Romane


[E 151] Romane. Unsere Lebens-Art ist nun so simpel geworden, und alle unsere Gebräuche so wenig mystisch, unsere Städte sind meistens so klein, das Land so offen, alles ist sich so einfältig treu, dass ein Mann, der einen deutschen Roman schreiben will, fast nicht weiß, wie er Leute zusammenbringen oder Knoten knüpfen soll. Denn da die Eltern jetzt in Deutschland durchaus ihre Kinder selbst säugen, so fallen die Kindervertauschungen weg, und ein Quell von Erfindung ist verstopft, der nicht mit Geld zu bezahlen war. Wollte ich ein Mädchen in Mannskleidern herumgehen lassen, das käme gleich heraus und die Bedienten verrieten es, noch ehe sie aus dem Haus wäre, und außerdem werden unsere Frauenzimmer so weibisch erzogen, dass sie gar das Herz nicht haben, so etwas zu tun. Nein, fein bei der Mama zu sitzen, zu nähen und zu kochen, um selbst eine Koch- und Näh-Mama zu werden, das ist ihre Sache, es ist freilich commode für sie, aber eine Schande fürs Vaterland, für die Romanenschreiber eine unüberwindliche Hindernis. Ferner glaubt man in England, dass, wenn zwei Personen von einerlei Geschlecht in demselben Zimmer schlafen, ein Kerkerfieber unvermeidlich ist, deswegen sind die Personen in einem Hause des Nachts am meisten getrennt, und ein Schriftsteller darf nur sorgen wie er die Haustüre offen kriegt, so kann er in das Haus lassen, wen er will, und er darf nicht sorgen, dass jemand aufwacht, als wen er braucht. Ferner, da in England die Schornsteine nicht bloß Rauch-Kanäle, sondern hauptsächlich die Luftröhren der Schlafkammern sind, so geben sie zugleich einen vortrefflichen Weg ab, unmittelbar und ganz ungehört in jede beliebige Stube des Hauses zu kommen, ja, so bequem, dass ich mir habe sagen lassen, dass wer einmal einen Schornstein auf und abgestiegen sei, ihn fast einer Treppe vorzöge. In Deutschland käme ein Liebhaber schön an, wenn er einen Schornstein hinab klettern wollte, ja, wenn er Lust hat auf einen Feuerherd, oder in einen Waschkessel mit Lauge, oder in die Antichambre von 2 bis 3 Öfen zu fallen, die man wohl gar von innen nicht einmal aufmachen kann. Und gesetzt, man wollte einen Liebhaber so in die Küche steigen lassen, so ist die Frage, wie bringt man ihn aufs Dach? Die Kater in Deutschland können diesen Weg wohl zu ihren Geliebten nehmen, aber nicht die Menschen. Hingegen in England formieren die Dächer eine Art von Straße, die zuweilen besser ist, als die an der Erde, und wenn man auf einem ist, so kostet es nicht mehr Mühe, auf das andere zu kommen, als über eine Dorf-Gosse im Winter zu springen. Man will zwar sagen, man habe diese Einrichtung wegen Feuersgefahr getroffen, da aber diese sich kaum alle 150 Jahr einmal in einem Hause eräugnen, so stelle ich mir vielmehr vor, dass man es zum Trost bedrängter Verliebten und Spitzbuben für nützlich befunden hat, die sehr oft diesen Weg nehmen, wenn sie gleich noch andere wählen könnten, aber gewiß allemal wenn die Retirade in der Eile geschehen muß, grade so wie etwa die Hexen und der Teufel in Deutschland zu tun pflegen. Endlich eine rechte Hindernis von Intriguen ist der sonst feine und lobenswürdige Einfall der Postdirektoren in Deutschland, durch den eine unzählige Menge von Tugenden des Jahrs erhalten werden, dass sie statt den englischen Postkutschen und Maschinen, in denen sich eine schwangere Prinzessin weder schämen noch fürchten dürfte, zu reisen, die so beliebten offnen Mistwagen eingeführt haben. Denn was die kommoden Kutschen in England und ihre vortrefflichen Wege für Schaden tun ist mit Worten nicht auszudrücken. Für das erste, wenn ein Mädchen mit ihrem Liebhaber aus London des Abends durchgeht, so kann sie in Frankreich sein ehe der Vater aufwacht, oder in Schottland ehe er mit seinen Verwandten zu einem Entschluß kommt, so daß daher ein Schriftsteller weder die Feen, noch die Zauberer noch Talismane nötig hat, denn wenn er sein Paar nur bis nach Charingcross oder Hyde park corner bringen kann, so sind sie so sicher als wenn sie in des Weber Maleks Kasten wären.*) Hingegen in Deutschland, wenn auch der Vater den Verlust seiner Tochter erst am dritten Tage gewahr würde, wenn er nur weiß, dass sie mit der Post gegangen ist, so kann er sie zu Pferde immer auf [der] dritten Station wieder kriegen. Ferner bringen Episoden zum Keim die leider nur allzu guten Gesellschaften in den bequemen Postkutschen in England, die immer voll schöner wohlgekleideter Frauenzimmer stecken, und wo, welches das Parlement nicht leiden sollte, die Passagiere so sitzen, dass sie einander ansehen müssen, wodurch nicht allein eine höchst gefährliche Verwirrung der Augen, sondern zuweilen eine höchst schändliche zum Lächeln von beiden Seiten reizende Verwirrung der Beine, und daraus endlich eine oft nicht mehr aufzulösende Verwirrung der Seelen und Gedanken erstanden ist, so dass mancher ehrliche junge Mensch der von London nach Oxford reisen wollte, zum Teufel gereist ist. So etwas ist nun dem Himmel sei Dank auf unsern Postwagen nicht möglich. Denn erstlich können artige Frauenzimmer sich unmöglich auf einen solchen Wagen setzen, wenn sie sich nicht [in] der Jugend etwas im Zaunbeklettern, Elsternesterstechen, Äpfelabmachen und Nüsseprügeln umgesehen haben, denn der Schwung über die Seitenleiter erfordert eine besondere Adresse und wenig unerfahrene Frauenzimmer können ihn ohne Hosen tun, wenn sie nicht die unten stehenden Wagenmeister und Stallknechte lachen machen wollen. Für das zweite, so sitzt man, wenn man endlich sitzt, so, dass man sich nicht in das Gesicht sieht, und in dieser Stellung können, was man auch dagegen sagen mag, wenigstens Intriguen nicht gut angefangen werden, die Erzählung verliert ihre ganze Würze, und man kann höchstens nur verstehen, was man sagt, aber nicht was man sagen will; endlich so hat man auf den deutschen Postwagen ganz andere Sachen zu tun, als zu plaudern, man muß sich fest halten, wenn die Löcher kommen, oder in den schlimmern Fällen sich gehörig zum Sprung spannen; muß auf die Aste achtgeben, und sich zur gehörigen Zeit ducken, damit der Hut oder Kopf sitzen bleibt; die Windseite merken, und immer die Kleidung an der Seite verstärken, von der der Angriff geschieht, und regnet es gar, so hat bekanntlich der Mensch die Eigenschaft mit andern Tieren gemein, die nicht in oder auf dem Wasser leben, dass er stille ist, wenn er naß wird, da steht die Unterredung ganz still, und kommt man endlich in einem Wirtshaus an, so geht die zeit mit andern Dingen hin, der eine trocknet sich, der andere schüttelt sich, der eine kaut seine Brustkuchen und der andere bäht sich den Backen, und was dergleichen Kindereien mehr sind. Also fallen die Postkutschen-Intriguen mit den Postkutschen selbst, den rechten Treibhäusern für Episoden und Entdeckungen schlechterdings weg. Aber im Hannöverischen ist ja nun eine Postkutsche, wird man sagen. Gut, ich weiß es, und zwar eine, die immer so gut ist als eine englische. Also soll man alle Romane auf dem Weg zwischen Harburg und Münden anfangen lassen, den man jetzt so geschwind zurücklegt, dass man kaum Zeit hat recht bekannt zu werden, und alles, was ja die Fremden tun ist, dass sie zum Lob des Königs ausbrechen, der dieses so geordnet hat, oder schlafen, denn sie sind ehe sie in diese Kutsche kommen gemeiniglich im Hessischen, Holsteinischen oder auf dem Eichsfeld so zugerichtet worden, dass sie in der Kutsche glauben, sie wären zu Haus oder lägen im Bette. Das sind fürwahr feine Gegenstände für einen Roman, 5 schlafende Kaufleute schnarchend einzuführen, oder ein Kapitel mit dem Lobe eines Königs anzufüllen, von dem ohnehin Deutschland voll genug ist. Das erstere ist schlechterdings gar kein Gegenstand für ein Buch, und das letztere [für] keinen Roman. Was geht die Romanschreiber das an? Darüber mag Robertson oder Hume oder Gatterer oder Schlözer der Nachwelt so viel vorplaudern als sie wollen. Das gehört gar nicht zur Sache, von der ich durch eure unüberlegten Einwürfe fast gänzlich abgekommen bin. Ja, wenn nicht noch zuweilen ein Kloster wäre, wo man ein verliebtes Paar unterbringen könnte, so wüßte ich mir keinen eigentlichen deutschen Roman bis auf die 3. Seite zu spielen. Und wenn es einmal keine Klöster mehr gibt, so ist das Stündchen der deutschen Romane gekommen.

 

___________________

*) Weber Melek S. den 111ten Tag in den Persischen Märchen.


 © textlog.de 2004 • 29.03.2024 13:45:30 •
Seite zuletzt aktualisiert: 12.04.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright  A  B  C  D  E  F  G  H  I  J  K  L  M  N  O  P  Q  R  S  T  U  V  W  X  Z