Entschiedene Trennung des proletarischen Chartismus vom Radikalismus der Bourgeoisie


Die Frucht des Aufstandes war die ganz entschiedene Trennung des Proletariats von der Bourgeoisie. Die Chartisten hatten es bisher wenig verhehlt, daß sie durch jedes Mittel ihre Charte durchsetzen würden, selbst durch eine Revolution; die Bourgeoisie, die jetzt mit einem Male die Gefährlichkeit jeder gewaltsamen Umwälzung für ihre Stellung einsah, wollte nichts mehr von "physischer Gewalt" wissen und bloß durch "moralische Gewalt" - als ob diese etwas anderes sei, als die direkte oder indirekte Drohung der physischen Gewalt - ihre Zwecke ins Leben rufen. Dies war der eine Streitpunkt, der indes durch das spätere Vorgehen der Chartisten - die doch ebenso glaubwürdig sind wie die liberale Bourgeoisie - daß auch sie nicht an die physische Gewalt appellierten - der Sache nach weggeräumt wurde. Der zweite, hauptsächlichste Streitpunkt aber, der gerade den Chartismus in seiner Reinheit zur Erscheinung brachte, war die Korngesetzfrage. In dieser war die radikale Bourgeoisie interessiert, das Proletariat aber nicht. Die bisherige chartistische Partei spaltete sich daher in zwei Parteien, deren politische, ausgesprochene Prinzipien gänzlich übereinstimmen, die aber durchaus verschieden und unvereinbar sind. Auf dem Birminghamer Nationalkonvent im Januar 1843 schlug Sturge, der Repräsentant der radikalen Bourgeoisie, die Weglassung des Namens der Charte aus den Statuten der chartistischen Assoziation vor, angeblich, weil dieser Name durch die Insurrektion mit gewaltsamen revolutionären Erinnerungen verknüpft sei - eine Verknüpfung, die übrigens schon seit Jahren stattgefunden und gegen die Herr Sturge bis dahin nichts einzuwenden gehabt hatte. Die Arbeiter wollten den Namen nicht fallenlassen, und als Sturge überstimmt wurde, wanderte der auf einmal loyal gewordene Quäker mit der Minorität aus dem Saale und konstituierte eine "Complete Suffrage Association" aus der radikalen Bourgeoisie. So widerwärtig waren dem noch vor kurzem jakobinischen Bourgeois diese Erinnerungen geworden, daß er selbst den Namen allgemeines Stimmrecht (universal suffrage) in den lächerlichen: komplettes Stimmrecht (complete suffrage) abänderte! Die Arbeiter lachten ihn aus und gingen ihren Weg ruhig weiter.

Von diesem Augenblicke an war der Chartismus eine reine, von allen Bourgeoisie-Elementen befreite etc. Arbeitersache. Die "kompletten" Journale - "Weekly Dispatch", "Weekly Chronicle", "Examiner" etc. - fielen allmählich in die schläfrige Manier der übrigen liberalen Blätter, verteidigten die Handelsfreiheit, griffen die Zehnstundenbill und alle ausschließlichen Arbeitermotionen an und ließen den Radikalismus im ganzen wenig hervortreten. Die radikale Bourgeoisie schloß sich in allen Kollisionen den Liberalen gegen die Chartisten an und machte überhaupt die Korngesetzfrage, die für den Engländer die Frage der freien Konkurrenz ist, zu ihrer Hauptaufgabe. Dadurch geriet sie unter die Botmäßigkeit der liberalen Bourgeoisie und spielt jetzt eine höchst jämmerliche Rolle.

Die chartistischen Arbeiter dagegen nahmen sich mit doppeltem Eifer aller Kämpfe des Proletariats gegen die Bourgeoisie an. Die freie Konkurrenz hat den Arbeitern Leiden genug gemacht, um ihnen verhaßt zu werden; ihre Vertreter, die Bourgeois, sind ihre erklärten Feinde. Der Arbeiter hat von der vollständigen Befreiung der Konkurrenz nur Nachteil zu erwarten. Seine bisherigen Forderungen, die Zehnstundenbill, Schutz des Arbeiters gegen den Kapitalisten, guter Lohn, garantierte Stellung, Abschaffung des neuen Armengesetzes, alles Dinge, die mindestens ebenso wesentlich zum Chartismus gehören wie die "sechs Punkte", gehen direkt gegen die freie Konkurrenz und Handelsfreiheit. Kein Wunder also, daß die Arbeiter, was die ganze englische Bourgeoisie nicht begreifen kann, von der freien Konkurrenz, Handelsfreiheit und Abschaffung der Korngesetze nichts wissen wollen und gegen letztere mindestens höchst gleichgültig, gegen ihre Verteidiger aber im höchsten Grade erbittert sind. Diese Frage ist gerade der Punkt, an dem sich das Proletariat von der Bourgeoisie, der Chartismus vom Radikalismus scheidet, und ein Bourgeoisverstand kann das nicht begreifen, weil er das Proletariat nicht begreifen kann.


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