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Induktion und Licht

Wenn wir lesen, dass die Griechen den Begriff der Schwere auf die Erscheinung des Lichts anwandten, dass ihnen das Licht ein leichter Körper war etwa wie die Luft, dass sie diesen leichten Körper von der Erde hinweg zu dem Himmel streben ließen, so sehen wir deutlich den alten Mißbrauch eines Worts. Und doch will es mir scheinen, als ob die Griechen bei der induktiven Verbindung der Begriffe Licht und Schwere keine viel unklarere Vorstellung geformt hatten als unsere beiden letzten Jahrhunderte bei der ebenso induktiven Verbindung der Begriffe Licht und Geschwindigkeit. Es war sicherlich ein geistreicher Einfall von Römer (1676), als er die Verspätung und Verfrühung der Verfinsterungen an den Jupitermonden beobachtete, diese Erscheinung mit der weiteren und näheren Entfernung der Erde vom Jupiter verglich und wirklich eine regelmäßige Beziehung auffand. Er beschrieb diese Ereignisse, und da es sich um Zeitteilchen handelte, so nannte er diese Lichtverhältnisse die Geschwindigkeit des Lichts. Vorher hatte man diesen Begriff gar nicht gekannt; das Licht hatte vorher gewissermaßen gar keine Geschwindigkeit, weil man sie gleich unendlich setzen konnte. Ein Ding, das überall zugleich ist, hat nach unseren Vorstellungen keine Geschwindigkeit. Als nun die sogenannte Geschwindigkeit des Lichts auf dreimalhunderttausend Kilometer in der Sekunde berechnet war1, bemerkte man zuerst nicht, dass in dieser Ziffer doch ein bildlicher Ausdruck stak. Man hatte von den Erscheinungen der Jupitermonde und der Schnelligkeit z. B. eines geworfenen Steins oder einer Kanonenkugel eine Induktion gemacht, das heißt, sich beim Worte Geschwindigkeit beruhigt. Es stellte sich aber bald heraus, dass die Vorstellung von dieser ungeheuerlich schnellen "Ortsveränderung" der Lichtkörperchen zu Widersprüchen führte. Da setzte man an die Stelle der Ortsveränderung den Begriff der Wellenbewegung, das heißt, man schuf eine neue Induktion, indem man die Beschreibung der Töne und die Beschreibung des Lichts auf einen gemeinsamen Ausdruck brachte und durch diese Abstraktion wie immer aus der Beschreibung zu einer Erklärung zu gelangen glaubte. Man hatte also eine Metapher von der Geschwindigkeit der Schwingungen und eine andere von der Geschwindigkeit der Ortsveränderung. Man redete dabei von einem Äther als dem materiellen Träger aller dieser unvorstellbaren Geschwindigkeiten. Aber dieser Äther ist doch wohl im Grunde nichts als das tertium comparationis der Metapher. Wieder haben wir ein Wort vor uns, welches eigentlich nichts ist als eine vorläufige Beruhigung über Ähnlichkeiten, welche an den Erscheinungen des Lichts, der Wärme, des Magnetismus und der Elektrizität beobachtet worden sind. Der Äther ist ein Ruhepunkt im Denken geworden, und was man über seine Eigenschaften auszusagen weiß, ist dann wieder der Übergang durch dieses Wort hindurch in die Deduktion.

Noch besser jedoch als der Hinweis auf alten und neuen Wortaberglauben scheint mir das Hauptwort aller dieser Erscheinungen als Beispiel dienen zu können für die Selbsttäuschung der Induktion, die sich über den gemalten Rahmen beruhigt, wenn ein haltender Nagel dazugemalt ist. Ich meine das Wort "Licht" selbst. Vom Lichte handeln dicke Bücher, mit der Untersuchung des Lichtes sind hundert Gelehrte beschäftigt. Wir dürfen darum freilich nicht verlangen, auch zu erfahren, was das Licht in Wirklichkeit sei. Wir sollten aber doch meinen, wir müßten endlich wissen, ob das Licht überhaupt irgend etwas sei oder nicht. Da begegnen wir aber einer Definition, die späteren Geschlechtern wirklich nicht ernsthafter erscheinen wird als uns die griechische Erzählung von der Leichtigkeit des Lichts. Es sei nämlich, so besagt die klarste der beliebten Definitionen, das Licht die Ursache der Sichtbarkeit der Gegenstände. Was ist da geschehen? Offenbar hat die populäre Induktion seit Menschengedenken die Sichtbarkeit der Welt, das heißt ihre Farben, ihre verschiedene Helligkeit usw., mit dem bequemen Worte "Licht" zusammen-gefaßt, und nun bestrebt sich die Wissenschaft, das Wort, das heißt die Erinnerung an die Einzelfälle, zur Ursache der Einzelfälle zu machen. Für unsere Sprachkritik ist es außer Zweifel, dass "Licht" nur ein Wort sei, verursacht durch die Sichtbarkeit der Gegenstände, dass man also die Definition für die Erkenntnistheorie auf den Kopf stellen müsse.

Wir aber wissen, dass unsere Sinne Zufallssinne sind, wir werden also nicht einmal dem neuen Satze, dass die Sichtbarkeit der Gegenstände die Ursache des Begriffs Licht sei, irgendwelche ernste Bedeutung beimessen. Wenn die Wellen des Meeres turmhoch gegen die Felsenufer schlagen und im Laufe der Jahrhunderte langsam die verwitterten Teilchen von den glatten Felsenwänden in das Meer hinunterspülen, so wird die Felsenwand die Welle definieren als ein böses Ding, welches sie beraubt, der Meeresboden wird dieselbe Welle definieren als ein gutes Ding, welches ihn beschenkt. Die Welle selbst wird sich für eine Welle halten. Jedes einzelne Wasserteilchen wird von einer Welle nichts wissen. Kein Menschengeist kann sagen, ob er sich da mit der Welle oder mit dem Wassermolekel, mit der Felsenwand oder mit dem Meeresgrunde vergleichen darf.

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[^1]: Wenn ich die kühne Phantasie neuester "transzendenter" Physiker recht verstehe, so soll diese Lichtgeschwindigkeit teils als relativ, teils als die äußerste, in der Welt vorstellbare Geschwindigkeit aufzufassen sein. Dann wäre aber (ich kann mir nicht helfen) 300000 km = unendlich schnell. Doch nicht die Zahl? Warum just Kilometer? Wie die Temperatur von 273° unter Null für die absolute Kälte erklärt wird. Warum just Grade? Auch wäre es dann (wieder für den Relativismus) schlecht bestellt um die Hoffnung, durch die Länge der Lichtwelle den Raum, durch ihre Schwingungsdauer die Zeit "absolut" messen zu können.