14. Absoluter und relativer Mehrwert

 

Ricardo kümmert sich nie um den Ursprung des Mehrwerts. Er behandelt ihn wie eine der kapitalistischen Produktionsweise, der in seinen Augen natürlichen Form der gesellschaftlichen Produktion, inhärente Sache. Wo er von der Produktivität der Arbeit spricht, da sucht er in ihr nicht die Ursache des Daseins von Mehrwert, sondern nur die Ursache, die seine Größe bestimmt. Dagegen hat seine Schule die Produktivkraft der Arbeit laut proklamiert als die Entstehungsursache des Profits (lies: Mehrwerts). Jedenfalls ein Fortschritt gegenüber den Merkantilisten, die ihrerseits den Überschuß des Preises der Produkte über ihre Produktionskosten aus dem Austausch herleiten, aus ihrem Verkauf über ihren Wert. Trotzdem hatte auch Ricardos Schule das Problem bloß umgangen, nicht gelöst. In der Tat hatten diese bürgerlichen Ökonomen den richtigen Instinkt, es sei sehr gefährlich, die brennende Frage nach dem Ursprung des Mehrwerts zu tief zu ergründen. Was aber sagen, wenn ein halbes Jahrhundert nach Ricardo Herr John Stuart Mill würdevoll seine Überlegenheit über die Merkantilisten konstatiert, indem er die faulen Ausflüchte der ersten Verflacher Ricardos schlecht wiederholt?

Mill sagt:

"Die Ursache des Profits ist die, daß die Arbeit mehr produziert, als für ihren Unterhalt erforderlich ist."

Soweit nicht als die alte Leier; aber Mill will auch Eignes hinzutun:

"Oder um die Form des Satzes zu variieren: der Grund, weshalb das Kapital einen Profit liefert, ist der, daß Nahrung, Kleider, Rohstoffe und Arbeitsmittel längere Zeit dauern, als zu ihrer Produktion erforderlich ist."

Mill verwechselt hier die Dauer der Arbeitszeit mit der Dauer ihrer Produkte. Nach dieser Ansicht würde ein Bäcker, dessen Produkte nur einen Tag dauern, aus seinen Lohnarbeitern nie denselben Profit ziehen können wie ein Maschinenbauer, dessen Produkte zwanzig Jahre und länger dauern. Allerdings, wenn die Vogelnester nicht längere Zeit vorhielten, als zu ihrem Bau erforderlich, so würden die Vögel sich ohne Nester behelfen müssen.

Diese Grundwahrheit einmal festgestellt, stellt Mill seine Überlegenheit über die Merkantilisten fest:

"Wir sehn also, daß der Profit entsteht, nicht aus dem Zwischenfall der Austäusche, sondern aus der Produktivkraft der Arbeit; der Gesamtprofit eines Landes ist immer bestimmt durch die Produktivkraft der Arbeit, gleichviel ob Austausch stattfindet oder nicht. Bestände keine Teilung der Beschäftigungen, so gäbe es weder Kauf noch Verkauf, aber immer noch Profit."

Hier sind also Austausch, Kauf und Verkauf, die allgemeinen Bedingungen der kapitalistischen Produktion, ein purer Zwischenfall, und es gibt immer noch Profit ohne Kauf und Verkauf der Arbeitskraft!

Weiter:

"Produziert die Gesamtheit der Arbeiter eines Landes 20% über ihre Lohnsumme, so werden die Profite 20% sein, was auch immer der Stand der Warenpreise."

Dies ist einerseits eine äußerst gelungne Tautologie, denn wenn Arbeiter einen Mehrwert von 20% für ihre Kapitalisten produzieren, so werden sich die Profite zum Gesamtlohn der Arbeiter verhalten wie 20 : 100. Andrerseits ist es absolut falsch, daß die Profite "20% sein werden". Sie müssen immer kleiner sein, weil Profite berechnet werden auf die Totalsumme des vorgeschoßnen Kapitals. Der Kapitalist habe z.B. 500 Pfd.St. vorgeschossen, davon 400 Pfd.St. in Produktionsmitteln, 100 Pfd.St. in Arbeitslohn. Die Rate des Mehrwerts sei, wie angenommen, 20%, so wird die Profitrate sein wie 20 : 500, d.h. 4% und nicht 20%.

Folgt eine glänzende Probe, wie Mill die verschiednen geschichtlichen Formen der gesellschaftlichen Produktion behandelt:

"Ich setze überall den gegenwärtigen Stand der Dinge voraus, der bis auf wenige Ausnahmen überall herrscht, d.h. daß der Kapitalist alle Vorschüsse macht, die Bezahlung des Arbeiters einbegriffen."

Seltsame optische Täuschung, überall einen Zustand zu sehn, der bis jetzt nur ausnahmsweise auf dem Erdball herrscht! Doch weiter. Mill ist gut genug, zuzugeben, "es sei nicht eine absolute Notwendigkeit, daß dem so sei". [In seinem Brief an N. F. Danielson vom 28. November 1878 schlug Marx folgende Fassung dieses Absatzes vor:

Folgt eine glänzende Probe, wie Mill die verschiednen geschichtlichen Formen der gesellschaftlichen Produktion behandelt: "Ich setze überall", sagt er, "den gegenwärtigen Stand der Dinge voraus, der bis auf wenige Ausnahmen überall herrscht, wo Arbeiter und Kapitalisten einander als Klassen gegenüberstehen, d.h., daß der Kapitalist alle Vorschüsse macht, die Bezahlung des Arbeiters einbegriffen." Herr Mill will gern glauben, es sei nicht eine absolute Notwendigkeit, daß dem so sei - selbst in dem ökonomischen System, in dem Arbeiter und Kapitalisten einander als Klassen gegenüberstehen.] Im Gegenteil.

"Der Arbeiter könnte, selbst mit seinem ganzen Lohnbetrage, die Zahlung abwarten, bis die Arbeit vollständig fertig ist, wenn er die zu seiner Erhaltung in der Zwischenzeit nötigen Mittel hätte. Aber in diesem Falle wäre er in gewissem Grade ein Kapitalist, der Kapital ins Geschäft legte, und einen Teil der zu seiner Fortführung nötigen Fonds lieferte."

Ebensogut könnte Mill sagen, der Arbeiter, der sich selbst nicht nur die Lebensmittel, sondern auch die Arbeitsmittel vorschießt, sei in Wirklichkeit sein eigner Lohnarbeiter. Oder der amerikanische Bauer sei sein eigner Sklave, der nur für sich selbst statt für einen fremden Herrn frondet.

Nachdem uns Mill derart klärlich erwiesen, daß die kapitalistische Produktion, selbst wenn sie nicht existierte, dennoch immer existieren würde, ist er nun konsequent genug, zu beweisen, daß sie selbst dann nicht existiert, wenn sie existiert:

"Und selbst im vorigen Fall" (wenn der Kapitalist dem Lohnarbeiter seine sämtlichen Subsistenzmittel vorschießt) "kann der Arbeiter unter demselben Gesichtspunkt betrachtet werden" (d.h. als ein Kapitalist). "Denn indem er seine Arbeit unter dem Marktpreise (!) hergibt, kann er angesehn werden, als schösse er die Differenz (?) seinem Unternehmer vor usw."9a)

In der tatsächlichen Wirklichkeit schießt der Arbeiter dem Kapitalisten seine Arbeit während einer Woche usw. umsonst vor, um am Ende der Woche usw. ihren Marktpreis zu erhalten; das macht ihn, nach Mill, zum Kapitalisten! In der platten Ebene erscheinen auch Erdhaufen als Hügel; man messe die Plattheit unsrer heutigen Bourgeoisie am Kaliber ihrer "großen Geister".

 


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