Lebensalter


Seltsam genug, immer ist es dasselbe, was durch alle Lebensalter hindurch einen beschäftigt; und immer kommt man gleich weit, oder vielmehr, man geht zurück. Als ich fünfzehn Jahre alt war, schrieb ich auf dem Gymnasium mit vieler Salbung über die Beweise für Gottes Dasein und die Unsterblichkeit der Seele, über den Begriff des Glaubens, über die Bedeutung des Wunders. Für das examen artium (vor meiner Immatrikulation) verfaßte ich eine Abhand-lung über die Unsterblichkeit der Seele, wofür mir das Zeugnis prae caeteris (nämlich laudabilis) zu teil wurde. Später gewann ich durch eine Abhandlung über diese Materie den Preis. Wer sollte glauben, dass ich, nach einem so soliden und vielversprechenden Anfange, jetzt, in meinem 25. Jahre, dahin gekommen bin, dass ich nicht einen einzigen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele zu führen weiß. Lebhaft erinnere ich mich aus meinen Schuljahren, wie ein von mir geschriebener Aufsatz über denselben Gegenstand von dem Lehrer außerordentlich gerühmt und vorgelesen wurde, und zwar ebensosehr der Vortrefflichkeit des Inhalts wie der Sprache wegen. Ach! ach! ach! Diesen Aufsatz habe ich schon längst fortgeworfen. Welch ein Unglück! Vielleicht würde meine zweifelnde Seele durch denselben zur Festigkeit gebracht worden sein, sowohl durch die vortreffliche Sprache als den Inhalt. Daher ist es eben mein wohlgemeinter Rat an Eltern, Vorgesetzte und Lehrer, den ihnen anvertrauten Jungen einzuschärfen, die im fünfzehnten Jahre abgefaßten Aufsätze ja aufzubewahren. Diesen Rat zu erteilen, ist das Einzige, was ich zum Besten der Menschheit zu tun vermag.

 

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Seite zuletzt aktualisiert: 22.01.2006 
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