10. Begriff des relativen Mehrwerts

 

Der Wert der Waren steht in umgekehrtem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Ebenso, weil durch Warenwerte bestimmt, der Wert der Arbeitskraft. Dagegen steht der relative Mehrwert in direktem Verhältnis zur Produktivkraft der Arbeit. Er steigt mit steigender und fällt mit fallender Produktivkraft. Ein gesellschaftlicher Durchschnittsarbeitstag von 12 Stunden, Geldwert als gleichbleibend vorausgesetzt, produziert stets dasselbe Wertprodukt von 6 sh., wie diese Wertsumme sich immer verteile zwischen Äquivalent für den Wert der Arbeitskraft und Mehrwert. Fällt aber infolge gesteigerter Produktivkraft der Wert der täglichen Lebensmittel und daher der Tageswert der Arbeitskraft von 5 sh. auf 3 sh., so wächst der Mehrwert von 1 sh. auf 3 sh. Um den Wert der Arbeitskraft zu reproduzieren, waren 10 und sind jetzt nur noch 6 Arbeitsstunden nötig. Vier Arbeitsstunden sind frei geworden und können der Domäne der Mehrarbeit annexiert werden. Es ist daher der immanente Trieb und die beständige Tendenz des Kapitals, die Produktivkraft der Arbeit zu steigern, um die Ware und durch die Verwohlfeilerung der Ware den Arbeiter selbst zu verwohlfeilern.5)

Der absolute Wert der Ware ist dem Kapitalisten, der sie produziert, an und für sich gleichgültig. Ihn interessiert nur der in ihr steckende und im Verkauf realisierbare Mehrwert. Realisierung von Mehrwert schließt von selbst Ersatz des vorgeschoßnen Werts ein. Da nun der relative Mehrwert in direktem Verhältnis zur Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit wächst, während der Wert der Waren in umgekehrtem Verhältnis zur selben Entwicklung fällt, da also derselbe identische Prozeß die Waren verwohlfeilert und den in ihnen enthaltnen Mehrwert steigert, löst sich das Rätsel, daß der Kapitalist, dem es nur um die Produktion von Tauschwert zu tun ist, den Tauschwert der Waren beständig zu senken strebt, ein Widerspruch, womit einer der Gründer der politischen Ökonomie, Quesnay, seine Gegner quälte und worauf sie ihm die Antwort schuldig blieben.

"Ihr gebt zu", sagt Qeusnay, "daß, je mehr man, ohne Nachteil für die Produktion, Kosten oder kostspielige Arbeiten in der Fabrikation industrieller Produkte ersparen kann, desto vorteilhafter diese Ersparung, weil sie den Preis des Machwerks vermindert. Und trotzdem glaubt ihr, daß die Produktion des Reichtums, der aus den Arbeiten der Industriellen herkommt, in der Vermehrung des Tauschwerts ihres Machwerks besteht."6)

Ökonomie der Arbeit durch Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit 7) bezweckt in der kapitalistischen Produktion also durchaus nicht Verkürzung des Arbeitstags. Sie bezweckt nur Verkürzung der für Produktion eines bestimmten Warenquantums notwendigen Arbeitszeit. Daß der Arbeiter bei gesteigerter Produktivkraft seiner Arbeit in einer Stunde z.B. 10mal mehr Ware früher produziert, also für jedes Stück Ware 10mal weniger Arbeitszeit braucht, verhindert durchaus nicht, ihn nach wie vor 12 Stunden arbeiten und in den 12 Stunden 1.200 statt früher 120 Stück produzieren zu lassen. Ja, sein Arbeitstag mag gleichzeitig verlängert werden, so daß er jetzt in 14 Stunden 1.400 Stück produziert usw. Man kann daher bei Ökonomen vom Schlag eines MacCulloch, Ure, Senior und tutti quanti auf einer Seite lesen, daß der Arbeiter dem Kapital für die Entwicklung der Produktivkräfte Dank schuldet, weil sie die notwendige Arbeitszeit verkürzt, und auf der nächsten Seite, daß er diesen Dank beweisen muß, indem er statt 10 künftig 15 Stunden arbeitet. Die Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, innerhalb der kapitalistischen Produktion, bezweckt, den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst arbeiten muß, zu verkürzen, um grade dadurch den andren Teil des Arbeitstags, den er für den Kapitalisten umsonst arbeiten kann, zu verlängern. Wieweit dies Resultat auch ohne Verwohlfeilerung der Waren erreichbar, wird sich zeigen in den besondren Produktionsmethoden des relativen Mehrwerts, zu deren Betrachtung wir jetzt übergehen.

 

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1) Der Wert des täglichen Durchschnittslohns ist bestimmt durch das, was der Arbeiter braucht, "um zu leben, zu arbeiten und sich fortzupflanzen". (William Petty, "Political Anatomy of Ireland", 1672, p. 64.) "Der Preis der Arbeit wird immer vom Preis der notwendigen Lebensmittel bestimmt." Der Arbeiter erhält nicht den entsprechenden Lohn, "wann immer ... der Lohn des Arbeiters nicht hinreicht, eine so große Familie, wie sie das Los vieler von ihnen ist, entsprechend seinem niedrigen Stand und als Arbeiter zu ernähren". (J. Vanderlint, l.c.p. 15.) "Der einfache Arbeiter, der nichts als seine Arme und seinen Fleiß besitzt, hat nichts, außer wenn es ihm gelingt, seine Arbeit an andre zu verkaufen ... Bei jeder Art Arbeit muß es dahin kommen, und kommt es in der Tat dahin, daß der Lohn des Arbeiters auf das begrenzt ist, was er notwendig zu seinem Lebensunterhalt braucht." (Turgot, "Réflexions etc.", "Oeuvres", éd. Daire, t. I, p. 10.) "Der Preis der Subsistenzmittel ist in der Tat gleich den Kosten der Produktion der Arbeit." (Malthus, "Inquiry into etc. Rent", Lond. 1815, p. 48, Note.)

2) "Wenn die Gewerbe sich vervollkommnen, so bedeutet das nichts andres als die Entdeckung neuer Wege, auf denen ein Produkt mit weniger Menschen oder (was dasselbe ist) in kürzer Zeit als vorher verfertigt werden kann." (Galiani, l.c.p. 158, 159.) "Die Ersparnis an den Kosten der Produktion kann nichts anderes sein als Ersparnis an der zur Produktion angewandten Arbeitsmenge." (Sismondi, "Études etc.", t. I, p. 22.)

3) "Wenn der Fabrikant durch Verbesserung der Maschinerie seine Produkte verdoppelt ... gewinnt er (schließlich) bloß, sofern er dadurch befähigt wird, den Arbeiter wohlfeiler zu kleiden ... und so ein kleinerer Teil des Gesamtertrags auf den Arbeiter fällt." (Ramsay, l.c.p. 168, 169.)

3a) "Der Profit eines Menschen hängt nicht ab von seinem Kommando über das Produkt der Arbeit andrer, sondern von seinem Kommando über Arbeit selbst. Wenn er seine Waren zu einem höhern Preis verkaufen kann, während die Löhne seiner Arbeiter unverändert bleiben, so zieht er augenscheinlich Gewinn daraus ... Ein kleinerer Teil dessen, was er produziert, reicht hin, jene Arbeit in Bewegung zu setzen, und demzufolge verbleibt ihm ein größerer Teil." ([J. Cazenove,] "Outlines of Polit. Econ.", London 1832, p. 49, 50.)

4) "Wenn mein Nachbar billig verkaufen kann, indem er mit wenig Arbeit viel herstellt, muß ich danach trachten, ebenso billig wie er zu verkaufen. So erzeugt jede Kunst, jedes Verfahren oder jede Maschine, die mit der Arbeit von weniger Händen und infolgedessen billiger arbeitet, bei andren eine Art Zwang und einen Wettbewerb, entweder dieselbe Kunst, dasselbe Verfahren oder Maschine anzuwenden, oder etwas Ähnliches zu erfinden, damit alle auf gleichem Stand seien und keiner seinen Nachbar unterbieten könne." (" The Advantages of the East-India Trade to England", Lond. 1720, p. 67.)

5) "In welchem Verhältnis immer die Ausgaben eines Arbeiters verringert werden, in gleichem Verhältnis wird auch sein Lohn verringert, wenn die Einschränkungen der Industrie gleichzeitig aufgehoben werden." ("Considerations concerning taking off the Bounty on Corn exported etc.", Lond. 1753, p. 7.) "Das Interesse der Industrie erfordert, daß Korn und alle Lebensmittel so billig wie möglich sind; was immer sie verteuert, muß auch die Arbeit verteuern ... in allen Ländern, in denen die Industrie keinen Einschränkungen unterliegt muß, der Preis der Lebensmittel auf den Preis der Arbeit einwirken. Dieser wird stets herabgesetzt werden, wenn die notwendigen Lebensmittel billiger werden." (l.c.p. 3.) "Die Löhne werden im selben Verhältnis gesenkt, in dem die Produktionskräfte anwachsen. Die Maschine verbilligt zwar die notwendigen Lebensmittel, aber sie verbilligt außerdem auch den Arbeiter." (A Prize Essay on the comparative merits of Competition and Cooperation", London 1834, p. 27.)

6) "Ils conviennent que plus on peut sans préjudice, épargner de frais ou de travaux dispendieux dans la fabrication des ouvrages des artisans, plus cette épargne est profitable par la diminution des prix de ces ouvrages. Cependant ils croient que a production de richesse qui résulte des travaux des artisans consiste dans l'augmentation de la valeur vénale de leurs ouvrages." (Quesnay, "Dialogues sur le Commerce et sur les Travaux des Artisans", p.188, 189.)

7) "Diese Spekulanten, die so sehr sparen an der Arbeit der Arbeiter, die sie bezahlen müßten." (J. N. Bidaut, "Du Monopole qui s'établit dans les arts industriels et le commerce", Paris 1828, p. 13.) "Der Unternehmer wird immer alles daransetzen, um Zeit und Arbeit zu sparen." (Dugald Stewart, "Works", ed. by Sir W. Hamilton, v. VIII, Edinburgh 1855, "Lectures on Polit. Econ.", p. 318.) "Sie" (die Kapitalisten) "sind daran interessiert, daß die Produktivkräfte der Arbeiter, die sie beschäftigen, so groß wie möglich seien. Diese Kraft zu steigern, darauf ist ihre Aufmerksamkeit, und zwar fast ausschließlich gerichtet." (R. Jones, l.c., Lecture III.)

 


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