[Die Bildung von Zentralen für die Veranstaltungen zur Hebung der Volksbildung. Volksheime. Die Tagespresse und ihre Beziehungen zur Volksbildung.]


Mit der Zunahme der Vereine, die in irgend einer Weise für die Hebung der Volksbildung tätig sind, und der Mehrung der von diesen geschaffenen Veranstaltungen mußte namentlich in den Großstädten der Gedanke mehr und mehr sich geltend machen, daß die in Frage stehenden Organisationen durch einen Zusammenschluß und Bildung einer Art von Zentrale, in der auch die arbeitende Klasse eine ausreichende Vertretung finden müßte, eine wesentliche Förderung ihrer Bestrebungen erzielen würden. In Frankfurt a. M. wurde durch den 1890 gegründeten Ausschuß für Volksvorlesungen bereits im vorigen Jahrhundert der erste Schritt in dieser Richtung getan1). Doch hat das hiermit gegebene Beispiel sich bisher nicht als genügend anregend erwiesen. Ferner lag der Gedanke nahe, daß durch Schaffung von Volkshäusern oder Volksheimen nicht nur für die Unterbringung der eben erwähnten Zentrale in bester Weise gesorgt würde, sondern auch manche Einrichtung getroffen werden könnte, welche für die bestehenden Volksbildungsanstalten eine wertvolle Ergänzung bilden würden. Eine in ihrer Art gewissermaßen mustergültige Verwirklichung dieses Gedankens bildet das in Wien 1900 eröffnete Volksheim, das seit 1905 in einem eigenen, nach ausländischen Mustern für seine Zwecke eingerichteten Gebäude untergebracht ist. Dieses enthält neben einer Bibliothek mit Lesehalle und einer Turnhalle eine Anzahl größerer und kleinerer Hörsäle und Laboratorien für die verschiedensten Zwecke, auch ein experimentell psychologisches und kunsthistorisches Kabinett. Die in dem Volksheim gebotenen Lerngelegenheiten (Vorträge, Demonstrationen etc.) sind außerordentlich zahlreich und mannigfaltig; sie gehören zum Teil dem Gebiet der Allgemeinbildung, zum Teil dem des Fachunterrichts an, und die hiermit erzielten Erfolge müssen als äußerst günstig bezeichnet werden. In Wien geschah 1909 die Eröffnung eines neuen Volksbildungshauses.

Im Deutschen Reich wurde 1917 ein deutscher Volkshausbund gegründet, der Propaganda für die Errichtung von Volkshäusern macht, welche als eine Sammelstätte des Gemeinschaftslebens fungieren und zur Förderung der seelischen und körperlichen Bildung etc. dienen sollen. Daß die gutgemeinten Bestrebungen dieses Bundes bisher einen Erfolg hatten, ist nicht ersichtlich. Die Anstalten, die man als Volksheime bezeichnen kann, sind im Deutschen Reich noch sehr spärlich vertreten. In erster Linie ist hier das auf Anregung von Ernst Abbe in Jena erbaute Volkshaus zu nennen, an das sich das etwas kleinere Berolzheimerianum in Fürth anschließt, das ebenso wie das Jena'sche Volkshaus aus Stiftungsmitteln errichtet wurde.

Wenn man den ungeheueren Aufschwung berücksichtigt, welchen die Tagespresse im verflossenen Jahrhundert genommen, und die Verbreitung, welche dieselbe erlangt hat, so sollte man glauben, daß sie auf den Bildungsstand des Volkes einen bedeutenden Einfluß ausgeübt haben müßte. Hiervon ist jedoch bei uns wenigstens nichts wahrzunehmen, und man kann sich hierüber auch nicht wundern, wenn man die Verhältnisse unserer Tagespresse etwas näher ins Auge faßt. Die größeren, gut geleiteten Zeitungen dringen wegen ihres Preises und Umfanges nicht in die unteren Volksschichten und die Geistesnahrung, welche diesen von den billigen Blättern gereicht wird, ist zumeist zu dürftig und infolge parteipolitischer Tendenzen zu einseitig und gefärbt, um den Gesichtskreis der Leser zu erweitern und ihre Urteilsfähigkeit zu mehren. Manche dieser kleinen Blätter wirken sogar entschieden verdummend, indem sie Aberglauben und Vorurteile durch die albernsten Erzählungen nähren und die auf Hebung der Volksbildung gerichteten Unternehmen als Angriffe auf die Religion hinstellen und die Anhänger und Förderer der Volksaufklärung möglichst zu verunglimpfen trachten. Besonders betrübend ist, daß sich nicht ersehen läßt, wie diese Sachlage in absehbarer Zeit geändert werden soll. Wollte man den unteren Volksschichten für geringes Geld Zeitungen verschaffen, die imstande sind, einen günstigen Einfluß auf deren Geistesbildung auszuüben, so würde dies vor allem ungeheuere Geldmittel erfordern, an deren Aufbringung vorerst nicht zu denken ist. Mehr als von der Tagespresse ist für die Förderung der Volksbildung von den der Unterhaltung und Belehrung gewidmeten Zeitschriften zu erwarten, die nur zur Zeit bedauerlicherweise ebenfalls zum größten Teile zu teuer sind, um in den unteren Volksklassen größere Verbreitung zu erlangen. Doch könnte auf diesem Gebiet durch Volksbildungsvereine und Organisationen, die sich die Aufklärung der Massen angelegen sein lassen (Monistenbund, Vereine für ethische Kultur etc.), sehr viel Gutes geschehen, wenn man die Herausgabe von Zeitschriften, die lediglich Bildungszwecke ohne jede Parteitendenz verfolgen und in gemeinverständlicher Form Belehrung über alle wichtigen Tagesfragen bieten, in größerem Umfang in die Hand nehmen wollte. Wenn dieser Sache von den in Frage stehenden Vereinen und gemeinnützig denkenden, bemittelten Privatpersonen Opfer gebracht würden, so ließe sich der Preis derartiger Zeitschriften in einer Weise ermäßigen, daß dieselben, ähnlich den von manchen Gewerkschaften herausgegebenen Schriften, auch von Leuten mit sehr bescheidenen Mitteln gehalten werden könnten. Unsere Arbeiter beziehen heutzutage Löhne, die ihnen zum großen Teile wenigstens das Halten nicht billiger Zeitschriften ermöglichen würden. Allein bei der Abneigung der Arbeiter, für derartige Zwecke erhebliche Beträge aufzuwenden, ist es doch in hohem Maße wünschenswert, daß sie durch den Anreiz der Billigkeit bestimmt werden, sich Zeitschriften zu halten, die geeignet sind, ihre Bildung zu fördern.

Der Einfluß, welchen die politischen Institutionen eines Landes auf das intellektuelle Niveau der Massen äußern, erhellt in markanter Weise aus den Verhältnissen in Rußland. Wir haben bereits gesehen, daß die Regierenden dort allen Bestrebungen feindlich entgegentraten, die auf Hebung der Volksbildung abzielten, da sie in der geistigen Unkultur und dem Stumpfsinn des Volkes eine Grundlage für den Bestand ihrer Willkürherrschaft erblickten. Die hochherzigen Männer, die dort für die Rechte des Volkes Gut und Blut einsetzten, führten zugleich einen Kampf gegen die Dummheit, der allerdings wenig fruchtete, da die Massen weit überwiegend der Aufklärung noch unzugänglich waren. Die schrankenlose Willkür, mit der das Volk unter dem Zarismus von den Regierenden aus schnödem Eigennutz behandelt wurde, rächte sich bekanntlich an diesen und den Bürgerlichen in furchtbarer Weise.2) Der Übergang vom zaristischen Absolutismus zum bolschewistischen Kommunismus mit all seinen Greueln und Torheiten, den die Revolution in Rußland herbeiführte, wäre nicht möglich gewesen, wenn der Zarismus mit seinen Anhängern nicht systematisch darauf hingearbeitet hätte, das Volk in seiner geistigen Stagnation zu erhalten, um seine Urteilsfähigkeit möglichst einzuschränken. Des Dichters Wort: "Vor dem Sklaven, der die Kette bricht, vor dem freien Manne erzittere nicht" hat sich in Rußland wieder in glänzender Weise bestätigt.

 

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1) Neben dem Vorstand regelt die Tätigkeit dieses Ausschusses die alljährlich von der Plenarversammlung gewählte "Engere Kommission", welche aus 12 Mitgliedern besteht, von denen satzungsgemäß 5 dem Kreise der Vortragenden und 7 aus der Reihe der Arbeiter entnommen werben müssen. Auch in München ist es gelungen, Enbe 1920 einen Zusammenschluß aller dem Volksbildungswesen dienenden Organisationen herbeizuführen, und in der Reichszentrale für Heimatdienst eine Geschäftsstelle für diese neue Organisation zu gewinnen.

2) Es genügt, wenn wir hier auf eine Tatsache hinweisen. In Rußland wurde der Zar mit seiner Familie nach längeren Mißhandlungen ermordet. Wie viele von den Großfürsten ein ähnliches Schicksal erlitten, ist uns zur Zeit nicht bekannt; jedenfalls sind es mehrere. In Deutschland wurde dagegen von den 23 enttronten Souveränen der einzelnen Bundesstaaten und den Mitgliedern ihrer Familie keinem Einzigen ein Haar gekrümmt.


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