Mythische Vorgeschichte


Die mythische Vorgeschichte Irlands erzählt von einer Reihe Einwanderungen, die nacheinander stattfanden und meist mit Unterwerfung der Insel unter die neuen Einwanderer endigten. Die drei letzten sind: die der Firbolgs, die der Tuatha-de-Dananns und die der Milesier oder Skoten, welche letztere von Spanien gekommen sein sollen. Die landläufige irische Geschichtschreibung verwandelt die Firbolgs (fir = irisch fear, das lat[einische] vir, gotisch vair, Mann) ohne weiteres in Belgier, die Tuatha-de-Dananns (tuatha = ir[isch] Volk, Landstrich, gotisch thiuda) je nach Bedürfnis in griechische Danaen oder germanische Dänen. O'Donovan ist der Ansicht, daß wenigstens den genannten Einwanderungen etwas Historisches zugrunde liegt. In den Annalen kommt vor beim Jahre 10 n. Chr. ein Aufstand der Aitheach Tuatha (übersetzt im 17. Jahrhundert von Lynch, einem guten Kenner der alten Sprache mit: plebeiorum hominum gens), also eine Plebejer-Revolution, wobei der ganze Adel (Saorchlann) erschlagen wurde. Dies deutet auf die Herrschaft skotischer Eroberer über ältere Einwohner. Aus Volksmärchen über die Tuatha-de-Dananns schließt O'Donovan, daß diese, die der spätere Volksglaube in Elfen des Waldgebirgs verwandelt, noch bis ins 2. oder 3. Jahrhundert unsrer Zeitrechnung sich in einzelnen Berggegenden erhalten haben.

Daß die Iren ein Mischvolk waren, schon ehe die Engländer sich in Massen unter ihnen niederließen, ist unzweifelhaft. Wie noch jetzt, war schon im 12. Jahrhundert der vorherrschende Typus hellhaarig. Giraldus ( "Top. Hib.", III, 26) sagt von zwei Fremden, sie hätten langes gelbes Haar gehabt wie die Iren. Trotzdem finden sich noch jetzt, besonders im Westen, zwei gänzlich verschiedene Typen schwarzhaariger Leute; der eine groß, wohlgebaut, mit schönen Gesichtszügen und krausem Haar, Leute, von denen man meint, man sei ihnen schon einmal in den italienischen Alpen oder der Lombardei begegnet; dieser Typus kommt meist im Südwesten vor. Der andre, untersetzt und kurz von Körperbau, mit grobem, schlichtem schwarzen Haar, plattgedrücktem, fast negerhaftem Gesicht, findet sich häufiger in Connaught. Huxley schreibt dies dunkelhaarige Element in der ursprünglich hellhaarigen keltischen Bevölkerung iberischer (d.h. baskischer) Beimischung zu, was wenigstens teilweise richtig sein wird. Zur Zeit indes, wo die Iren in der Geschichte mit Bestimmtheit auftauchen, sind sie ein homogenes Volk mit keltischer Sprache geworden, und wir finden nirgends mehr fremde Elemente, ausgenommen die erkämpften und erhandelten Sklaven, großenteils Angelsachsen.

Die Mitteilungen der alten Klassiker über dies Volk lauten nicht sehr erbaulich. Diodor erzählt, daß diejenigen Briten, welche die Iris (oder Irin? es steht der Akkusativ Irin) genannte Insel bewohnen, Menschen essen. Ausführlicher ist Strabo:

"Über welches Land (Jerne) wir nichts Gewisses zu sagen haben, außer daß die Bewohner wilder sind als die Briten, da sie Menschenfresser und Vielfresser (polujagoi, nach anderer Lesart pohjagoi, Krautesser) sind und es für ehrbar halten, ihre verstorbenen Eltern zu essen und öffentlich mit den Frauen anderer, mit ihren Müttern und Schwestern fleischlichen Umgang zu haben."

Die patriotische irische Geschichtschreibung hat sich nicht wenig über diese angeblichen Verleumdungen entrüstet. Neuerer Forschung blieb es vorbehalten, die Menschenfresserei und namentlich das Verzehren der Eltern als eine Durchgangsstufe wahrscheinlich aller Völker nachzuweisen. Vielleicht gereicht es den Iren zum Trost, zu erfahren, daß die Vorfahren der jetzigen Berliner noch volle tausend Jahre später derselben praktischen Anschauung huldigten:

"Aber Weletabi, die in Germania sizzent, tie wir Wilze heizên, die ne scament" (schämen) "sih nieht ze chedenne" (zu gestehen) "daz sie iro parentes mit mêren rehte ezen sulîn, danne die wurme." (Notker, zitiert in Jacob Grimms "Rechtsaltertümer", p. 488.)

Und unter der englischen Herrschaft werden wir das Verzehren von Menschenfleisch in Irland noch mehr als einmal wiederkehren sehen. Was die den Iren vorgeworfne Phanerogamie, um mich eines Ausdrucks Fouriers zu bedienen, betrifft, so kamen solche Dinge bei allen wilden Völkern vor, wieviel mehr bei den ganz besonders galanten Kelten. Interessant ist zu sehn, daß die Insel schon damals den heutigen einheimischen Namen trug: Iris, Irin und Jerne sind identisch mit Eire, Erinn, wie denn auch schon Ptolemäus den heutigen Namen der Hauptstadt Dublin, Eblana (mit richtigem Akzent Eblana) kannte. Es ist dies um so merkwürdiger, als die irischen Kelten diese Stadt von jeher mit einem andern Namen, Athcliath, belegt haben und Duibhlinn - der schwarze Pfuhl - bei ihnen Name einer Stelle des Flusses Liffey ist.

Außerdem finden wir noch in Plinius' "Naturgeschichte", IV, 16, folgende Stelle:

"Dorthin" (nach Hibernia) "fahren die Briten in Booten aus Weidenzweigen, über welche Tierfelle zusammengenäht sind."

Und später sagt Solinus von den Iren selbst.

"Sie befahren die See zwischen Hibernia und Britannia in Booten aus Weidenzweigen, welche sie mit einem Überzug von Rinderhäuten bedecken." (C. Jul. Solini "Cosmogr[aphia]", c. 25.)

Im Jahr 1810 fand Wakefield, daß an der ganzen Westküste von Irland "keine andern Boote vorkamen als solche, die aus einem hölzernen Rahmen bestanden, der mit einer Pferde- oder Ochsenhaut überzogen war". Diese Boote seien von verschiedner Form, je nach der Gegend, aber alle zeichnen sich durch ihre ungemeine Leichtigkeit aus, so daß selten ein Unglück damit vorkomme. Für die hohe See taugen sie natürlich nicht, weshalb die Fischerei hier auch nur in den Buchten und zwischen den Inseln betrieben werden könne. In Malbay, Grafschaft Clare, sah Wakefield solche Boote, die 15 Fuß lang, 5 Fuß breit und 2 Fuß tief waren; zu einem derselben wurden zwei Kuhhäute verwandt, die Haare nach innen, die Außenseite geteert; es war für zwei Ruderer eingerichtet. Ein solches Boot kostete ca. 30 Shillinge. (Wakef., II, p. 97.) Statt Weidengeflecht - Holzrahmen! Welch ein Fortschritt in 1.800 Jahren und nach beinahe siebenhundertjähriger "zivilisatorischer" Bearbeitung durch das erste Seevolk der Welt!

Im übrigen zeigen sich doch auch bald einige Symptome von Fortschritt. Unter König Cormac Ulfadha, der in die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts gesetzt wird, soll dessen Schwiegersohn Finn Mac Cumhal die irische Miliz - die Fianna Eirionn 18) - neu organisiert haben, wahrscheinlich nach dem Muster der römischen Legion mit Unterscheidung von leichten und Linientruppen; alle späteren irischen Heere, über die wir Details haben, unterscheiden kerne - leichte - und galloglas - schwere oder Linieninfanterie. Die Heldentaten dieses Finn wurden in vielen alten Liedern besungen, wovon manche noch existieren; sie und vielleicht einige wenige schottisch-gälische Traditionen bilden die Grundlage des Macphersonschen "Ossian" (irisch Oisin, Sohn Finns), in denen Finn als Fingal erscheint und die Szene nach Schottland verlegt ist. Im irischen Volksmund lebt Finn fort als Finn Mac-Caul, ein Riese, dem fast in jeder Lokalität der Insel irgendein wunderbares Kraftstück zugeschrieben wird.

 

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18) Feini, Fenier, ist im ganzen "Senchus Mor" der Name der irischen Nation. Feinechus, Fenchus, Gesetz der Fenier, steht oft entweder für "Senchus" oder für ein andres, verlornes Gesetzbuch. Zugleich bezeichnet feine, grad feine, die plebs, die unterste freie Volksklasse.


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