Einsam


Der Wein erfreut nicht mehr mein Herz: ein wenig davon stimmt mich wehmütig, viel - schwermütig. Meine Seele ist matt und ohnmächtig; vergebens bohre ich in ihre Seite die Sporen der Luft; sie vermag nichts mehr, sie erhebt sich nicht mehr zu ihrem königlichen Sprunge. Ich habe alle meine Illusion eingebüßt. Umsonst versuche ich es, der Unendlichkeit der Freude mich hinzugeben; sie kann mich nicht erheben. Vormals brauchte sie nur zu winken: so schwang ich mich leicht und gesund und freudig empor. Wenn ich langsam durch den Wald ritt, so war's, als flöge ich; wenn heute das Pferd schäumt und nahe daran ist, zu stürzen, da deucht's mir, ich komme nicht vom Flecke. Einsam bin ich, das bin ich immer gewesen. Verlassen, nicht von den Menschen, das würde mir nicht weh tun, sondern von den glücklichen Genien des Frohsinns, die in großer Schar mich umschwebten, überall auf Bekannte wiesen, überall mir eine Gelegenheit zeigten. So wie ein Berauschter den mutwilligen Schwarm der Jugend um sich sammelt, so umschwärmten sie mich, die Elfen der Freude, und ihnen galt mein Lächeln. Meine Seele ist der Möglichkeit verlustig gegangen. Sollte ich mir etwas wünschen, so würde ich mir nicht Reichtum noch Macht wünschen, sondern die Leidenschaft der Möglichkeit, das Auge, das überall ewig jung, ewig glühend die Möglichkeit anblickt. Der Genuß täuscht, nicht die Möglichkeit. O welcher Wein ist so schäumend! welcher so duftend! welcher so berauschend!

 

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Seite zuletzt aktualisiert: 22.01.2006 
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