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"hörich"

Für die Zufälligkeit dieser sprachlichen Gewohnheiten findet sich in meiner Heimat ein sonderbares Beispiel. Anstatt des schön geformten Satzes "ich höre, du habest dich verlobt" sagt man da regelmäßig "du hast dich, höre ich, verlobt". So wie ich das hier niederschreibe, könnte man glauben, es sei einfach — wie fast regelmäßig in der Umgangssprache — die indirekte Rede aus Bequemlichkeit durch die direkte ersetzt worden. Nach dem Sprachgefühl der Deutsch-Böhmen liegt die Sache aber anders. Der grammatische Nebensatz "du hast dich verlobt" wird unbedingt als Hauptsatz empfunden; der Hauptsatz "ich höre" oder "höre ich" wird nicht einmal als ein Nebensatz oder als Parenthese empfunden, sondern vielmehr als ein Adverbium. Er wird ganz ohne Frage "hörich" ausgesprochen und nach der Analogie eines ähnlichen tschechischen Wortes (pry) etwa so empfunden wie das weitläufigere "einem ondit zufolge". (Ähnlich, wenn auch weniger stark, in andern deutschen Mundarten.) Wie so häufig in der Entwicklung der Sprache erzeugt dabei die Verarmung in der einen Richtung eine Bereicherung in anderer Richtung. Es wird da (ebenso in andern Mundarten) ein Adverbium des Hörensagens geschaffen. Überhaupt ist es für den Sinn vollkommen gleichgültig, ob ein Teil des Satzgefüges die grammatische Form des Hauptsatzes angenommen hat oder nicht. Auf die Assoziationen unseres Gedächtnisses kommt es an, auf unsere Erinnerungen an die Wirklichkeitswelt, nicht auf die Sprachkategorien.