Die Ouvertüre

 

Sonach ist die Ouvertüre, in dem einen Sinne allerdings selbständig, in einem andern als ein Anlauf zur Oper zu betrachten. Dies habe ich im vorhergehenden anzudeuten gesucht, indem ich die Erinnerung des Lesers auffrischte an das sukzessive Decrescendo, worin die eine der Mächte dem Anfang des Stückes entgegengeht. Dasselbe zeigt sich, wenn man beachtet, wie die andere Macht sich in wachsender Progression kundgibt. Sie beginnt in der Ouvertüre, wächst und verstärkt sich. Bewundernswert ist besonders jener ihr Anfang ausgedrückt. Man hört sie, nur schwach, geheimnisvoll angedeutet; man hört sie, aber so rasch vorübergehend, dass man beinahe den Eindruck bekommt, man habe sie nicht gehört. Es erfordert ein aufmerksames, ein erotisches Ohr, um sogleich das erste Mal es zu erlauschen, wenn ein Wink des leichten Spieles dieser Liebeslust anklingt, welche nachher in so verschwenderischer Fülle zum Ausdruck kommt. Punkt für Punkt angeben, wo es geschieht, das kann ich, kein Musikkenner, freilich nicht; aber ich schreibe ja auch nur für Liebende, welche mich wohl verstehen werden, einige besser, als ich mich selbst verstehe. Ich bin indessen mit meinem bescheidenen Teil zufrieden, mit dieser rätselvollen Verliebtheit; und obgleich ich den Göttern danke, ein Mann geworden zu sein, und nicht ein Weib, so hat Mozarts Musik mich gelehrt, dass es schön ist und erquickend, ja unergründlich tief, zu lieben wie ein Weib. - Die Bildersprache erregt leicht bei mir die Furcht, es sei darauf abgesehen, irgend eine Dunkelheit des Gedankens zu vertuschen. Daher will ich auch nicht einen unverständigen oder unfruchtbaren Versuch riskieren, die energische und bündige Kürze in weitläufige und nichtssagende Bildersprache zu übersetzen. Nur einen Punkt der Ouvertüre will ich hervorheben; und um auf denselben aufmerksam zu machen, werde ich mich eines Bildes bedienen, des einzigen Mittels, um mit ihm mich in Verbindung zu setzen. Dieser Punkt ist natürlich kein anderer, als Don Juans erstes Auftauchen, die sich regende Ahnung desselben als der Macht, mit weicher er später hindurchbricht. Die Ouvertüre hebt an mit einigen tiefen, ernsten, einförmigen Tönen; dann ertönt zuerst aus weiter Ferne ein Wink, welcher jedoch, als wäre er zu frühe gekommen, in demselben Augenblicke zurückgerufen wird, bis man nachher, wieder und wieder, kühner und kühner, immer lauter, jene Stimme vernimmt, welche zuerst listig, kokett, und doch wie scheu, sich eindrängte, aber nicht durchzudringen vermochte. So erscheint zuweilen in der Natur der Horizont dunkel, bewölkt; zu schwer, sich selbst zu tragen, ruht er auf der Erde und hüllt alles in sein nächtiges Dunkel; man hört einzelne hohlklingende Töne, doch nicht in Bewegung, mehr wie ein dumpfes Murmeln mit sich selbst. Da erblickt man an der äußersten Grenze des Himmels, tief am Horizont, einen Lichtschimmer, welcher rasch um die Erde läuft; im selben Nil ist er erloschen. Bald aber zeigt er sich wieder, wächst an Stärke, beleuchtet momentan mit seiner Flamme den ganzen Himmel. Im nächsten Augenblicke scheint der Horizont noch finstrer; aber noch rascher, glutvoller lodert er auf; es ist, als verlöre die Finsternis selbst ihre Ruhe und gerate in Bewegung. Sowie das Auge in dem ersten aufblitzenden Schimmer die Feuersbrunst ahnt, so ahnt unser Ohr in jenen hinsterbenden Bogenstrichen das Ganze der Leidenschaft. In jenem aufblitzenden Lichtpunkte regt sich etwas wie Angst; es ist, als werde er unter dem tiefen Dunkel in Angst geboren - ebenso ist Don Juans Leben. In seiner Seele regt sich eine Angst, welche aber mit der Energie seines Wesens eng zusammenhängt, ja eins mit ihr ist. In der Ouvertüre läßt sich keineswegs, wie man wohl gesagt hat, die Stimme der Verzweiflung hören. Don Juans Leben ist fürwahr nicht Verzweiflung; vielmehr ist es die ganze Nacht der Sinnenlust, welche unter Ängsten geboren wird. Don Juans innerstes Wesen ist diese Angst, welche sich gerade als die dämonische Lebenslust äußert. Nachdem Mozart auf diese Art Don Juan hat entstehen lassen, so entwickelt er sein Leben vor uns in den tanzenden Violinklängen, in denen er leicht und flüchtig über dem Abgrunde hin und her jagt. Wie wenn man einen Stein derart schleudert, dass er die Oberfläche des Wassers schneidet, dann eine Zeitlang in leichten Sätzen darüber weiter hüpfen kann, wogegen er augenblicklich in den Abgrund sinkt, sobald er zu hüpfen und zu springen aufhört: ebenso tanzt er über dem Abgrunde, lustig jubelnd in der vergönnten kurzen Frist.

Wenn aber also die Ouvertüre für einen Anlauf zur Oper selbst gelten darf, wenn man alsdann mit der Ouvertüre von jenen höhern Regionen herabsteigt, so fragt sich, an welcher Stelle der Oper man am besten landet, mit andern Worten: womit soll diese ihren Anfang nehmen? - Hier hat Mozart das allein Richtige gesehen, nämlich mit Leporello anzufangen. Man bewundre auch hier Mozarts Meisterschaft. Die erste Dienersarie hat er in unmittelbare Verbindung mit der Ouvertüre gesetzt, welcher man sie mit Fug und Recht zurechnet. Diese Arie Leporellos entspricht dem nicht unberühmten Monologe Sganarels bei Molière. Diesem ist Witz durchaus nicht abzusprechen; dagegen ist die Situation mangelhaft. Ein Monolog ist immer mehr oder weniger ein Bruch mit dem Dramatischen; und wenn der Dichter, um eine Wirkung hervorzurufen, durch die Witze des Monologs, nicht durch den Charakter desselben, zu wirken sucht, so hat er selber den Stab über sich gebrochen und das dramatische Interesse preisgegeben. Anders in der Oper. Hier ist: die Situation absolut musikalisch. Was macht denn aber diese zu einer musikalischen Situation? Wenn Leporello auch, wie wir oben gesehen, eine musikalische Figur ist. So ist er's doch nicht, welcher die Situation trägt. Don Juan, der drinnen ist, macht sie musikalisch. Nicht auf Leporello, welcher hervortritt, ruht die Pointe, sondern in Don Juan, welchen man gar nicht sieht, wohl aber hört. Nämlich in Leporellos Munde ertönt ein Echo Don Juans. Ich mache auf die Übergänge aufmerksam (vuol star dentro colla bella, »auch ich will etc.«), worin Leporello offenbar Don Juan reproduziert. Aber selbst hiervon abgesehen, ist die Situation so angelegt, dass man unwillkürlich Don Juan mit bekommt, dass man Leporello, welcher vor unsern Augen steht, über Don Juan vergißt, welcher drinnen ist. Überhaupt hat Mozart mit großer Genialität Leporello so behandelt, dass er Don Juan reproduziert, und hierdurch zweierlei erreicht: die musikalische Wirkung, dass man überall, wo er allein ist, Don Juan hört, und die parodische Wirkung, dass man, wenn Don Juan mit dabei ist, hört, wie Leporello ihn repetiert und hiermit unbewußt parodiert. Als Beispiel führe ich kurz den Schluß des Balletts an.

 


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