Zungenband des Geistes


Wie ist meine Seele so dürre, mein Nachdenken so unfruchtbar, und doch beständig gepeinigt mit inhaltsleeren, oder lüsternen, oder qualvollen Bildern! Soll denn niemals das Zungenband des Geistes mir gelöst werden? soll ich immer nur lallen? Was ich bedarf, ist eine Stimme, so durchdringend, wie der Blick des Lynkeus, welcher durch Erde und Felsen hindurchdrang, erschreckend wie das Seufzen der Giganten, anhaltend wie ein Naturlaut, spottend wie ein eiskalter Windstoß, boshaft wie der herzlose Hohn des Echo, umfangreich vom tiefsten Baß bis zu der schmelzendsten Bruststimme, moduliert vom andächtigen Lispeln bis zur Energie der Raserei. Das bedarf ich, um Luft zu bekommen, um aussprechen zu können, was mir auf dem Herzen liegt, um bei den Menschen beides, sowohl Zorn als Sympathie, in Bewegung zu setzen. Aber meine Stimme ist heiser, wie der Schrei einer Möwe, oder hinsterbend, wie der Segen auf den Lippen des Stummen.

 

* * *


 © textlog.de 2004 • 19.04.2024 00:57:48 •
Seite zuletzt aktualisiert: 22.01.2006 
bibliothek
text
  Home  Impressum  Copyright