Wider Empedokles


Ihnen schreitet voran Empedokles, Akragas' Sprößling,

Welchen die Insel gebar mit dem dreifach gezackten Gestade,

Die das ionische Meer in schweifenden Bogen umflutet

Und aus den bläulichen Wogen mit salzigem Schaume bespritzet.

Hier trennt reißend die See mit dem enger sich schließenden Sunde

Jener Insel Gebiet von Italiens Festlandsküsten,

Hier haust wüst die Charybdis und hier droht brüllend der Ätna,

Flammenden Zorn aufs neue im grollenden Busen zu sammeln,

Um aus des Kraters Schlund dann wieder das Feuer zu speien

Und zum Himmel empor die flammenden Blitze zu schleudern.

Mancherlei prächtige Wunder umschließt dies herrliche Eiland,

Das bei den Völkern der Erde als schauenswürdig bekannt ist;

Reichtum an Gütern besitzt es und Wehr und Waffen der Männer:

Doch nichts Schöneres barg dies Eiland je in dem Schöße,

Nichts, was heiliger, teurer und wunderbarer erschiene

Als der Prophet, deß Lied aus göttlich begeisterter Brust drang

Und so herrliche Lehren des Weisen uns offenbarte,

Daß er uns kaum noch erscheint als Sprößling sterblichen Stammes.

     Aber obwohl auch dieser und die viel kleineren Geister,

Die weit unter ihm stehn (wir haben sie oben besprochen),

Manchen vortrefflichen Fund vom göttlichen Geiste getrieben

Öfter getan und aus ihres Gemüts hochheiligem Tempel

Sprüche verkündet, die uns weit hehrer und wahrer erklingen,

Als was die Pythia spricht von Apollos Lorbeer und Dreifuß,

Bei den Prinzipien doch da kamen sie alle zum Sturze;

Langhin schlugen sie auf, im gewaltigen Fall noch gewaltig.

     Denn sie vermeinen zum ersten, daß ohne das Leere Bewegung

Könne entstehn; sodann erwählen sie weiche und lockre

Stoffe, wie Luft, Naß, Feuer und Erde, wie Tiere und Pflanzen,

Ohne doch allen den Körpern zugleich auch das Leere zu geben.

     Ferner vermeinen sie auch, daß alles unendlich sich teilen

Lasse, so daß kein Ende der weiteren Spaltung zu sehn sei.

So sei auch in den Dingen durchaus kein Kleinstes vorhanden.

Wo doch ein äußerster Punkt in jedem der Körper sich darstellt,

Den dann unsere Sinne als Kleinstes noch eben erblicken;

Daraus zieh du den Schluß, daß die unsichtbaren Atome

Auch ein Äußerstes haben, was wirklich das Kleinste bedeutet.

     Auch kommt dies noch hinzu: da sie Grundelemente der Dinge

Wählen, die weich und vergänglich wir sehn, nicht minder geschaffen

Als der Vernichtung geweiht, so müßte doch sicher das Weltall

Völlig zurück in das Nichts zerfallen, und wieder geboren

Aus dem Nichts sich von neuem die Fülle der Dinge beleben.

Beide Gedanken (du weißt es) entfernen sich weit von der Wahrheit.

     Auch erweisen sich vielfach die vier Elemente als feindlich

Untereinander und tödlich. Drum wenn sie sich einen, vergehn sie

Oder zerstieben ins Weite, wie wenn wir im Sturmesgewitter

Sehen, wie Blitz, Wind, Regen sich ballen und wieder zerflattern.

     Endlich, wenn alles zumal aus den vier Elementen entstehn soll

Und auch wieder zerfallen in ganz die nämlichen Stoffe,

Wie darf jemand nur jene als Urelemente der Dinge

Ansehn? Kann man nicht ebensogut das Verhältnis auch umdrehn?

Denn von jeher erzeugt sich der Stoff und die Dinge im Wechsel,

Und sie verändern die Farbe so gut wie das übrige Wesen.

Wenn du nun aber vermeinst, falls Feuer und Erde sich gatten

Und die Winde der Luft mit des Wassers flüssigem Nasse,

Werde sich gar nichts ändern am Wesen bei dieser Verbindung,

Dann kann nie dir entstehn ein Geschöpf aus den vier Elementen,

Mag es beseelt, mag leblos es sein wie der Baum auf der Heide.

Denn es behauptet ja doch in der Mischung verschiedener Stoffe

Jegliches seine Natur, und vermischt mit der Erde wird immer

Bleiben die Luft, was sie war, und das Feuer sich halten im Wasser.

Aber beim Zeugungswerk darf nur in den Urelementen

Heimlich und unsichtbar die Natur sich bekunden, damit nicht

Irgend etwas erscheine, was gegen das eigene Wesen

Jeglichen neuen Geschöpfes sich hemmend und feindlich erweise.

     Ja, aus dem Himmel sogar und seiner feurigen Lohe

Holen sich manche den Stoff und lassen zuerst sich das Feuer

Wandeln in Luft, dann Regen daraus, dann Erde sich bilden

Aus dem Regen, und alles sodann sich rückwärts verwandeln

Erst in das Wasser, sodann in die Luft und endlich ins Feuer.

Nimmer erschöpfe sich so der Verwandlungen ewiger Kreislauf

Nieder vom Himmel zur Erde und wieder von hier zu den Sternen.

Doch dies darf durchaus nicht geschehn bei den Urelementen.

Etwas Beharrliches muß in dem Kreis der Verwandlungen bleiben,

Soll dir nicht alles zuletzt in das Nichts vollständig versinken.

Denn was immer sich ändert und seine bisherigen Sitze

Wechselt, erleidet sofort die Vernichtung des früheren Zustands.

Deshalb müssen natürlich die eben bezeichneten Stoffe,

Da sie Verändrung erleiden, aus anderen Stoffen bestehen,

Und zwar solchen, die nie Verwandlungen können erleiden,

Soll dir nicht alles zumal in das Nichts vollständig versinken,

Nein, du mußt dir vielmehr nur solche Prinzipien denken,

Die, nachdem sie vielleicht das Feuer zum ersten geschaffen,

Dann auch die Luft erzeugen, indem sie ein weniges abtun,

Weniges auch zufügen, Bewegung ändern und Ordnung,

Und so eins aus dem ändern sich lassen in allem entwickeln.

     »Aber es liegt auf der Hand«, so sagst du, »daß alles nach oben

In die Gefilde der Luft, von der Erde sich nährend, emporwächst:

Wenn nicht zu günstigen Zeiten das Wetter den Regen uns spendet,

Und vor den Wolkenergüssen die Äste der Bäume sich schütteln,

Wenn nicht an ihrem Teile die Sonne erwärmende Strahlen

Sendet, dann kann nicht gedeihn Korn, Obst und lebendes Wesen.«

Wisse, wenn trockene Speise und labendes Naß uns nicht hülfe,

Würde der Körper auch uns zernichtet und jegliches Leben

Schwänd' uns völlig dahin, da Sehnen und Knochen sich lösten.

Denn es befördern und nähren das Wachstum unseres Leibes

Klärlich gewisse Stoffe, und anderes nähret sich anders.

Denn da auf vielerlei Weise gemeinsame Grundelemente

Sich in den vielerlei Dingen natürlich zusammen gesellen,

Ist bei verschiedenen Dingen die Nahrung auch selber verschieden.

     Wichtig ist ferner auch dies, mit welcherlei Grundelementen

Diese selber verkehren, und wie die wechselnde Lage

Sich zueinander gestaltet und gegenseit'ge Bewegung.

Denn dieselbigen Stoffe begründen ja Himmel und Erde,

Meer und Ströme und Sonne wie Korn, Obst, lebendes Wesen.

Ihre Bewegung jedoch ist verschieden nach Mischung und Auswahl.

Ja auch in unseren Versen (du kannst es ja sehen) erscheinen

Vielfach dieselbigen Lettern verschiedenen Wörtern gemeinsam,

Und doch mußt du gestehn, die Verse sind gleichwie die Worte

Ganz voneinander verschieden im klingenden Laut wie im Inhalt.

So stark wirkt bei den Lettern allein die veränderte Folge,

Und doch können fürwahr die Urelemente der Dinge

Weit mehr Möglichkeiten veränderter Schöpfungen schaffen.


 © textlog.de 2004 • 20.04.2024 12:24:01 •
Seite zuletzt aktualisiert: 13.09.2005 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright