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Anthropomorphismus

Wilhelm Jerusalem, der den größten Teil aller im Begriffe oder im Worte nachweisbaren Elemente einer unbekannten Urteilsfunktion zugewiesen hat, kehrt immer zu seinem Ausgangspunkte zurück, dass jedes Urteil sein Subjekt als ein Kraftzentrum auffasse, von welchem das Prädikat als Wirkung ausgehe. Was an dieser Auffassung (Avenarius) Wahres ist, das läßt sich viel besser als an den Urteilen an den Begriffen oder Worten beobachten, die wir uns freilich nicht metaphysisch als Kraftzentren vorstellen, die aber ganz sicher anthropomorphisch gebildet worden sind. Alles ist Personifikation. Durch Metaphern geht, seitdem es sprechende Menschen auf Erden gibt, aller Bedeutungswandel, und so wird die Metapher, insonderheit die Personifikation, bereits geholfen haben, als sich der erste Schrei zum Sprachworte umwandelte. "Nur" die noch unaufgeklärten tieferen Beziehungen zwischen Gehör- und Sprachorgan einerseits und Empfindung anderseits müßten noch aufgeklärt werden, um ein Phantasiebild der ersten Sprache zu entwerfen. Freilich darf man nicht den Fehler begehen, die scharfe Trennung zwischen dem eigenen und dem fremden Individuum, zwischen bewußtem und unbewußtem Willen, zwischen organischer und unorganischer Welt, die wir bei solchen Untersuchungen im Sinne haben, schon den sprachschöpfenden Menschen einer Urzeit in die arme Seele zu legen. Die Apperzeptionsmassen eines modernen Psychologen sind doch am Ende reicher und in ihrem Reichtum durch die Sprache besser geordnet als die Apperzeptionsmassen irgend eines Vorfahren, der das Rauschen der Baumkrone einer sprachbegabten Baumseele zuschrieb. Um den Abstand deutlich zu sehen, wollen wir lieber den Vorgang beim Menschen und beim Tiere vergleichen. Ein Hund Wurde einmal dadurch ängstlich gemacht, dass ein Sonnenschirm, der neben ihm aufgespannt auf der Wiese lehnte, vom Winde bewegt wurde. Der Hund erschrak offenbar über ein belebtes Ungeheuer, über etwas, was die vielgerühmte Phantasie der Griechen etwa die Sonnenschirmdryade genannt hätte. Dieselbe Phantasie der Griechen machte es aber nicht anders als der Hund, wenn sie die Winde als belebte und sehr kräftige Wesen auffaßte. Es ist dabei charakteristisch, dass diese personifizierten Erreger des Windes oder vielmehr die Erreger der Windwirkungen nicht für jedes gelinde Windeswehen bemüht wurden, wo ihre Namen mehr dekoratives Beiwerk waren, dass die Windgötter eigentlich erst in Aktion traten, wenn die Windwirkung Furcht erregte oder Schaden stiftete.