieben, hat aber dennoch viel zur bessern physischen Erziehung der Kinder und zur Ausrottung der Vorurteile und Irrtümer dabei, beigetragen. — Auch van Swieten, Stoerk, Ofterding, Buchan, Zuckert, Senft und Rahn haben sich zu ihrer Zeit um die Volksmedizin so verdient gemacht, dass sie bei Bearbeitung einer Geschichte derselben (woran es uns bedauerlich noch fehlt) nicht ungenannt bleiben dürfen.

7) Ohne eine richtige und praktische umfassende Kenntnis der Heilmittel ist jeder Arzt ein Stümper, — ein überflüssiger, wo nicht schädlicher Mensch; denn hilft die heilende Natur, so ist er rein überflüssig, hilft sie nicht, reicht sie nicht aus, so weiß er sie nicht kräftig zu unterstützen, schadet vielleicht durch verkehrte Verordnungen. Einer unserer ersten Heroen in der Kenntnis der Arzneimittel, der Professor Dr. Dierbach in Heidelberg, sagt, indem er meine „Arzneimittellehre“ (Rostock 1842) in Canstatt’s Jahrsbericht (1842, Jahrg. I. Heft 5) kritisiert: „Man muss dem Hrn. Verf. mit vollem Herzen beistimmen, wenn er auf das in unseren Tagen von vielen Ärzten ganz vernachlässigte Studium der Materia medica aufmerksam macht und an den Ausspruch von A. J. Stift erinnert, der einst sagte: „Die Heilmittellehre ist für den praktischen Arzt so wichtig, dass sie billig sein angelegentlichstes Studium das ganze Leben hindurch sein sollte.“ Es ist aber so traurig, als wahr, dass, wie Choulant und Most bemerken, die Materia medica oft nur als ein Anhang der medizinischen Bildung betrachtet wird, der sich aus den Naturstudien von selbst finde! ja man darf hinzusetzen, dass es eine Menge praktische Ärzte gibt, die nicht einmal dem Ansehen nach die Mittel kennen, welche sie täglich verordnen, und noch weit schlechter über ihre Bestandteile unterrichtet, und so gut wie gar nicht mit historischen Tatsachen bekannt sind, welche den Medikamenten den Weg zu den Offizinen bahnten. Schon auf den Universitäten wird in der Regel dieser Doktrin jener Wert nicht beigelegt, der ihr mit so großem Rechte gebührt; häufig ist kein besonderer Lehrer, dafür angestellt, und dieser Zweig nur somit als eine geringfügige Nebensache behandelt.“ Dieses ist aber der faule Fleck unserer meisten jungen Praktiker. Inhuman, ist Manchen von ihnen bei ihrer frivolen Erziehung am Menschenleben nichts, aber Alles an einer instruktiven Sektion gelegen. Sie kennen nicht den zehnten Teil der herrlichen, heilkräftigen Arzneien, welche die Natur zum Wohl der leidenden Menschheit hervorgebracht hat, und sie lassen den unglücklichen Kranken an Schwäche sterben, weil sie keine Lust haben, ihn zu heben, weil sie ihm, statt die ganze Hand zum Aufrichten zu reichen, den kleinen Finger darbieten. Sie könnten viel Nützliches auch aus der Volksmedizin noch erlernen! —

8) Der pseudonyme Hilarius Jocosus sagt im Schweriner freimüth. Abendblatt (1842, Nr. 1248) sehr wahr: „Ein universales Haus- und Heilmittel trägt Jeder in sich selbst, ohne dass er es vielleicht weiß, es heißt Heilkraft der Natur. Obwohl noch Niemand die Natur in ihrer geheimen Werkstatt belauscht hat, so wissen wir doch und sehen täglich, dass sie für sich allein Krankheiten heilen kann. Wie viele tausend Menschen werden ohne Arzt krank und wieder gesund, ja, was noch mehr ist, wie viele genesen bei den verschiedenartigsten, oft unvernünftigsten Heilmitteln. Die gute Natur feiert nicht selten ihren höchsten Triumph, indem sie über zwei gefährliche Feinde den Sieg davon trägt. Da haben wir also ein Universalhausmittel gegen Alles, was Krankheit heißt, und brauchen eigentlich kein anderes; es ist das zuverlässigste, was wir kennen und gewährt da noch zuweilen Hilfe, wo der kurzsichtige Mensch jede Hoffnung zur Genesung fahren lässt. Wollten die Kranken diesem inneren Arzt und Nothelfer allein vertrauen, so würden freilich Ärzte und Apotheker Zeit zu anderer Beschäftigung gewinnen; allein die Sterblichkeit überhaupt dürfte dadurch keinen Zuwachs erhalten, denn Pfuscher und schlechte Ärzte bringen weit mehr Kranke ins Grab, als die guten mit aller ihrer Kunst erhalten können. Hahneniann, der Verdünner, hat durch sein Nichtstun gezeigt, wie wenig die Kunst und der Arzneien Mischmasch zur Wiederherstellung der Kranken eigentlich beiträgt. Bei einigem Sinn und Verstand für diese demütigende Lehre könnte das Publikum leicht zu der Einsicht gelangen, dass die Natur in der Regel, bei angemessener Diät, weit sicherer Krankheiten heilt, als der Arzt durch seine Pulver und Tränke, wodurch der Kunst und den Künstlern ein unheilbarer Stoss versetzt würde. Zu dieser Einsicht werden die Nichtärzte sobald noch nicht gelangen, und darum brauchen Doktor und Apotheker für ihren Unterhalt vor der Hand noch nicht besorgt zu sein. ’Denn glücklicherweise’, schreibt Simon, ’ist der Mensch in jeder Not, also auch in Krankheit, nur zu geneigt, sich an jeden Strohhalm anzuklammern, und ein Arzt ist doch stärker, als ein Strohhalm.’“

"Es wäre auch nicht gut für die Menschheit, wenn sie jede Krankheit der Natur zur Behandlung überlassen und die Ärzte bei Eisenbahnen, die Apotheker in Bierbrauereien beschäftigen wollte, wie jüngst ein Humorist anriet. Denn obgleich die Heilkunst ohne Mitwirkung der Natur gar nichts vermag, so kommen doch nicht selten Krankheitsfälle vor, wo die Natur gar zu heftig und zu stürmisch wirkt, gleichsam auf ihren Ruin hinarbeitet, andere wieder, wo es ihr an der nötigen Kraft mangelt, um die Krankheit für sich allein zu besiegen; oder die Kunst kann Hindernisse aus dem Wege räumen, welche der Natur die Heilung erschweren, wohl gar unmöglich machen, endlich gibt es auch Krankheiten, welche der Natur allein unbezwinglich sind, obgleich nur sehr wenige. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit und zugleich der Wert der Heilkunst zur Genüge. In welchen Fällen nun Krankheiten der Natur zu überlassen und wann ihr die Kunst zur Hilfe kommen muss, das können am besten Ärzte bestimmen, aber sie müssen eine ganz andere Stellung zum Publikum einnehmen, als die meisten heutigen Praktiker.“

"Sieht man nämlich ihr Treiben am Krankenbett, wie sie dort immer mit Rezepten bei der Hand sind, so sollte man beinahe glauben, dass die Natur für sich allein gar nicht mehr hinreiche, Krankheiten zu heilen. Aber dem ist, Gott sei Dank! nicht also. Wenigstens zwei Drittteile aller Kranken könnten ohne die geringste Arznei, bei zweckmäßiger Diät genesen, wenn die Ärzte nicht dem Vorurteile und der lieben Mode huldigen müssten. Man pflegt nämlich ihre Tätigkeit nach der Visitenzahl abzumessen, und danach und nach den verschriebenen Rezepten ihr Honorar zu bestimmen. Es ist einmal Mode, dass jeder Kranke mit Arzneien bedient sein will, und der Arzt nicht einmal auf Belohnung Anspruch machen darf, wenn er kein Rezept verschrieben hat. Daher immer Rezepte und Arzneien aus der Apotheke, wo sie auch gar nicht nötig sind. Der einsichtsvolle und redliche Arzt, will er nicht in Misskredit kommen, muss diese unsinnige Mode gegen seine bessere Überzeugung mitmachen; er weiß sich allenfalls zu helfen, er verschreibt etwas Unschädliches, z. B. Wasser mit einem gefärbten Sirup, regelt die Diät und lässt die Natur walten. Leider gibt es der eingebildeten Leibwalter nicht wenige, welche statt Hand in Hand mit der heilenden Natur zu gehen, sie mit stark wirkenden Arzneien bestürmen und dadurch ursprünglich leicht heilbare Krankheiten gefährlich, wohl gar tödlich machen. Wir raten Jedem, dem Gesundheit und Leben nicht gleichgültig sind, sich lieber der Natur allein anzuvertrauen, als solchen Rezeptenköpfen, wie einst Jean Paul witzig sie nannte, die täglich wenigstens 40 Kranke besuchen und ein halbes Buch Rezeptenpapier verschreiben.“

"Das sind die Leute, von denen der wackere Arndt eben so wahr als treffend in seinem „Zeitalter“ schrieb: ’Wie durch Inspiration scheinen sie die Krankheit zu erkennen, sie fühlen den Puls, besehen die Zunge, tun einige sybillinische Sprüche, verschreiben ein Rezept und eilen davon. Abends kommen sie wieder und verschreiben ein anderes. Wo der wahre Arzt mit Erwartung, Vertrauen und Furcht Wunder tut, verhalten sich die Rezeptenköpfe gleichgültig und untätig. An konsequentes Befolgen eines einfachen Kurplans, an Diät, an Veränderung der Lebensordnung wird nicht gedacht. Der große Text ihres Lebens ist Brot, Brot, danach läuft und schreit die Menge. Sie hat es von jeher getan, aber nicht mit solcher Angst, und mit solcher wahren Angst, wie gegenwärtig.’“

Sehr wahre Worte! Die Stellung der heutigen Ärzte im Staate ist eine falsche. Erst dann, wenn, diese besser wird, kann man hoffen, dass der Schlendrian, stets, selbst bei dem geringsten Übelbefinden, Rezepte zu schreiben und alles Heil in der Apotheke zu suchen, aufhört und den Haus- und Volksarzneimitteln die Beachtung und Benutzung Seitens der Ärzte zu Teil werde, die sie verdienen.