Oden


[E 97] Oden, wenn man sie liest, so gehen einem, mit Respekt zu sagen, Nasenlöcher und Zehen auseinander.

 

[E 103] Menschen-Verstand ist eine herrliche Sache, allein das unbeholfenste unbrauchbarste Ding von der Welt bei solchen Gelgenheiten, wo man ihn nicht nötig hat. Wer sagt euch denn, dass ihr ihn brauchen sollt, wenn ihr eine Ode lesen wollt? Sie sind bei schlummerndem Menschen-Verstand geschrieben, und ihr beurteilt sie bei wachendem. Mit einem Wort, das rechte Werk ist da, aber ihr bringt den rechten Kopf nicht. Wenn ein Buch und ein Kopf an einander stoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch? Horaz hätte ganze andere Oden geschrieben, sagen sie. Es wären Zeilen darin, die bewundere man immer mehr je älter man würde und je öfter man sie läse, dahingegen die meisten deutschen Oden immer einfältiger klängen je öfter man sie läse. Kann man sich eine maliziösere Liscowischere Art sich zu erklären aussinnen? Ich glaube einem steinernen Apostel müßte die Gedult ablaufen. Ihr Haubenstöcke, wer sagt euch denn, dass ihr unsere Odensänger mit dem Horaz vergleichen sollt? Was? Horaz lebte an einem der ersten Höfe der Welt und in einer Stadt die das Herz des menschlichen Geschlechts genannt werden konnte. Da konnten die Gassen-Buben das Quicquid agunt homines auf jedem Kirchhof oder hinter jeder Mauer sehen, wenn sie nur die Augen auftun wollten. Da war es freilich eine gewaltige Kunst den Menschen zu kennen, Wahrheiten, bei deren Erforschung wir jetzt alle unsere Physiognomik aufbieten und bei deren Bewunderung uns die Augen über und die Zehen auseinander gehen, wißt ihr was die in Rom waren? Kaffeediskurse, nichts weiter, Dinge über die jeder Betrüger noch 50 Staffeln hinausgehen mußte wenn er seine Künste spielen wollte. Ich hätte fast Neigung die feinen Herrn die unsre Lauenburger Sänger mit dem Horaz messen können und gewiß mit mehrerem Recht mit gewissen Original-Köpfen zu vergleichen, die in Celle in einem gewissen Haus eingeschlossen sitzen. Einfältige Streiche. Unsere Oden-Dichter sind meistens junge unschuldige Tröpfe, die in kleinen Städten leben und singen, wo alle Einwohner einerlei hoffen, einerlei fürchten, einerlei hören und einerlei denken, wo 20 Köpfe in einer Gesellschaft immer für einen gelten, Leute, die aus Dichterlesen Dichter werden, so wie man aus Büchern schwimmen oder aus Rugendas Bataillen die Kriegskunst lernt. Unerfahrene Menschen, davon jeder etwa ein Dutzend eigne und 2 Dutzend geborgte Ideen bar liegen hat, da läßt sich mit über die Welt handeln. Außerdem gibt es ja zweierlei Oden, die gelehrte für Geist und Ohr und die ungelehrte für das Ohr allein, und zu der letzteren braucht man kaum einmal vom Weibe geboren zu sein. Wenn man etwas Silbenmaß in den Ohren hat und dabei 20 bis dreißig Oden als stimulantia liest, so mögte [ich] gern das Gesicht von dem Sterblichen sehen, der nicht eine Ode wiederhallen könnte bei der jedem poetischen Primaner die Nasenlöcher auf und Finger und Zehen auseinandergehen sollten. Mit einem Worte solche Kompositionen muß man gar nicht mit dem Maßstabe messen mit dem [man] Hagedorns Uzens und Ramlers Oden mißt, sie gehören zu einer ganzen andern Klasse von Kompositionen und sind das in der Poesie was Jacob Böhms unsterbliche Werke in Prosa sind, eine Art von Pickenick, wobei der Verfasser die Worte (den Schall) und der Leser den Sinn stellt. Will er nicht, oder kann er nicht, gut so läßt ers bleiben. Zu einem solchen Kränzgen finden sich immer Leute.

 

[F 572] Er ist nun aus den Oden-Jahren in die Psalm-Jahre gekommen.

 


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